Als ihr ihre beste Freundin Laura* erzählte, dass ihr Freund sie geschlagen hat, konnte Anna das im ersten Moment gar nicht fassen. Aus heiterem Himmel gestand Laura ihr eines Tages, dass ihr Freund Daniel* sie bereits über das vergangene Jahr hinweg mehrfach angegriffen hatte. Zum ersten Mal im Sommer, zuletzt kurz nach Weihnachten. Jetzt hatte sie die Beziehung nach drei Jahren beendet.

Anna schossen damals tausend Fragen durch den Kopf. "Als Erstes wollte ich von ihr wissen, warum sie sich mir nicht schon früher anvertraut hatte", erinnert sie sich. Eigentlich konnten sie sich alles erzählen. Es sei ihr schrecklich unangenehm gewesen, hatte Laura daraufhin gemeint. Außerdem habe sie gewusst, dass Anna sich furchtbar aufregen und ihr vielleicht sogar Vorwürfe machen würde. Es stimmte, sie hatte sich lange und laut ausgelassen, war wütend geworden. Ihre Wut hatte sich aber nicht gegen ihre Freundin gerichtet, sondern ausnahmslos gegen deren Freund. Was fiel ihm ein, Laura derart anzugehen?

"Ich hab das, als er mich das erste Mal schlug, gar nicht richtig realisiert"

Anna fiel es damals schwer, die neue Erkenntnis über ihre Freundin mit dem eigentlichen Bild, das sie von ihr hatte, zu verbinden. Laura war kein Mensch, der sich so behandeln ließ. Eigentlich. Sie feuerte zurück, wann immer sie sich ungerecht behandelt fühlte. Eigentlich. Anna konnte nicht nachvollziehen, warum Laura sich nicht schon früher von Daniel getrennt hatte. "Du bist doch sonst nicht so und kannst dich doch immer gut wehren!", hatte sie ihre Freundin konfrontiert. Laura blieb daraufhin eine Weile still und dachte nach. "Ich hab das, als er mich das erste Mal schlug, gar nicht richtig realisiert", antwortete sie nach einer Weile. Daniel sei ziemlich betrunken gewesen, ebenso wie sie. Irgendwie sei eine unwichtige Streiterei dann einfach eskaliert. Er habe sie geohrfeigt und angeschrien, aber irgendwie hätte sie das in dem Moment gar nicht als so schlimm wahrgenommen. Am nächsten Morgen hätten sie kurz darüber gesprochen, Laura habe ihm eine Szene gemacht, Daniel sich entschuldigt. Daraufhin sei das Thema erledigt gewesen und sie hätten es einfach totgeschwiegen.

Situationen wie die von Laura sind keine Seltenheit. Statistisch gesehen erlebt jede vierte Frau in Deutschland im Laufe ihres Lebens einmal häusliche Gewalt. Das belegen Zahlen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berücksichtigt man die Dunkelziffern, ist sogar jede zweite oder dritte betroffen. Dabei kann es Frauen aus allen Bevölkerungsschichten treffen. Diese Übergriffe reichen von wütenden Ohrfeigen bis hin zum Schlagen mit Gegenständen. "Wie viele Frauen sich nach einem Übergriff von ihrem Partner trennen und wie viele bleiben, lässt sich nicht pauschal sagen", erklärt Maria*, Beraterin beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, einer Einrichtung des Bundesamts für Familie. Sie hilft Anruferinnen via Chat oder Telefongespräch anonym in Situationen, die zum Beispiel häusliche Gewalt betreffen.

Der Versuch, Normalität walten zu lassen

Laura blieb zunächst bei Daniel. Danach lief es zwischen ihnen mehrere Monate gut. Es sei alles wie immer gewesen und den Ohrfeigenvorfall hatte sie als eine einmalige Sache abgestempelt. "Hattest du denn überhaupt keine Angst, dass sowas nochmal passieren könnte?", wollte Anna von ihr wissen. Für sie war es völlig unverständlich, wie Laura nach so einem Angriff überhaupt weiter mit Daniel zusammenbleiben, das Leben in der gemeinsamen Wohnung einfach für ein halbes Jahr weiterführen konnte. "Naja, irgendwo ganz hinten in meinem Kopf schon, ja", war Lauras Antwort gewesen. Sie habe aber einfach versucht, dieses Gefühl zu ignorieren – bis zu dem Abend, an dem Daniel wieder ausrastete.

Es habe sich wieder nur um eine unwichtige Kleinigkeit gehandelt, als er plötzlich auf Laura losging, sie auf den Boden drückte und ein paar Mal richtig schlug und beleidigte. Als sie am nächsten Tag mit blauen Flecken am Arm und auf dem Rücken aufwachte, beschloss sie, sich von Daniel zu trennen. Seine Entschuldigungen, dass so etwas nie wieder vorkommen würde, ignorierte sie. Das war auch der Zeitpunkt, als sie Anna einweihte. "Ich finde, das war die absolut richtige Entscheidung", hatte Anna ihr beigepflichtet und ihr angeboten, übergangsweise bei ihr einzuziehen.

Einmischen oder nicht einmischen?

Drei Wochen später waren Laura und Daniel plötzlich wieder ein Paar. "Ich habe mich ernsthaft gefragt, wie das weitergehen sollte", erzählt Anna. Sie stellte Laura zur Rede. Die entgegnete kleinlaut, dass sie selbst wisse, wie dumm das sei. Sie wolle die Beziehung zu Daniel aber nicht einfach wegwerfen, sondern gemeinsam daran arbeiten. Anna war fassungslos. Wie sollte sie mit dieser Situation umgehen, fragte sie sich. Sollte sie sich einmischen? Müsste sie eine weitere Person einschalten? Sie war sich sicher, dass die Freundschaft zu Laura darunter leiden würde, wenn sie das Thema weiterhin zur Sprache brächte. Außerdem traute sie Laura zu, für sich selbst entscheiden zu können.

Damit handelte sie laut Maria vom Hilfetelefon intuitiv richtig. "Wichtig ist, dass die betroffenen Frauen selbst wählen können, ob sie sich vom Partner trennen wollen oder nicht." Man solle der Freundin, Bekannten oder Verwandten aber auf jeden Fall in einem ruhigen Gespräch seine Hilfe anbieten. "Wenn eine Gewaltsituation passiert ist, in welcher Form auch immer, verändert das die Dynamik und das Verhältnis in einer Beziehung", so Maria. "Dadurch fällt es den Frauen oft schwer, davon wegzukommen." Da sei es egal, ob jemand sonst sehr selbstbewusst aufträte, da es einfach eine ganz andere Situation wäre. Als Außenstehende*r sollte man nicht versuchen, eine betroffene Person in etwas hineinzureden. Das sorge nur für zusätzlichen Druck und sei nicht förderlich.

"Ich habe natürlich überlegt, ob ich jetzt in der Pflicht bin, die Polizei zu rufen oder Laura von ihrem Freund irgendwie abzuschotten", erzählt Anna. Maria weiß, dass derartige Situationen oft schwer einzuschätzen sind. Es gebe kein Schema, nach dem man als Freund*in oder Familienmitglied entscheiden könne, wann man weitere Schritte einleiten sollte: "Oft ist es einfach eine Bauchentscheidung." Am wichtigsten sei es, dem Opfer deutlich zu zeigen, dass man als Ansprechpartner*in verfügbar ist und Hilfe anzubieten: "Ein zu schnelles Einschalten der Polizei kann auch einen gegenteiligen Effekt auf das Opfer haben, weil es sich übergangen fühlt." Werde man aber tatsächlich Zeug*in einer Misshandlung oder Bedrohung, zum Beispiel im Nachbarhaus, solle man lieber einmal öfter die Polizei rufen, als einmal zu wenig.

Auch, wenn es ihr schwerfiel, nahm Anna sich zurück und ließ Laura die Sache auf ihre Art regeln. Wenn sie bei Daniel bleiben wollte, dann sollte sie das tun. "Ich kann dir nur anbieten, dass du immer kommen kannst, wenn etwas ist, dann können wir eine Lösung suchen", bot sie ihr an. "Aber du musst selber wissen, was du willst und was nicht." Gleichzeitig machte Anna ihr auch klar, dass sie sich, wenn es nochmal vorkommen würde, auf jeden Fall einmischen würde.

Der ungute Beigeschmack bleibt

Heute, ein dreiviertel Jahr später, sind Laura und Daniel immer noch zusammen. "Es läuft ganz gut bei den beiden", erzählt Anna. Sie trifft sich Laura zu Liebe sogar noch ab und an mit ihr und Daniel. Doch auch, wenn es sich fast anfühle, wie früher, bleibe irgendwie immer ein unguter Beigeschmack, meint Anna. Bei ihrem ersten Treffen nach dem Vorfall stellte sie Daniel erst mal zur Rede. "Ihm muss einfach klar sein, dass das nicht nochmal passieren kann und, dass es – falls doch – Konsequenzen für ihn haben wird." Sie ist sich jetzt auch sicher, dass Laura sich wieder an sie wenden würde, falls nochmal etwas passieren sollte. "Sie weiß, dass sie immer zu mir kommen kann. Ich werde sie nicht verurteilen."

*Name von der Redaktion geändert
Hier kannst du dir Hilfe holen

Du bist Opfer häuslicher Gewalt und weißt nicht, wo du Hilfe bekommen kannst? Du kannst dich zum Beispiel an die Angebote von Weißer Ring oder Frauen gegen Gewalt wenden.

Bei dem Hilfetelefon des Bundesamtes für Familie kannst du unter: 08000 116 016 rund um die Uhr anrufen. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte werden dort anonym und kostenfrei in mehreren Sprachen beraten.