Wie stellst du dir das Komitee zur Vergabe der Nominierungen und zur Auswahl der Gewinner*innen der Oscars vor? Vermutlich als einen Raum voller Personen, die aufgrund ihres langen Erfahrung in der Filmbranche ausgewählt wurden. Sie sichten über Wochen und Monate alle Filme, führen hitzige Debatten, verteidigen leidenschaftlich ihre persönlichen Favoriten und einigen sich schließlich schweren Herzens. Unbestechlich wählen sie diejenigen aus, die es wirklich verdient haben. Tja, so läuft es aber überhaupt nicht.

Die Geburtsstunde der Oscars

Die Oscars (offiziell Academy Awards genannt) werden seit 1929 von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences verliehen, die zwei Jahre zuvor von 36 Vertreter*innen der Filmbranche gegründet wurde. Der Zusammenschluss hatte zunächst ein ziemlich fragwürdiges Ziel: Gemeinsam wollten die Beteiligten Pläne ausarbeiten, die die Ausbreitung von Gewerkschaften in der Filmindustrie verhindern sollten.

Die hätten nämlich Regisseur*innen, Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen auf die verrückte Idee bringen können, dass sie ein Recht auf soziale Absicherung, Überstundenausgleich oder faire Löhne haben. Nicht auszudenken. Ein Teil ihrer Abwehrstrategie bestand auch in einer Art Marketingkampagne, die den Ruf der Branche verbessern und die Mitarbeiter*innen bei Laune halten sollte. Dies war die Geburtsstunde der Academy Awards.

Die erste Vergabe 1929 war bereits ein so großer Erfolg, dass im zweiten Jahr Radiostationen in Los Angeles live vor Ort waren, um vom Event zu berichten. Alle Zeitungen erhielten zudem vorab die Listen mit den Sieger*innen, um so schnell wie möglich und ausgiebig über die Awards berichten zu können. Die Academy Awards bewährten sich somit als einfaches Mittel, um die breite Masse für die Filmbranche zu begeistern.

Weiß, männlich und Mitglied auf Lebenszeit

Die überraschende Nachricht zuerst: Es gibt keine kleine, ausgewählte Kommission, die die Oscars vergibt. Tatsächlich dürfen alle der rund 6.000 Mitglieder der Academy über Nominierungen und Gewinner*innen abstimmen. Um ein Mitglied zu werden, müssen Interessierte entweder eine offizielle Einladung der Academy erhalten (zum Beispiel nachdem sie selbst einen Oscar gewonnen haben) oder durch mindestens zwei Mitglieder vorgeschlagen und gesponsert werden.

Wer genau die Mitglieder sind, ist ein streng gehütetes Geheimnis. Offiziell, um Bestechung und Küngelei zu vermeiden. Vermutlich geht es aber eher darum, sich selbst vor Kritik zu immunisieren. Denn eines wissen wir trotz aller Verschwiegenheit mit Sicherheit: Die Mitglieder der Academy sind überwiegend weiß, männlich und Arschlöcher.

Woher wir das wissen? Naja, zum einen wurde die Academy 1927 von weißen Männern gegründet. Kombiniert mit den politischen Verhältnissen in den USA, einer Mitgliedschaft auf Lebenszeit und der fragwürdigen Beitrittsregularien kann also davon ausgegangen werden, dass ein elitärer Kreis weißer Männer vor allem andere weiße Männer in ihrem Club mitspielen lässt.

Ein weiteres Indiz, das dafür spricht, dass die Academy ungefähr so divers ist wie Trumps aktuelles Kabinett, ist die Vergabepraxis. Eine auffällig hohe Zahl der Awards ging Jahr für Jahr an weiße Nominierte und Filmproduktionen weißer Männer. Die Los Angeles Times veröffentlichte 2012 schließlich sogar Studien, die nahelegten, dass 94 Prozent der Mitglieder weiß waren, 77 Prozent männlich und dass der Altersdurchschnitt bei etwa 62 Jahren lag. Kein wirklicher Querschnitt also, weder durch die Branche noch durch die Gesellschaft der USA.

Die Kunst ist tot, es lebe das Marketing!

Die Academy ist also allein aufgrund ihrer Zusammensetzung im höchsten Maße parteiisch. Das ist aber noch nicht alles, was es über die Vergabepraxis zu wissen gibt. Idealerweise würden die Mitglieder der Academy für die Nominierung eines Films mehr oder minder objektive Kriterien festlegen. Zum Beispiel wie finanziell erfolgreich er war oder wie die Kritiken im Durchschnitt ausfielen. Tatsächlich entscheidet aber vor allem Geld, wer in die nähere Auswahl kommt.

Die Anonymität der Academy-Mitglieder verhindert zwar eine direkte Bestechung, das heißt aber noch lange nicht, dass Geld hier nichts ausrichten kann. Um einen Film für einen Oscar (oder auch andere Awards) zu platzieren, schalten Produktionsfirmen sogenannte For-your-consideration-Kampagnen. Ziel ist es, mit möglichst effektiven Marketingkniffen Filme unter den Entscheidungsträger*innen der verschiedenen Awards so bekannt wie möglich zu machen.

So werden beispielsweise die Filme direkt von den Studios an die Academy geschickt, damit die Mitglieder sie sich kostenlos anschauen können — gespeichert auf einem brandneuen iPad, das die Damen und Herren selbstverständlich behalten dürfen. Oder indem sie Partys veranstalten und möglichst viele Personen einladen, die im Verdacht stehen, zur Academy zu gehören. Inzwischen gibt es sogar Insider, die sich auf die Kampagnen spezialisieren und sie für andere durchführen.

Die New York Times errechnete vor kurzem, dass Studios bis zu 10 Millionen Dollar locker machen, nur um eine Oscarnominierung für den Besten Film einfahren zu können. Warum sie so viel Geld für einen Oscar ausgeben? Eine Nominierung allein kann die Umsatzzahlen so stark erhöhen, dass Studios doppelt oder dreifach so viel verdienen, wie sie in die Kampagnen investiert haben.

#Oscarssowhite, aber #itgetsbetter

Einen Oscar zu gewinnen hat also nur bedingt etwas damit zu tun, wie cineastisch wertvoll ein Film tatsächlich ist. Vielmehr liegt es an der Zusammensetzung der Academy und dem Geld, das die Studios locker machen können. Aber es wird langsam besser.

2015 hatten zum ersten Mal Afro- und Lateinamerikaner*innen aus der Branche die Oscars boykottiert, nachdem ausschließlich weiße Schauspieler*innen für die Oscars nominiert worden waren. Unter #Oscarssowhite protestierten sie gegen die offensichtliche Einseitigkeit der Vergabepraxis, die überholten Regeln für die Mitgliedschaft in der Academy und die ausbleibende Bereitschaft, etwas an der Situation zu ändern. Nach zwei Jahren des Protestes hat sich nun endlich etwas getan.

Inzwischen bemüht sich die Academy bei der Auswahl neuer Mitglieder um mehr Diversität. Zudem wurden einige Privilegien der lebenslangen Mitgliedschaft aufgehoben. Zum Beispiel bleiben neue Mitglieder höchstens für zehn Jahre in der Academy und auch nur, wenn sie aktiv in der Branche tätig sind. Die aktuelle Präsidentin der Academy sagte in einem Interview mit der Los Angeles Times: "Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass wir aktiv verschiedene Stimmen einbringen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung." Expert*innen bezweifeln jedoch, dass dieses Ziel allzu schnell erreicht werden wird, auch wenn die getroffenen Maßnahmen ein Schritt in die richtige Richtung seien.

Und der Oscar geht an …

Einen Oscar zu gewinnen heißt also noch lange nicht, dass Filme oder Preisträger*innen ihn auch tatsächlich verdient haben. Trotzdem ist es okay, auf die Verleihung hinzufiebern und sich mit den Gewinner*innen mitzufreuen. Und genauso ist es okay, die Oscars bescheuert zu finden und das komplette System infrage zu stellen. Jedenfalls wenn du weißt, wie das System funktioniert – und das tust du ja jetzt.

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