Kennst du jemanden, der sich ein Unendlichkeitszeichen, eine sich auflösende Feder, einen Notenschlüssel oder den Spruch "c'est la vie" unter die Haut stechen ließ? Bestimmt. Das ist nämlich in etwa so selten wie Dönerläden in Berlin.

Ich habe mich schon oft gefragt, wieso Menschen das tun: Sich für ein Tattoo-Motiv entscheiden, das neben ihnen Hunderttausende tragen, häufig auch an den selben Stellen – am Knöchel, unten links unter der Brust, am Handgelenk oder hinter dem Ohr sind besonders beliebt.

Spreche ich das an, kommt häufig das Argument, man solle sie doch lassen, wenn's ihnen gefällt. Ich widerspreche dann: Es hat rein gar nichts mit "Gefallen" zu tun, wenn man Bestehendes eins zu eins imitiert. Und es hat auch nichts rebellisches. Das ist einfach Trendhinterherwatscheln.

"Live, Love, Laugh" – und der Spirit bleibt auf der Strecke

Darunter leidet niemand mehr als diejenigen, die uns die Farbe unter die Haut bringen. "Tätowieren ist keine Trendsache – das ist eine Tradition", sagt zum Beispiel Olli, mein Tätowierer, der seit zehn Jahren sticht.

In seinem Studio Tattoo Ole Traditionals in Heidenheim sticht er traditionelle Oldschool-Tattoos, inspiriert von den Anfängen der Kunst und Seefahrermotiven.

Allzu häufig komme es vor, dass Kund*innen Vorlagen auf dem Internet mitbringen, oft sind das Tattoos von anderen Tätowierer*innen: "Diesen Hype finde ich nicht gut. Man kann sich mit einer schönen, gut überlegten Tätowierung von der Masse abheben – oder einfach einer von Zehntausenden mit einem Infinity-Symbol sein."

Es wirkt beinahe so, als lösten Seiten wie Pinterest die professionellen Arbeiten in der Mappe der Tätowierer*innen ab. Das ist schade: Der "Spirit", der mit der Kunst verankert ist, geht so verloren. Tätowieren hat eine jahrtausendelange, kulturprägende Geschichte – erste Belege finden sich im frühen Ägypten mit Wandmalereien, die tätowierte Menschen zeigen.

Ganze Völkergruppen und Religionen stechen sich schon seit 5000 Jahren Farbe unter die Haut, gerade in Japan und Neuseeland hat dies starke Bedeutung für die dortigen Kulturen. Als beispielsweise britische Entdeckungsreisende um 1700 mit den ersten vollständig tätowierten Eingeborenen aus Übersee zurückkehrten, waren diese polynesischen Tattoos in London eine Sensation, schreibt TLC.

Heute gibt es zahlreiche Stilrichtungen. In westlichen Kulturkreisen hatten Tätowierungen zunächst ein Seefahrer- oder Knasti-Image. Später wurde es Merkmal der Rebellion. Der Körper wurde bewusst verändert, um so dem Paradoxon entgegenzuwirken, dass Menschen, die anders aussehen, nicht die selben Rechte wie alle anderen hätten.

Vor allem Menschen, die an großen Teilen ihres Körpers tätowiert sind, ticken ähnlich: Sie stehen dafür ein, ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen aus dem Leben nach außen zu tragen – auch, um andere teilhaben zu lassen.

Tätowierer*innen regt es auf, wenn sie nur Kleinkram stechen dürfen

Tätowierer*innen sehen sich oft auch als Künstler*innen. Es ist also klar, dass es ihnen wenig Spaß macht, kleine Sterne zu tätowieren. Es gibt aber noch mehr, das ihnen den letzten Nerv raubt.

Olli berichtet, dass ihm oft Fragen á la "Kannst du mir eine Zeichnung machen, die ich dann allen meinen Freunden zeige und wenn nicht alle es cool finden, mache ich es nicht?" gestellt werden. Auch die endlose Diskutiererei um das Geld sei ermüdend, sollte doch bekannt sein, dass eine Dienstleistung ihren Preis hat.Auf Reddit fragte ein User unter der Überschrift "Tattoo Artists, which tattoo trends are you sick of?" kürzlich Tätowierer*innen, welcher Tattoo-Trend sie am meisten nervt. Das Forum hat schon jetzt über 8000 Kommentare, viele User, die sich als Tattoo-Künstler*innen outeten, nutzten die Plattform bereits, um sich ordentlich auszukotzen.

Dabei geht es nicht nur um die Motive, auch der Umgang der Kunden mit der Tätowierung wird angeprangert – etwa, wenn sie ganz ohne eine Idee im Laden erscheinen und sich augenscheinlich vorher nicht einmal damit beschäftigten, was sie den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen werden.

Wer sich durch das Forum scrollt, bekommt man ein gutes Bild davon, was besser vermieden werden sollte, wenn er*sie Tätowierer*innen nicht auf die Nerven gehen möchte.

Dieser hier hat beispielsweise genug von asiatischen Schriftzeichen:

Dieser Tätowierer sagt von sich, er steche schon, bevor das Internet eine große Sache wurde. Am meisten regen ihn nicht "trendy" Tattoos auf, sondern Menschen, die meinen sie seien trendy, weil sie sich ein Tattoo stechen lassen. Und dann auch noch um das Geld feilschen:

Diese Tätowiererin ist genervt davon, dass ihre Kund*innen ihr nicht zuhören, wenn sie ihr Empfehlungen gibt – schließlich hat sie ja die Erfahrung. Sie rät allen, die sich ein Tattoo stechen lassen, mehr auf die Expertise ihrer Tätowierer*innen zu vertrauen, vor allem wenn es dazu kommt, welches Motiv an welcher Körperstelle passend ist:

Dieser Künstler wünscht sich, dass Kund*innen mehr Vertrauen in seine Zeichnungen legen – schließlich müsse es doch nicht immer so schnell gehen:

Mehr out als dieser Spruch ist nichts, denkt dieser Tätowierer:

An zusammenhangslosen Worten ist nichts "inspirierend", sagt dieser Tattoo-Künstler:

Und dieser Tätowierer wünscht sich, dass Kund*innen vorher klar werden, was sie für immer unter die Haut stechen lassen wollen:

Nachdenken bitte vor dem Tattoo, nicht danach

Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, Bekannten zu raten, dass sie sich zuerst ernsthaft fragen sollen, ob sie wirklich ein Tattoo wollen, wenn sie mit der Körperkunst liebäugeln.

Wenn die Entscheidung gefallen ist, gibt es weitere Fragen, die jede*r sich stellen sollte:

  • Welches Motiv soll es sein und vor allem: warum?
  • Habe ich umfangreich recherchiert, mir die Arbeiten verschiedener Künstler angesehen?
  • Weiß ich, welcher Stil mir am besten gefällt und welcher Tätowierer das drauf hat?
  • Könnte ich allergisch gegen die Farben sein?
  • Im Studio: Wie sieht's mit der Hygiene aus?

Abgedroschen, aber wahr: Ein Tattoo ist eine Entscheidung fürs Leben und muss daher sorgfältig durchdacht und geplant werden. Oder, um es mit den Worten von Olli zu sagen: "Think before you ink."