Der Straßenkarneval ist vorbei, das Sündenkonto ist voll. In Köln muss Dienstagabend einer dafür büßen: der Nubbel. Wenn die Narrenzeit ihr trauriges, ausgenüchtertes Ende erreicht hat, muss der Nubbel dran glauben. Wer? Na, so eine Strohpuppe in Menschengröße. Warum? Weil er schuld ist. Und woran? Eben an allem. Um genauer zu sein: Er ist an allem schuld, was pfui ist und sich auf dem Straßenkarneval zugetragen hat; seit Donnerstag, also Weiberfastnacht oder Altweiber, bis Aschermittwoch, wenn alle wieder reumütig schwören, in der vierzigtägigen Fastenzeit fromme Menschen zu sein. Und wer mal Straßenkarneval gefeiert hat, weiß, dass das Sündenkonto bis dahin einen gefühlt unmessbaren Stand erreicht haben kann.

Die Menge fordert Rache. Der Nubbel muss brennen.

In verschiedenen Kölner Vierteln wird daher der Nubbel Jahr für Jahr traditionellerweise am Dienstag um 24 Uhr mit Kerzenlicht auf den Scheiterhaufen getragen. Eine meist im Kostüm eines Geistlichen gekleidete Person liest zunächst die Anklageschrift vor: Der Nubbel sei schuld, dass man an Karneval fremdgegangen ist. Der Nubbel sei schuld, dass man an Karneval den letzten Pfennig ins Kölschglas investiert hat. Er sei schuld daran, dass man seiner Chefin in den Schoß gekotzt hat.

Da die abendländische Kultur bekanntermaßen dazu neigt, Dinge und Personen zu Sündenböcken zu erklären und sie anzuzünden, wird dann johlend das bittere Urteil gefällt: 'Dat wor der Nubbel! Der Nubbel hat Schuld!'

Während die Menschenmenge den Unglücklichen zu Beginn noch in Schutz nimmt, siegt am Ende doch das schlechte Gewissen über die Missetaten der letzten Tage – und der Wunsch, davon bereinigt zu werden. Da die abendländische Kultur bekanntermaßen dazu neigt, Dinge und Personen zu Sündenböcken zu erklären und sie anzuzünden, wird dann johlend das bittere Urteil gefällt: "Dat wor der Nubbel! Der Nubbel hat Schuld!" Die Menge fordert Rache. Der Nubbel muss brennen.

Nach dem Straßenkarneval kommt jede Ausrede gelegen

Diese martialisch anmutende Tradition, die bei Menschen außerhalb des Rheinlands zu schallendem bis schockiertem Gelächter führen kann, hat ihren Ursprung wahrscheinlich irgendwo im 19. Jahrhundert. Über den ursprünglichen Sinn und Zweck dahinter gibt es unterschiedliche Erzählungen, der Nubbel als Sündenbock ist wohl eher eine moderne: Früher soll das Ritual noch eine symbolische Vernichtung des fröhlichen Lebens durch das Feuer gewesen sein, das dann im christlichen Glauben durch die Fastenzeit abgelöst wird. Ähnliches wird tatsächlich nicht nur in unterschiedlichen deutschen Städten praktiziert, wie etwa mit einem Strohbär in Tübingen, sondern auch an verschiedenen Orten Europas, etwa beim Karneval in Venedig oder im französischen Lothringen.

Um die eigene Erzählung des Nubbels als treibende, böse Kraft hinter der Karnevalsgaudi zu untermauern, werden Strohpuppen, also Nubbels, in vielen Kölner Kneipen bereits zu Beginn des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht über die Eingangstür gehängt. So kann man am Ende zumindest behaupten, der Nubbel habe ja alles beobachtet, aber nicht eingegriffen. Manchen Karnevalist*innen ist am Ende dann wohl jede Ausrede recht.