Alle Jahre wieder begegnen uns pünktlich zur Weihnachtszeit Spendenaufrufe und Sammelbüchsen für den guten Zweck. In den vergangenen Wochen haben außerdem verschiedene Influencer*innen mit Bildern aus dem globalen Süden auf die Tränendrüse drücken wollen. In den Instagram-Storys von Profis wie Model Stefanie Giesinger, YouTuberin Hatice Schmidt und Bloggerin Carmushka konnten die Follower*innen dabei zusehen, wie sie in Malawi zusammen mit verschiedenen gemeinnützigen Organisationen die Spendentrommel rührten. Mit im Gepäck war nicht nur ein Outfit im Kolonialstil, sondern auch der White Savior Complex (deutsch: Weiße*r-Retter*in-Komplex), das Phänomen, wenn weiße Westler*innen in den globalen Süden reisen und, vor allem in Zeiten von Instagram und Co., ihre Erlebnisse für die Öffentlichkeit dokumentieren, was das Zeug hält.

Die Aspekte und Problematiken sind fast so vielseitig wie entsprechende Angebote für Volunteerprojekte und Auslandspraktika, die sich fast überwiegend an junge angehende Akademiker*innen nördlich des Äquators richten.

Inszenierte Held*innengeschichten

In seinem 2012 im The Atlantic erschienen Essay beschreibt der US-Amerikaner Teju Cole den problematischen Habitus weißer Menschen, sich in Ländern des globalen Südens im Kontext von Rettungsmissionen, sogenannter Entwicklungshilfe, als edle, weiße Retter*innen zu inszenieren: der 

White Savior Complex. Problematisch sieht er hierbei nicht nur die fortlaufende Geschichtsschreibung, in der der globale Süden als unterentwickelt und hilfsbedürftig dargestellt wird, oder die Tatsache, dass die Länder nur als eine Art Kulisse, als Zentrum potenzieller Held*innengeschichten dienen. Die Aspekte und Problematiken sind fast so vielseitig wie entsprechende Angebote für Volunteerprojekte und Auslandspraktika, die sich fast überwiegend an junge angehende Akademiker*innen nördlich des Äquators richten: Hilfe leisten, Freude schenken, etwas zurückgeben, den Lebenslauf aufhübschen – all das steht hier nach dem Abitur auf dem Programm.

Die, die mit noblen Absichten anreisen, zahlen oftmals selbst immense Summen an Veranstalter*innen, um am Ende als ungelernte Kraft für einen kurzen Zeitraum Kinder zu betreuen, Schulunterricht zu geben oder medizinische Erstversorgung zu leisten – ein in Deutschland unvorstellbares Bild. Beliebte Anbieter*innen wie praktikawelten.de oder freiwilligenarbeit.de werben auf ihren Webseiten mit bunten Bildern von Schildkrötenfarm bis Affen-Auffangstation. Auch Jugendarbeit, Betreuung von Aids-Waisen oder das Unterrichten an Schulen sind buchbar wie eine spontane Reise. Vier Wochen in einer Schule auf Sansibar ganz ohne Ausbildung schon ab 2.020 Euro.

Alles nur für Instagram

Die Bilder, die vor wenigen Wochen auf Instagram kursierten, unterstreichen ein klassisches Helfer*innen-Sujet: Inmitten von Schwarzen Kindern sehen wir Germany's Next Topmodel-Gewinnerin Stefanie Giesinger Fußball spielen, gehen gemeinsam mit Hatice Schmidt in die Wohnräume einer Familie in Malawi oder legen den Grundstein einer Schule, die den Namen der Kölner Bloggerin Carmushka trägt. Viele der Posts gibt es heute nicht mehr. Die Urheber*innen haben sie aus den Weiten des Internet entfernt, als ihnen der Gegenwind zu stark wurde. Stefanie Giesinger versucht es sogar mit einer Entschuldigung.

Hinter den ehrwürdigen Motiven und dem Posen für den guten Zweck stecken oftmals vor allem Deals und Kampagnen, die den strippenziehenden Organisationen durch die Postings der Influencer*innen mehr Reichweite einbringen sollen. Hier wäscht eine Hand die andere. Denn was am Ende vielleicht auch mehr Spendengelder einbringen mag, wirkt sich tendenziell positiv auf die Reputation der Instagram-Stars aus.

So glücklich, obwohl sie nichts haben.

Doch im Zentrum stehen hier weder die Hilfsprojekte noch die Personen vor Ort. Wir sehen Selfies und Gruppenaufnahmen stets mit den betreffenden Instagrammer*innen im Mittelpunkt, die uns die immer gleiche Geschichte der demütigen weißen Reisenden erzählen, ohne die der globale Süden scheinbar verloren wäre. Diese Darstellungen und Eindrücke manifestieren nicht nur ein immer gleiches Bild des Südens, sie entmenschlichen auch die fortwährend als Requisiten inszenierten Protagonist*innen vor Ort. Gesichter ohne Namen, abgelichtet für ein, zwei rührende Bilder, beschrieben mit Worten, die aussagen, was für eine großartige Erfahrung es für die Reisenden doch war, wie dankbar sie nun sind. Und erst die Menschen: So glücklich, obwohl sie nichts haben. Die Liste der Floskeln ist lang.

Hilfe, die auch ankommt

Auch bei sogenannter Entwicklungshilfe im Kleinen werden Strukturen manipuliert, Misslagen ausgenutzt und autonome Veränderungen verhindert. Wer helfen will – Kindern in Not oder bedrohten Tieren, lokalen Krankenhäusern oder Anwohner*innen, die von andauernder Armut in ihren Heimatländern bedroht sind –, spende doch bitte direkt an die Kommunen, an lokale Initiativen und Projekte, die unabhängig der westlichen Hand funktionieren. An die Krankenhäuser, die Auffangstationen und die Schulen, die sich dann selbstständig um neue Arbeitskräfte und ausgebildetes Fachpersonal kümmern, ohne dass jemand um die halbe Welt fliegen muss, um sich als unentbehrlich zu inszenieren.