Sind die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie verhältnismäßig oder ein inakzeptabler Eingriff in unsere Freiheitsrechte? Es mehren sich Stimmen gegen die Corona-Maßnahmen. Sogenannte Corona-Skeptiker*innen wollen die Maskenpflicht abschaffen und das Gebot des Social Distancing aufheben. Sie behaupten, die Corona-Pandemie sei nichts weiter als eine Grippe. Seit Mitte April formieren sich Teile von ihnen in einer selbsternannten Partei. Sie nennt sich Widerstand2020.

Die Website der Gruppe wurde vor drei Wochen von der angehenden Psychologin Victoria Hamm erstellt. Sie habe sich angesichts der Corona-Maßnahmen machtlos gefühlt, erklärte Hamm ZDFheute, und wollte "Widerstand leisten". Der Leipziger Anwalt Ralf Ludwig stieß auf die Seite und meldete sich bei ihr – die beiden beschlossen, zusammenzuarbeiten. Als prominenten Unterstützer suchten sich Hamm und Ludwig den Arzt Bodo Schiffmann, der in einer Schwindelambulanz arbeitet.

Bodo Schiffmann ist ein bekannter Kritiker der Corona-Maßnahmen. In YouTube-Videos verbreitet er regelmäßig Ansichten, die von den meisten seriösen Wissenschaftler*innen abgelehnt werden. Zum Beispiel, dass das Coronavirus nicht gefährlicher sei als die Grippe, dass die Ausgangs- und Kontaktbegrenzungen nicht gerechtfertigt gewesen seien und Medien sowie Politiker*innen eine Massenpanik verbreiten würden (einen gründlichen Faktencheck zu den Aussage Schiffmanns gibt es bei correctiv).

Schiffmann, Ludwig und Hamm sind die Gründungsmitglieder von Widerstand2020. Laut eigenen Angaben sollen sich der Gruppe inzwischen über 100.000 Menschen online angeschlossen haben.

Die Gefahr der Instrumentalisierung von rechts

Widerstand2020 ist nicht der einzige Akteur unter den Corona-Skeptiker*innen. Seit März finden in unterschiedlichen Städten Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung statt. Bei einer dieser Demos in Stuttgart sprach auch Widerstand2020-Gründer Ralf Ludwig und warnte vor einem vermeintlichen Impfzwang, den die Bundesregierung umsetzen wollen würde. Deutschlandweit lässt sich beobachten, dass neben verunsicherten Bürger*innen und Impfgegner*innen auch Mitglieder der extrem rechten Szene an den Versammlungen teilnehmen: NPD-Funktionäre, rechtsextreme Video-Blogger und antisemitische Verschwörungsideolog*innen.

Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent und Thüringens DGB-Vorsitzender Sandro Witt warnten jüngst in einem Paper (PDF) vor einer Vereinnahmung der Corona-Krise durch Rechtsextreme. Dort schreiben sie: "Die Protagonisten geben dabei vor, weder rechts noch links zu sein, sondern das Volk erwecken und vereinen zu wollen. Sie missbrauchen Unzufriedenheit und Naivität von Mitläufern und schaden letztlich legitimen, demokratischen Anliegen wie dem Schutz von Grundrechten."

Droht auch dem neuen Zusammenschluss Widerstand2020 eine Unterwanderung von rechts? Und welche Nähe zu Verschwörungsideologien lassen sich bei den Gründer*innen beobachten? Darüber haben wir mit dem Rechtsextremismusforscher Simon Brost von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus gesprochen.

ze.tt: Simon, ist es ein legitimes Anliegen, gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu protestieren?

Simon Brost: Es ist selbstverständlich, dass es eine kritische Debatte um Grundrechtseinschränkungen geben muss. Es ist auch legitim, sich zu vernetzen. Ich glaube allerdings nicht, dass die Auseinandersetzung wie sie bei Widerstand2020 oder bei den 

Demonstrationen gegen die Maßnahmen geführt wird, zu Lösungen beiträgt, die in einer Demokratie notwendig wären.

Wieso nicht?

Ich beobachte bei der ganzen Protestbewegung gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen, dass zugelassen wird, dass der Raum mit Verschwörungserzählungen befüllt und von Rechtsextremen benutzt wird. An den Demos ist so gefährlich, dass sie ursprünglich meistens nicht vom rechtsextremen Spektrum organisiert wurden, sondern eher von einer sich gesellschaftskritisch gebenden Mitte. Aber die Organisator*innen halten den Raum nach rechts teilweise bewusst offen. Das ermöglicht es Rechtsextremen, mit ihren antisemitischen Verschwörungserzählungen anzudocken.

Wir beobachten, dass die Krise Ängste auslöst, die dann zu Ressentiments beispielsweise gegen Wissenschaftler*innen und Wissenschaft werden. Ihre Befunde, welche die Gefahr des Virus und die Notwendigkeit des Infektionsschutzes mehrheitlich belegen, werden ersetzt durch häufig verschwörungsideologische Erklärungsmuster.

Wie sehen diese Verschwörungen beispielsweise aus?

Wenn wir über Verschwörungserzählungen sprechen, müssen wir sehr häufig auch über Antisemitismus sprechen. Wir beobachten zum Beispiel die Tendenz, historische Analogien zwischen Corona-Eindämmungsverordnung und dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten zu ziehen. Es wird von einem neuen 1933 geredet, man sieht Demonstrierende mit Armbinden, auf denen ein sogenannter Judenstern abgebildet ist.

Man begibt sich selbst in die Position von verfolgten Jüd*innen, womit man deren historische Erfahrung unsichtbar macht.
Simon Brost

Diese Aussagen sind frei von Empathie und historischem Wissen. Sie bagatellisieren Antisemitismus und relativieren den Nationalsozialismus. Man begibt sich selbst in die Position von verfolgten Jüd*innen, womit man deren historische Erfahrung letztlich unsichtbar macht. Solche Aussagen stoßen offensichtlich auch bei den Teilen der politischen Mitte, die sich in diesen Netzwerken bewegen, nicht auf Widerspruch. Das resultiert natürlich aus einer unzureichenden Auseinandersetzung mit der deutschen NS-Geschichte, die weit über rechtsextreme Gruppen hinaus zu beobachten ist.

Eine strukturell antisemitische Verschwörungserzählung, wie wir sie häufig bei den Demonstrationen beobachtet haben, äußert sich beispielsweise auf T-Shirts, auf denen Gib Bill Gates keine Chance steht. Die Stiftung von Bill und Melinda Gates hätte die Weltgesundheitsorganisation unterwandert, sie würde von der Entwicklung eines Impfstoffs finanziell profitieren wollen. Häufig wird sogar nahegelegt, Bill und Melinda Gates hätte deshalb die Pandemie in die Welt gesetzt. Das ist jetzt nicht bezogen auf das Ehepaar Gates selbst antisemitisch, aber das Argumentationsmuster ist es.

Und diese antisemitischen Verschwörungserzählungen findet man auch bei Widerstand2020?

Im Moment kann man noch nicht sagen, ob sich diese rechtsextremen Verschwörungsideologien auch bei Widerstand2020 ansiedeln, weil das Projekt meines Wissens nach noch keine eigenen Versammlungen organisiert hat. Aber ich glaube schon, dass es da zumindest Berührungspunkte gibt und die Mitglieder einem Milieu entstammen oder ihm nahestehen, wie es sich auch bei den sogenannten Corona-Demonstrationen zusammenfindet. Das sieht man beispielsweise an der Rede des Mitbegründers Ralf Ludwig bei einer Anti-Corona-Demonstration in Stuttgart. Dabei bedient er die Erzählung, es würde ein Impfzwang vorbereitet werden.

Diese Erzählung bedient auch der YouTube-Kanal KenFM. Der Widerstand2020-Mitbegründer Bodo Hoffmann hat sich dort zwei Stunden von Ken Jebsen interviewen lassen – das zeugt zumindest nicht von einer kritischen Distanz und lässt die Frage offen, inwieweit sich hier ein Medium gesucht wurde, das den eigenen Ansichten nahe steht.

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In diesem Interview vergleicht Schiffmann die Eindämmungsmaßnahmen ebenfalls mit dem Ermächtigungsgesetz.

Ich würde sagen, es gibt einen Unterschied zwischen der Bewertung einer einzelnen Äußerung als antisemitisch und einer allgemeinen Aussage über die Person, die sie getroffen hat. Dennoch muss sich Widerstand2020 die Aussage eines ihrer zentralen Akteure durchaus anrechnen lassen – insbesondere, da sich die anderen Gründer*innen nicht davon distanziert haben.

Die Gleichsetzung der Corona-Eindämmungsverordnung mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten ist nicht nur ein falscher, sonder meiner Meinung nach auch ein politisch motivierter Vergleich. Das ist relativiert die mit dem Ermächtigungsgesetz einhergehenden nationalsozialistischen Verbrechen und trägt zu einer Desensibilisierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem NS insgesamt bei.

Eine Erscheinungsform von Antisemitismus ist die bewusste Verharmlosung des Nationalsozialismus, insbesondere der Shoa, mit dem Ziel der Schuldabwehr. Dabei sind diese Art von Vergleichen ein verbreitetes Mittel. NS-relativierende Aussagen wie die von Schiffmann können Antisemitismus befeuern.

Wo im politischen Spektrum würdest du Widerstand2020 positionieren?

Eine eindeutige begriffliche Einordnung fällt momentan noch schwer, da es bislang kein Parteiprogramm gibt – deshalb kann man auch noch nicht wirklich von einer Partei sprechen, eher einem vorwiegend digitalen Zusammenschluss. Das Projekt knüpft aber in den wenigen bisher einsehbaren Verlautbarungen an ein rechtspopulistisches Argumentationsmuster an, wenn es beispielsweise auf der Website schreibt, dass es bislang keine Partei geben würde, die für eine wahrhaftige Demokratie und für Menschlichkeit einstehe.

Die Annahme, es gäbe so etwas wie den einen Volkswillen, der nur von der einen Partei erkannt wird, ist rechtspopulistische Rhetorik.
Simon Brost

Was sie damit zumindest implizit sagen, ist, dass sie diese Lücke füllen. Die Annahme, es gäbe so etwas wie eine wahrhafte Demokratie, diesen einen Volkswillen, der nur von der einen Partei erkannt wird, ist ein wichtiger Bestandteil von rechtspopulistischer Rhetorik. Dabei wird ein Widerspruch aufgemacht zwischen dem Wir, dem Volkswillen und denen da oben, den entfremdeten Eliten, um sich selbst als Lösung anzubieten.

Widerstand2020 nennt seine Anhänger*innenschaft auf Social Media Widerständler*innen. Es handelt sich um eine abstrakte Form von Widerstand gegen die da oben. Eine sehr ähnliche Widerstandserzählung findet sich auch bis weit hinein in die rechtsextreme Szene. Das heißt aber nicht, dass das komplette Projekt rechtspopulistisch ist. Es gibt aber eine Dynamik vor, die weiter beobachtet werden muss.

Warum bleibt Widerstand2020 bislang so diffus in seinen Forderungen?

Ihr Zusammenschluss ist gedacht als Sammelbecken, in dem die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gebündelt werden sollen. Dabei haben sie Offenheit zum Prinzip erklärt – und meinen damit offenbar auch eine Offenheit nach rechts. Denn eine wirksame Abgrenzung nach rechts kann ich bislang noch nicht erkennen.

Aber in der Satzung heißt es, man grenze sich von totalitären und faschistischen Bestrebungen ab. Ist das nicht glaubhaft?

Das kommt immer darauf an, welche Dinge als faschistisch oder totalitär definiert werden. Sind die Corona-Eindämmungsmaßnahmen beispielsweise schon totalitär oder sogar faschistisch? Dann wäre das eine Definition, die keinen Widerspruch zu rechtsoffenen Erzählungen der Krise darstellen würde .

Gab es Reaktionen von anderen Akteur*innen der extremen Rechten?

Was wir jetzt schon sehen können, ist, dass Rechtsextreme und -populist*innen die Anti-Corona-Proteste und somit auch Widerstand 2020 als Chance für sich entdeckt haben. Zum Beispiel behauptet Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung in Österreich, mit einem der Gründer schon ein gutes Gespräch geführt zu haben. Er hat auch einen strategischen Ansatz skizziert, wie mit dem Projekt umzugehen sei: Dass man trotz inhaltlicher Differenzen in anderen Fragen hineingehen solle, um die Dynamik für die eigenen Zwecke zu nutzen.

Über Projekte wie Widerstand2020 findet eine Vernetzung statt: Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte werden mit rechtsextremen Verschwörungsideolog*innen zusammengebracht.
Simon Brost

Bei der Haltung der AfD zur Corona-Krise konnte man eine gewisse Veränderung feststellen. Zunächst hat sie die Regierung permanent dafür kritisiert, die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht schnell und hart genug umzusetzen. Nicht wenige Wähler*innen haben das der Partei übel genommen und sich in deren Positionen nicht mehr wiedergefunden.

Jetzt beobachten wir bei der Partei immer stärker die Tendenz, die verlorengegangenen Milieus wieder an sich binden zu wollen und sich an die Spitze der Demos zu setzen. Aus der Bundestagsfraktion kamen auch schon einzelne wohlwollende Äußerungen zu Widerstand2020, die eine Zusammenarbeit in den Raum stellten. Gleichzeitig weichen manche Äußerungen der Widerstand2020-Mitbegründer*innen, beispielsweise zur Geflüchtetenpolitik, von der AfD-Linie ab.

Welche Gefahren siehst du in Projekten wie Widerstand2020?

Sieht man sich die Texte auf der Website an, bekommt man den Eindruck, dass das Projekt versucht, möglichst viele Perspektiven zu vereinen und dazu einladen, sich mit einzubringen – und das öffnet den Raum für rechtsextreme Positionen. Und man kann bisher nur sehr wenig beobachten, dass dem etwas entgegengesetzt wird. Das ebnet den Weg für rechtsextreme Positionen in die gesellschaftliche Mitte. Deshalb ist es wichtig, aufmerksam zu bleiben und Tendenzen offenzulegen.

Im Grunde findet über Projekte wie Widerstand2020 eine Vernetzung statt: Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte werden mit rechtsextremen Verschwörungsideolog*innen zusammengebracht, ohne, dass da Widerspruch stattfindet. So wird eine diffuse Kritik und Skepsis mit rechtsextremen Erzählungen verbunden. Und das ist eine sehr bedenkliche Kombination.

Eine Gefahr besteht auch darin, dass die aktuelle Dynamik, die sich in beinahe täglich neuen Mobilisierungen ausdrückt, Einzelne radikalisieren könnte – bis hin zur Gewalt.

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