Küsschen auf zartrote Nasenspitzen, prasselndes Kaminfeuerchen, blanke Besinnlichkeit: Weihnachten ist der Gipfel der Gemütlichkeit für jede Beziehung. Oder? Tja, der festliche Harmonie- und Romantikdruck legt sich leider nicht selten wie eine dicke Schneedecke über alles und erstickt auf Dauer jedes noch so warme Liebesgefühl. Spätestens am zweiten Weihnachtstag liegen die Nerven blank.

"Weihnachten ist vor allem Beziehungsstress, weil wir erwarten, dass alles friedlich und harmonisch zugeht", sagt der Therapeut und Buchautor Dr. Wolfgang Krüger. Und wenn das nicht so ist, knallt’s. Ein Drittel aller Trennungen erfolgt laut Dr. Krüger in der Weihnachtszeit.

Gründe für den festlichen Fetzenflug gibt es viele. Hauptsächlich geht es aber um unterschiedliche Erwartungen, um die Familien und auch um Geschenke.

Erwartungen an Weihnachten

Jede*r hat andere Vorstellungen vom idealen Weihnachtsfest. Nur eins ist allen klar: Ideal soll es sein. Das kennt auch die Beziehungsexpertin Andrea Bräu: "Man will alles perfekt machen, jeder muss sich lieben, das Essen muss fantastisch sein. Das sind hohe Ansprüche an sich selbst, das Fest und die anderen."

Wie diese weihnachtliche Perfektion allerdings genau aussieht, unterscheidet sich erheblich. Die einen würden sich am liebsten drei Tage lang im Flanellpyjama auf der Couch rekeln und Filme gucken; die anderen bevorzugen feierliches Outfit, Glanz und Gloria.

Laut einer Umfrage von Elite Partner ist fast jede*r zweite Befragte vom Weihnachtsperfektionismus des*der Partner*in genervt. Da drängt sich natürlich die Frage auf, warum man sich das in der Form eigentlich antut. Ein Grund dafür ist nicht selten die erweiterte Familie.

Familie und Verwandtschaft

Wo unterschiedlichste Biografien, Traditionen und Wertevorstellungen auf engem Raum zusammenkommen und miteinander muckelig sein müssen, da steigt der Druck im Kessel. Und noch mal mehr, wenn zahlreiche Gäste zu Besuch sind und bespaßt werden wollen. "Oft sind Menschen hier lange Zeit zusammen, manchmal tagelang mit weit angereisten Verwandten. Das macht oft instabil und somit Stress", sagt Andrea Bräu.

Gestritten wird um alles mögliche – ist der Baum tatsächlich schief? Warum wählt Onkel Hubert die Grünen? Wieso hat Cousine Marta schon zwei Kinder und Jochen noch keins? Weshalb muss Vati unbedingt veganen Braten haben? Und wieso trinkst du jetzt doch den Whisky?

Besonders innerhalb von Beziehungen kommen zum Fest Spannungen auf. "Im Grunde ist es ganz egal, worüber gestritten wird, es ist ja viel interessanter, warum und wie Paare streiten", sagt Andrea Bräu. "Hier gucke ich nicht auf die Sachebene, sondern auf die Beziehungsebene." Also, geht es bei der hitzigen Diskussion um den Baum womöglich gar nicht um den Baum, sondern um etwas ganz anderes?

Unterschwellig schwelende Konflikte lassen die Weihnachtsfeiertage zum emotionalen Balanceakt werden. "Man ist wesentlich weniger tolerant, wenn es Disharmonien gibt", sagt Dr. Krüger. Ein falsches Wort – und die Lage eskaliert. Tage- oder auch nur stundenlang wie auf rohen Eiern zu gehen und jedes Wort, jede Silbe, jede Geste auf die Goldwaage zu legen, das kostet unglaublich viel Energie und stresst enorm.

Geschenkestress

"Dieses Jahr schenken wir uns aber wirklich nichts" – heftiges Nicken. Und dann rennen beide doch los und besorgen "bloß eine Kleinigkeit", um Zuneigung zu zeigen. Und auch, weil keine*r von beiden mit leeren Händen vor den Weihnachtsbaum will, falls der*die andere doch was kaufen sollte – das muss aber selbstredend etwas Besonderes sein. Ächz.

"Wir erwarten, dass sich der andere freut, weil wir uns dadurch bestätigt fühlen. Und genau das führt zu einem unerträglichen Psychodruck", sagt Dr. Krüger.

Dabei muss dieser Geschenkestress überhaupt nicht sein. Diesbezügliche Enttäuschung ist nämlich oft gar nicht so groß und weit verbreitet, wie möglicherweise befürchtet. Laut der Umfrage stört sich nicht mal ein Drittel an eher gewöhnlichen Gaben wie Socken, Parfüm oder Gutscheinen.

Wie wäre es also damit, sich einfach mal wirklich nichts schenken – oder ein Limit zu setzen. "Man kann zum Beispiel vereinbaren, dass man sich zu Weihnachten nicht zu viele Geschenke macht, oder eine Preisgrenze festlegen", rät Dr. Krüger. Und sich dann – verrückter Vorschlag – tatsächlich an gemachte Absprachen halten.

So wird Weihnachten entspannter

Doch nicht immer muss Weihnachten zwangsläufig die Hölle sein. Manche Paare lassen es auch entspannt angehen und haben eigene Wege gefunden, ein schönes Fest zu verbringen. Indem sie zum Beispiel nur Leute besuchen, die sie wirklich mögen. Oder nur tun, was beide tatsächlich wollen – und sich damit frei machen vom Festlichkeitsfieber.

"Man kann 14 Tage vor dem Fest den Partner oder die Partnerin fragen, was man dafür tun kann, dass er oder sie glücklich ist und sich danach richten. Dann entsteht jene entspannte Stimmung, die das Fest gelingen lässt", sagt Dr. Krüger. Manche Paare feiern auch getrennt voneinander und vermeiden so anstrengende Diskussionen darüber, wo denn nun Heiligabend, erster und zweiter Weihnachtstag verbracht werden sollen.

Einige Paare mit Kindern haben beispielsweise entschieden, dass die Kinder zum Fest nicht herumfahren sollen und die Feierlichkeiten deshalb zu ihnen nach Hause verlegt.

Doch egal, welche Lösung gefunden wird: Es ist wichtig, das den beteiligten Familien klar zu kommunizieren. Und als Paar, ob mit oder ohne Kinder, eigene Traditionen zu entwickeln. Ob das nun Raclette, Karaoke, Flanellpyjama oder Lichterkettenexzess bedeutet. Mehr gemeinsame Entspannung, weniger Perfektion, dazu rät auch Andrea Bräu: "Chillen, die Ansprüche runterschrauben, sich nichts schenken – das entlastet enorm. Oder verreisen."

Letztlich zählt zu Weihnachten nämlich nicht, wer wem was schenkt, ob der Baum zu dünn oder zu schief ist, ob die Kugeln rot oder blau sind, echte Kerzen oder Lichterkette … Im Grunde geht es um das schönste, kostbarste und wichtigste aller Geschenke: gemeinsame Zeit.