Die E-Mail kam Mitte Februar. Ich hatte schon hoffnungsvoll auf sie gewartet. "Ich freue mich, Dir mitteilen zu können", begann sie. Eine Zusage! Ich hatte einen von den zwei begehrten Plätzen für Glasgow ergattert – meinem Erasmus-Semester von Herbst an in Schottland stand also nichts mehr im Weg. Dachte ich. Denn die E-Mail hatte noch einen zweiten Absatz. Darin stand sinngemäß, dass es bei einem harten Brexit leider doch nichts wird mit meinem Auslandsaufenthalt. Alle Hochschulpartnerschaften im Rahmen des Erasmus-Programms würden dann schon ab dem kommenden Sommersemester ausgesetzt, das wisse meine Uni seit einer Woche.

Bitte was? "Nein nein, ein Austausch ab Herbst ist trotz Brexit gar kein Problem", sagte die Erasmus-Koordination auf meine Nachfrage beim Beratungsgespräch. Natürlich hatte ich den nahenden Brexit auf dem Schirm und wollte daher sichergehen, dass er mir nicht in meine Pläne hineinpfuscht. Tja, dumm gelaufen. Klar hat mich der Brexit schon vorher beschäftigt, aber nun betrifft er mich unmittelbar. Von ihm hängt plötzlich ab, ob ich ein Auslandssemester machen kann.

Ich fühle mich betrogen.
Autorin Elena Everding

Ich bin wütend. Und ich fühle mich betrogen. Nicht von meiner Uni, die kann ja auch nichts für den ganzen Mist. Sondern von den ganzen Brexit-Befürworter*innen, von Theresa May, der britischen Regierung – eben allen, die diese saudumme Idee, den Brexit, ermöglicht haben und jetzt dilettantisch und sehr peinlich versuchen, ihn irgendwie umzusetzen.

Der No-Deal-Brexit wird immer wahrscheinlicher

Gut, vielleicht bin ich etwas übertrieben emotional. Aber das Semester in Glasgow ist mein absoluter Wunsch-Erasmusplatz. Ich sah mich schon, wie ich dort das Erasmus-Leben genieße, auf dem hübschen Campus Kurse besuche, Abende in Pubs verbringe oder die nahegelegenen schottischen Highlands besuche. Weil die beiden Glasgow-Plätze so beliebt sind, rechnete ich nicht unbedingt mit einer Zusage, umso mehr hatte ich mich über sie gefreut. Gäbe es nicht diesen Haken.

Der Brexit durchkreuzt die Pläne aller Europäer*innen, die ihr Erasmus-Jahr in Großbritannien Anfang April oder später starten wollen. Mitte Februar lehnte das britische Unterhaus zum zweiten Mal das Austrittsabkommen ab, welches die Regierung mit der EU ausgehandelt hatte. Der Brexit-Termin sollte ursprünglich der 29. März sein. Doch der Austritt wird nach hinten verschoben, am 22. Mai soll es dann soweit sein – aber nur, wenn das Unterhaus dem Abkommen zustimmt. Wenn das nicht passiert, ist eine Verschiebung immer noch möglich. Dann muss aber noch entschieden werden, ob Großbritannien an der Europawahl am 23. Mai teilnimmt.

Auch nach dem Brexit ist ein Auslandssemester möglich – aber zu sehr hohen Kosten

Es ist also kompliziert. Das Hin und Her verfolge ich nun seit Wochen mit einer Mischung aus Hoffen und Resignation. Denn: Gibt es keinen Deal, wäre das Vereinigte Königreich ab dem Austrittstermin, wann auch immer der ist, kein Erasmus-Land mehr, und meinen Austausch könnte ich vergessen. Wer am Austrittstermin schon im Erasmus-Semester ist, hätte noch einmal Glück gehabt. Diejenigen könnten es laut einem Notfallvorschlag der EU-Kommission trotz fehlendem Abkommen fortsetzen.

Gibt es doch noch einen Deal, ist Großbritannien immerhin noch bis Ende 2020 Erasmus-Land. Die Frage ist nur: Wann weiß ich sicher, ob mein Erasmus-Semester klappt oder nicht? Im schlechtesten Fall muss ich innerhalb weniger Wochen den kompletten Auslandsaufenthalt organisieren. Mir bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten.

Studieren in Großbritannien können Europäer*innen auch nach dem Brexit noch – die, die es sich leisten können. Bis zu 10.000 Euro müssen Studierende pro Jahr regulär dort zahlen. Mit Erasmus dagegen können Studierende bis zu einem Jahr in einem anderen EU-Land ohne Gebühren studieren. Stattdessen gibt es Geld: Im Schnitt 325 Euro im Monat für jede*n Austauschstudierenden durch das Erasmus-Stipendium, je nach Gastland. Viel günstiger komme ich im Studium wohl nicht an einen Auslandsaufenthalt.

Die Alten haben die Jungen überstimmt

Was mich am meisten aufregt: Wir, die jungen Menschen in Europa und Großbritannien haben den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs nie gewollt. Die 18- bis 24-Jährigen haben sich beim Referendum am stärksten gegen den Brexit ausgesprochen, während nur ein Fünftel von ihnen für den EU-Austritt waren. Überstimmt wurden sie allerdings von den zahlenmäßig überlegenen älteren Brit*innen. Schönen Dank auch, ihr müsst ja nicht mit den Folgen leben.

Erasmus steht für eine junge Generation, die über Staatsgrenzen hinweg neue Erfahrungen machen möchte. Für die die Reisefreiheit wichtiger denn je ist und die sich in erster Linie als Europäer*innen verstehen, anstatt nationalstaatlich zu denken. Die in Europa eine Zukunft sehen, so wie ich.

Letzte Chance: Schottland wird unabhängig

Im Januar kündigte die schottische Regierung an, eine zweite Volksabstimmung über Schottlands Unabhängigkeit von Großbritannien vorzubereiten. Das erste Referendum 2014 scheiterte auch, weil die schottische Unabhängigkeit einen EU-Austritt bedeutet hätte. Bei der Brexit-Abstimmung waren rund zwei Drittel der Schott*innen für den Verbleib in der EU. Kein Wunder also, wenn sich die Schott*innen nun verraten fühlen.

Ich selbst verlasse mich allerdings nicht mehr darauf, dass die britische Regierung den Brexit noch einigermaßen vernünftig über die Bühne bekommt. Ich habe mich auch für ein anderes Austauschprogramm beworben, sicher ist sicher. Notfalls schreibe ich auch noch weitere Bewerbungen. Ich sehe nämlich nicht ein, dass eine dumme Idee wie der Brexit mir meine Auslandsaufenthalt im Studium versaut.