In Tokio gibt es ein Museum, in dem Schmetterlinge herumschwirren, Löwen von einem Raum in den nächsten wandern und Paraden von Samurai durch die Gänge tanzen. Borderless – so heißt die weltweit erste permanente Ausstellung digitaler Kunst, die im Mori Building Digital Art Museum zu sehen ist. Nach Ausstellungen in London, Hongkong und Paris hat das japanische Kunstkollektiv TeamLab hier eine psychedelische Welt aus Licht, Klang, Farben und Formen geschaffen, in der die Grenzen zwischen Kunstwerk und Betrachter*in verschwimmen. Klingt irgendwie schräg? Das ist es auch. Aber mindestens genauso schön.

"Wander, Explore, Discover". Mit dieser Nachricht am Eingang des Museums sollen die Besucher*innen daran erinnert werden, dass es keine vorgefertigte Route für die Besichtigung der Kunstwerke gibt. Wobei Besichtigung der falsche Begriff ist. Gemäß dem Titel der Ausstellung soll dies ein Ort ohne Grenzen sein. Denn für die Künstler*innen von TeamLab gibt es keine Trennung zwischen Individuum und Umgebung – und dieser Maßstab gilt auch für ihre Kunst. Die rund 400 Ultratechnolog*innen, wie sie sich selbst nennen, haben es sich zum Ziel gesetzt, die Beziehungen zwischen Mensch und Natur durch Kunst neu zu definieren. Digitale Technik hilft ihnen dabei. So sollen die Besucher*innen die Kunstwerke nicht nur besichtigen, sie sollen mit ihnen verschmelzen.

Die Kunst wird in Echtzeit generiert

520 Computer und 470 Projektoren generieren die Kunst in Echtzeit. Die digitalen Kunstwerke beeinflussen sich gegenseitig, fließen ineinander über, stoßen sich ab und kreieren neue Formen. Auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern hat das Kunstkollektiv einen Raum geschaffen, in dem sich alles in kontinuierlicher Bewegung befindet.

Passenderweise haben die Künstler*innen einen Bereich der Ausstellung Transcending Boundaries genannt. Der ansonsten schwarze Raum wird erstrahlt von bunten Blumen, die an den Wänden hinauf und am Boden entlang wachsen, sich mit lumineszierenden Vogelschwärmen vereinigen und zu neuen Gestalten weiterentwickeln. Ab und zu verlassen einige dieser Geschöpfe den Raum und führen zu den anderen Highlights der Ausstellung. Die Besucher*innen entscheiden aber trotzdem selbst, welche Richtung sie innerhalb der dunklen Korridore einschlagen.

Wer die Treppe nach oben wählt, landet im Forest of Resonating Lamps. Hier hängen unzählige Lampen aus Muranoglas, die die Bewegungen der in den Raum tretenden Menschen auffassen und durch unterschiedlich starke Lichtintensitäten widerspiegeln. Je nach Jahreszeit ändert sich die Farbpalette. Im Herbst tauchen die Lampen den Raum in warmes Rot und Gold, zur Zeit der japanischen Kirschblüte leuchten sie in allen erdenklichen Rosatönen.

Wer lieber unten bleibt, gelangt in den Athletic Forest, der die Besucher*innen einlädt, sich einen Weg durch schimmernde Hindernisse zu bahnen. Weiteres Element dieses Bereichs ist ein gigantisches Trampolin, auf dessen Oberfläche sich bei jeder Berührung konzentrische Kreise bilden und sich zusammen zu einem großen Kunstwerk vereinigen.

Du kannst die Kunst per swipe kontrollieren

In der Crystal World bringt das spektakuläre Funkeln der unzähligen von der Decke hängenden LEDs Betrachter*innen immer wieder zum Seufzen. Auch hier gibt es kein vorgefertigtes Schema. Man selbst entscheidet über die Farben und Formen, die die LEDs erzeugen sollen. Mithilfe einer App lassen sich verschiedene Muster auswählen, die per swipe in der Lichtinstallation ausgelöst werden.

Dadurch sind die sich im Raum befindenden Menschen für das Verhalten des Kunstwerks verantwortlich. Immersive Erfahrungen – so nennen das die Macher*innen der Ausstellung. Wer bei all diesen Eindrücken eine kleine Pause braucht, kann sich in das En Tea House innerhalb des Museums zurückziehen. Hier wird grüner Tee in Gläsern serviert, in denen sich beim Einschenken eine digitale Blüte öffnet.

Die Besucher*innenzahlen brechen Rekorde

Das Mori Building Digital Art Museum feierte diesen Sommer sein einjähriges Bestehen. Und die bisherige Bilanz? Mit 2,3 Millionen Besucher*innen aus aller Welt bricht es die Rekorde des Van Gogh Museums in Amsterdam sowie des Picasso Museums in Barcelona.

Während Besucher*innen in anderen Kunstausstellungen schweigend ein Werk nach dem anderen betrachten und sich nur flüsternd über das Gesehene austauschen, um die andächtige Ruhe nicht zu stören, kann hier jede*r die Kunst auf seine*ihre Art und Weise erfahren. Das Mori Building Digital Art Museum will ein Raum sein, in dem sich nicht nur die Kunst, sondern auch die Betrachter*innen frei entfalten dürfen. Und ganz nebenbei, eine bessere Kulisse für Instagram-Fotos gibt es kaum. Verständlich, dass das auch einige Prominenz anlockt: Cara Delevigne, Steve Aoki, Justin Bieber, Hugh Jackman. Auch Kim Kardashian und Kanye West ließen sich, genau wie Bella Hadid und The Weeknd, vor den glitzernden LEDs ablichten.

Den New Yorker Rappern Swizz Beats und Nas scheint das Museum sogar so gut gefallen zu haben, dass sie es als Location für das Musikvideo zu ihrem Song Echo ausgewählt haben.

Wer es schafft, eines der beliebten Tickets zu ergattern, betritt mit Borderless eine magische Parallelwelt. Es kann leicht passieren, dass man einige Stunden zwischen den Lichtern, Spiegeln und Farben verbringt. Weil es bei all dieser Schönheit leicht ist, sein Zeitgefühl zu verlieren. Und auch jeglichen Orientierungssinn.