Manchmal kommen uns die Tränen, obwohl wir selbst keine unmittelbaren körperlichen oder seelischen Schmerzen spüren. Der Grund ist unser Mitgefühl. Diese Fähigkeit ermöglicht es uns, am Leben unserer Freund*innen und Verwandten mitzufiebern.

Beim Mitgefühl handelt es sich um eine wichtige soziale Funktion: Die Teilhabe an Schicksalsschlägen und Problemen anderer schafft ein stärkeres Miteinander. Sie sorgt dafür, dass wir einander stützen können und uns nicht mehr allein fühlen, wenn wir mit einer Kündigung, Trennung, Krankheit oder einem Todesfall ringen.

Wir können uns des Mitgefühls nicht erwehren. Aber wir sollten uns davor hüten, dass es in übertriebenes Mitleid umschlägt. Zwar heißt es: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Aber wer diesen alten Spruch zu wörtlich nimmt, reitet sich ins Unglück. Es ist nicht Sinn der Sache, dass wegen der Probleme eines Einzelnen zwei Menschen leiden.

Mitleid und Mitgefühl sind zwei verschiedene Dinge

Beeinflussen uns die Schwierigkeiten im Leben anderer so sehr, dass wir uns nur noch schwer auf unser eigenes fokussieren können, spricht die Psychologin und Autorin Ilona Bürgel von einem geteilten, mentalen Negativkreislauf.

Wenn wir uns auf psychischen Schmerz konzentrieren, werde er größer. Kämpften wir innerlich gegen die Situation an, würden wir viel Energie für negative Gedanken verwenden, die uns dann für positivere Gedanken fehlte. Zudem würden wir schnell einen Tunnelblick entwickeln, in dem wir nur noch Probleme und Kummer wahrnehmen.

Bürgel beschäftigt sich hauptsächlich mit Persönlichkeitsentwicklung und beschreibt das Phänomen des Mitleids als Teufelskreis, von dem wir uns lösen sollten, so gut es geht.

"Im Mitleid überlegen wir konstant: Wie würde es mir in dieser Situation gehen oder wie ist es mir in so einer Situation ergangen. Das aktiviert negative Gedanken und diese wiederum negative Gefühle", sagt die Expertin. Das nütze beiden nichts, denn ließen wir selbst uns davon runterziehen, helfe das Betroffenen nicht in ihrer Situation. Im Gegenteil. "Im Strudel negativer Emotionen kann unser Gehirn keine Bestleistungen bringen – also auch keine guten Lösungen finden oder relativieren."

Besser beraten seien wir mit: aufrichtigem Mitgefühl. Anders als beim Mitleid nimmt man sich dabei nicht selbst in die Rechnung, sondern ist Familie oder Freund*innen eine echte Stütze, die aufrichtig zuhören kann und zu Trost, konkreten Lösungsvorschlägen und praktischen Hilfsangeboten in der Lage ist.

Eine starke Schulter für Mitmenschen in schweren emotionalen Situationen

Echte praktikable Hilfestellung kann unsere Mitmenschen in vielen Situationen entlasten und gibt auch uns ein gutes Gefühl. Darunter fällt beispielsweise das Angebot, für Hinterbliebene eines Todesfalls Erledigungen zu machen oder einkaufen zu gehen. Das gibt ihnen Raum für ihre Trauer. Wer gerade seinen Job verloren hat, dem*der helfen konkrete Hinweise, Kontakte, Tipps, um schnell wieder auf die berufliche Bahn zu kommen.

Für jede emotionale Schieflage lassen sich mit etwas Ambition solche praktischen Alltagsunterstützungen finden. Psychologin Bürgel gibt weitere Tipps, wie wir eine gute Stütze sein können und uns dabei nicht selbst verlieren:

  1. Gut für sich selbst sorgen: "Nur wenn es uns gut geht, haben wir etwas zum Abgeben." Gut für sich zu sorgen, heißt nicht schlecht für andere zu sorgen. Gute Lösungen ließen sich laut der Psychologin nur in einem guten, gefestigten Zustand finden. "Deshalb sollten wir gut für uns sorgen, das heißt zum Beispiel, gerade wenn wir keinen Appetit haben, gut zu essen, und wenn wir uns im Bett verkriechen wollen, spazieren zu gehen."
  2. In die Vergangenheit horchen: "Wir können uns fragen, was wir in vergleichbaren Situationen getan haben, damit es uns besser ging." Wir hätten es in anderen Lebenssituationen schließlich auch geschafft. So können wir lösungsorientiert trösten. Trotzdem sollten wir ...
  3. ... auf neunmalkluge Ratschläge verzichten: Es brauche genau einen unausgesprochenen Rat, nämlich: "es ist, wie es ist". In dem Augenblick, in dem wir die Situation, so wie sie ist, akzeptieren, verschwinde ein Großteil des Schmerzes, der durch das Festhalten und Kämpfen entstehe, sagt die Psychologin.
  4. Verbundenheit schaffen: "Dies ist eine heilsame und wohltuende positive Emotion." Viel zu oft hätten wir Menschen das Gefühl, allein zu sein, nicht dazuzugehören oder nicht verstanden zu werden. Gerade in schwierigen Situationen unserer Liebsten gelte daher: aktiv kontaktieren. Selbst wenn es dann nur ein kurzes Gespräch oder ein Chat über Nebensächlichkeiten ist.
  5. Über Gutes sprechen: "Es ist nachvollziehbar, dass man über seinen Frust immer wieder spricht. So teilen wir ihn ja. Wir sollten dann darauf achten, immer weniger über das Problem zu sprechen", sagt Bürgel. Je häufiger wir das täten, umso größer würde es und umso fester würde es gespeichert. Wir sollten laut der Psychologin häufiger über normale Dinge sprechen, neue Chancen. "Ob wir traurig sind, liegt in unserer Hand, beziehungsweise in unserem Kopf."
  6. Zulassen, dass es uns selbst dabei gut geht: So schwer das Schicksal unserer Mitmenschen auch ist: Wir sollten zulassen, dass es uns gut geht. Die Psychologin habe sich selbst in eigenen Krisen oder denen von anderen erschrocken, wenn sie in Zeiten des Kummers gelacht habe oder sich leicht fühlte. "Das passt doch nicht? Doch, denn das ist das Leben. Es schenkt uns immer auch Gutes, es hat immer beide Seiten im Angebot."

Sind wir in der Lage, unsere eigenen Aufgaben und Leben nicht zu vernachlässigen, können wir auch die Menschen positiv beeinflussen, denen es gerade nicht so gut geht. Wir werden dann nicht das Leid mit einem Menschen geteilt, sondern in einer schweren Situation die Stärke für zwei aufgebracht haben.

In unserer Reihe Wie du zu dir findest beschäftigen wir uns damit, wie wir in dieser schnelllebigen Welt zurechtkommen. Wie werde ich zufriedener? Wie werde ich schädliche Denkmuster los? Für die Tricks und Kniffe – wir nennen sie Psychohacks – beschäftigen wir uns mit gängigen Studien und Methoden und befragen Expert*innen.