Rund 105 Millionen Menschen auf der Erde sind Deutsch-Muttersprachler*innen, etwa 80 Millionen Menschen sprechen Deutsch als Fremdsprache. Da kann es ja schon mal vorkommen, dass Muttersprachler*innen Menschen über den Weg laufen, deren erste Sprache nicht Deutsch ist. Egal ob im Supermarkt, bei der Arbeit, im eigenen Familien- und Freundeskreis oder auf dem Campus. Sowohl in Deutschland als auch im Ausland.

Logischerweise ist das Sprachniveau ein entscheidender Faktor dafür, wie dieses Gespräch abläuft. Sind beim Gegenüber nur rudimentäre Sprachkenntnisse vorhanden, kann es passieren, dass dessen Sprechweise von uns Muttersprachler*innen übernommen wird. Eine Wegbeschreibung hört sich im Extremfall dann beispielsweise so an: "Du gehen jetzt links und dann du bist da." Das geschieht häufig aus der Annahme, man würde dem Gegenüber somit die Kommunikation erleichtern. Dabei ist uns meist nicht bewusst, wie diskriminierend das sein kann.

Die wohlbekannte Grauzone

Katharina Brizić beschäftigt sich als Soziolinguistin mit den Einflüssen von Sprache und Mehrsprachigkeit auf den sozialen Zusammenhalt. Ihre Erklärung für das Phänomen ist das in der Psychologie bekannte unbewusste Spiegeln. "Steht man der Person nahe und ist ein einigermaßen emphatischer Mensch, oder indem man so spricht wie das Gegenüber, versucht man besonders verständlich zu sein." Falls dieses Handeln aus pragmatischen Gründen entsteht, weil man sich auf diese Weise am besten verständigen kann, ist es ihrer Meinung nach nicht diskriminierend.

Man sollte sich allerdings selbst hinterfragen, ob man wirklich aus den genannten Gründen handelt oder das Gegenüber nicht sogar kindlich behandelt. "Wenn man in einer ungrammatischen oder sogar infantilen Weise spricht, kann sich der Gesprächspartner intellektuell unterlegen fühlen", sagt Brizić. Dies passiere meist aus Unbeholfenheit, weil man eben nicht wisse, wie gut die Deutschkenntnisse der anderen Person sind. Obwohl dahinter meist keine bösen Absichten stecken, können sich die Betroffenen ein Stück weit ihrer Handlungsmacht beraubt fühlen, da ihnen ein gewisses Sprachvermögen nicht zugetraut wird. Dadurch kann auch das Selbstwertgefühl beeinträchtigt werden.

Deutschlehrer*innen, die kein anständiges Deutsch sprechen?

Als Dozentin für Lehrkräfte für Deutsch als Erst- und Fremdsprache beobachtet Brizić dieses Vorgehen öfter in Schulen. "Wenn Lehrkräfte in dieser Art mit fremdsprachigen Kindern und deren Eltern umgehen, kann sich dies auf die gesamte spätere Schullaufbahn negativ auswirken. Denn die Eltern fühlen sich nicht ernst genommen und die Kinder können den Glauben an sich selbst verlieren", sagt sie. Auch Beamt*innen und Ärzt*innen, die häufig die ersten Kontaktpersonen von Migrant*innen sind, sieht sie in der Verantwortung.

Bewusstsein führt zu Veränderung

Da wir uns jedoch nur wenig bewusst sind, wie sehr Sprache Diskriminierung mittragen und auslösen kann, sei es schwierig, sich dieser zu entziehen. Brizićs Meinung nach würde allein die Bewusstseinsförderung schon eine Menge zum Positiven verändern: "Dafür sollte man Menschen schon früh den Kontakt zu anderssprachigen Menschen ermöglichen, damit sie im Umgang mit solchen weniger ungeübt und somit eher in der Lage sind, den respektvollen Umgang zu wahren."

Auch rät sie, sich selbst mal in einer solchen Lage vorzustellen. Es gibt wahrscheinlich kaum jemanden von uns, der*die sich noch nicht in einer Situation wiedergefunden hat, in der er*sie sich aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse benachteiligt, ja manchmal geradezu dumm vorkam. Wenn der Gesprächspartner dann noch anfängt zu reden, als ob man ein kleines Kind wäre, ist die Demütigung komplett.

Ein weiterer Tipp von ihr: "Wer merkt oder weiß, dass der Gesprächspartner Deutsch nicht als Erstsprache spricht, kann langsamer sprechen und die grammatikalischen Formen trotzdem wahren." Denn häufig sind Menschen durchaus in der Lage, den Inhalt zu verstehen, aber es wird einfach viel zu schnell gesprochen. "Dazu könnte man fragen, ob man auf diese Weise gut verstanden wird. Man sollte das mögliche Kommunikationsproblem einfach benennen, so kann das Gespräch für beide Parteien angenehmer und verständlicher werden", sagt Brizić.

Wie reagiert mein Gegenüber?

Komischerweise kann man auch häufiger beobachten, dass Leute anfangen lauter zu sprechen, wie man es bei älteren und schwerhörigen Menschen tut. Dabei ist das Gegenüber ja gar nicht taub und dieses Verhalten ist genauso erniedrigend wie das infantile Sprechen. Trotzdem sollten wir nicht vergessen, dass die ganze Kunst der Sprache darin besteht, verstanden zu werden. Deshalb ist die ein oder anderer sprachliche Verrenkung wohl nicht immer zu vermeiden. In Zukunft sollten wir aber darauf achten, wie unser Gegenüber darauf reagiert.