Wenn du mit Fremden reden musst, verschlägt es dir die Sprache? Du gehst anderen aus dem Weg, weil du dich vor Small Talk fürchtest? So gelingt es dir, mehr Mut zu entwickeln.

Was denken die Leute von mir? Mache ich mich eigentlich gerade total lächerlich? Und was ist, wenn ich etwas Falsches sage?

Diese und noch zig weitere Fragen schießen einem schüchternen Menschen durch den Kopf, sobald er unter andere Menschen geht. Egal ob Uni, Arbeitsplatz oder beim Einkaufen – jede Situation, in der soziale Interaktion gefragt ist, kann Angst machen. Ich dachte früher oft, ich sei der schüchternste Mensch auf dem Planeten: Ich hatte panische Angst vorm Telefonieren und es fiel mir schwer zu reden, wenn mehr als drei Personen mit mir im Raum waren.

So richtig hilfreich ist das nicht im Berufsleben. Denn da warten Mutproben wie Vorstellungsgespräche, Gehaltsverhandlungen und Präsentationen. Und, nein, die kann man leider nicht umgehen, wie du sicher auch schon festgestellt hast.

Schüchternheit, mein täglicher Begleiter

Unter Schüchternheit versteht man grundsätzlich eine gewisse Ängstlichkeit beim Knüpfen von Kontakten. Jede*r kennt Situationen, in denen er*sie schüchtern handelt und sich unsicher fühlt. So ist es zum Beispiel gar nicht so selten, dass auch ein*e richtige*r Draufgänger*in in bestimmten Situationen einen Anflug von Schüchternheit spürt: Zum Beispiel, wenn er*sie vorm ersten Date plötzlich kalte Füße bekommt. Oder wenn er*sie zu einem Vorstellungsgespräch geht.

Für Menschen, die unter Schüchternheit leiden, bedeutet dies aber mehr als ein flüchtiger Anflug von situativer Unsicherheit. Für sie ist sie ein täglicher Begleiter in beinahe jeder Lebenssituation. Einige Forscher*innen gehen sogar davon aus, dass es eine Veranlagung für Schüchternheit gibt. So fand der Harvard-Psychologe Jerome Kagan beispielsweise heraus, dass bei vielen gehemmten Kleinkindern das Angstzentrum im Gehirn, Amygdala oder auch Mandelkern genannt, übererregbar ist. Das bedeutet, sie reagieren bereits auf minimale äußere Reize mit Furcht und Geschrei. Unbekannte Situationen wirkten auf sie ebenso beängstigend wie die Begegnung mit nicht vertrauten Menschen.

Eine besonders starke Form der Schüchternheit nennt man soziale Phobie. Wo genau die anfängt, ist nicht klar abgegrenzt und individuell sehr unterschiedlich. Klar ist aber: Wer das Gefühl hat, dass die Ängste im Alltag ständig im Weg sind und einen daran hindern, eigene Wünsche und Ziele zu erreichen, sollte etwas unternehmen. Wie willst du deinen Traumjob ergattern, wenn du schon am Blickkontakt mit dem Gegenüber scheiterst? Wie findest du Freund*innen und Partner*innen fürs Leben, wenn du stets darauf bauen musst, dass andere den ersten Schritt machen? Das Leben ist da, um gelebt zu werden – und nicht, um von Ängsten bestimmt zu werden.

Mut und Selbstvertrauen kann man trainieren

Eines vorweg: Mutig zu sein bedeutet nicht, von nun an zu allem Ja zu sagen und einfach ins kalte Wasser zu springen. Wenn du deine Schüchternheit als Teil deiner Persönlichkeit annimmst, ist das schon einmal die halbe Miete.

Erst dann hast du auch das nötige Selbstbewusstsein, zu dir selbst zu stehen und das anderen zu zeigen. Schüchternheit hat schließlich viele gute Seiten: Viele schüchterne Menschen sind tolle Zuhörer*innen, haben ein gutes Einfühlungsvermögen und können Sachverhalte aufgrund ihrer beobachtenden Haltung oftmals besser beurteilen als andere. Aber es braucht natürlich den Mut, diese Stärken auch einzusetzen.

Die Sache mit dem Selbstvertrauen lässt sich mit einigen wirksamen Methoden im Alltag sehr gut üben. Ich selbst habe festgestellt, dass man mit Geduld und Ausdauer über sich hinauswachsen kann. Diese Erfahrungen gebe ich auch auch in meinem Buch weiter. Hier kommen abschließend fünf Tipps:

1. Das Denken bestimmt unsere Realität

It’s all about the mindset. Wenn du schlecht über dich denkst, dann bestimmt das jeden Tag aufs Neue deine Realität. Dein Gehirn sucht nach Hinweisen dafür, dass du recht hast – und die wird es auch immer wieder finden und gegenteilige Hinweise ausblenden, weil du danach nicht suchst. Du brauchst also neue, positive Glaubenssätze, damit in deinem Gehirn neue neuronale Verbindungen geknüpft werden, die die alten, negativen Annahmen über dich verdrängen. Studien haben ergeben, dass Affirmationen – also positiv formulierte Gedanken – dabei helfen, in Stresssituationen entspannter zu reagieren.

Eine positive Bestätigung, die dein Unterbewusstsein auf einen neuen Kurs einschwenkt, könnte zum Beispiel lauten: "Ich werde stark sein und an dieser Herausforderung wachsen." Je öfter du diese neue neuronale Verbindung benutzt, desto stärker wird dieser neue Nervenstrang in deinem Gehirn. Allerdings brauchst du dafür viel Geduld. Dr. Ilona Bürgel, Psychologin und Autorin, empfiehlt, Affirmationen am besten mehrmals täglich zu sprechen und zu schreiben: "Meist werden Affirmationen euphorisch begonnen und bei ausbleibendem Erfolg schnell abgebrochen, weil sie scheinbar nicht wirken." Dranbleiben lohnt sich also, denn Selbstvertrauen kann man trainieren wie einen Muskel.

2. Mit Verbündeten über Gefühle reden

Manchmal kam mir meine eigene Gedankenwelt so düster und abgründig vor, dass ich mich nicht einmal meinen engsten Freund*innen anvertrauen wollte. Aber: Je öfter ich mich anderen mitteilte, desto häufiger stellte ich fest, dass die Wahrnehmung anderer viel positiver war als meine eigene. Du könntest also Freund*innen fragen: "Wie wirke ich auf dich? Komme ich wirklich so rüber? Wie denkst du darüber?" Dieser Realitätsabgleich ist essenziell für schüchterne Menschen und schafft einen Ausweg aus dem negativen Gedankenkarussell.

3. Sport und Bewegung fördern mentale Stärke

Sport ist das Mittel der Wahl, wenn es darum geht, sich selbst kennenzulernen und innere Stärke zu entwickeln. Sport und regelmäßige Bewegung machen nicht nur körperlich fit, sondern auch mental. Jedes noch so kleine Erfolgserlebnis schenkt dir neuen Mut und Selbstvertrauen. Regelmäßige Bewegung macht dich auch dauerhaft stressresistenter: Das Gehirn schüttet Glückshormone wie Dopamin und Serotonin aus und baut Stresshormone wie beispielsweise Cortisol ab – doppelt gut also.

4. Viele kleine Schritte führen zum Ziel – nicht der eine große

Du musst dir erlauben, klein anzufangen. Früher war ich so ängstlich, dass ich erst einmal üben musste, mehr zu lächeln und anderen überhaupt Hallo zu sagen. Ich war erstaunt darüber, wie oft das schon reichte, um das Eis zu brechen.

Menschen werden vergessen, was du gesagt hast. Menschen werden vergessen, was du getan hast. Aber Menschen werden niemals vergessen, welches Gefühl du ihnen vermittelt hast." – Maya Angelou, US-amerikanische Bürgerrechtlerin, Professorin und Schriftstellerin

Viele große Worte zu machen und ein*e Small-Talk-Künstler*in zu sein ist also gar nicht so wichtig, wie du vielleicht vermutest. Wer einen offenen, herzlichen Eindruck hinterlässt, wird meistens ganz automatisch von anderen angesprochen und miteinbezogen.

5. Führe ein Erfolgstagebuch

Du notierst dir am Ende des Tages lediglich drei positive Dinge, die dir aufgefallen sind. Diese Methode hilft dabei, jeden Tag mehr Optimismus und Achtsamkeit zu trainieren. Du lernst dabei, nicht auf das zu schauen, was nicht passt oder was du schlecht an dir findest, sondern dich auf das Gute zu fokussieren. Ein echter Gamechanger für dich, wenn du dazu neigst, dich durch negative Gedanken selbst zu blockieren.

In unserer Reihe "Wie du zu dir findest" beschäftigen wir uns mit dem Klarkommen in dieser schnelllebigen Welt. Wie werde ich zufriedener? Wie werde ich schädliche Denkmuster los? Für die Tricks und Kniffe – wir nennen sie Psychohacks – beschäftigen wir uns mit gängigen Studien und Methoden und befragen Expert*innen.