Menschen so anzunehmen, wie sie sind, ist eine Fähigkeit. Besser gesagt: eine Errungenschaft, denn womöglich haben wir alle daran zu knabbern, auch denen wohl gesonnen zu sein, die uns unsympathisch sind.

Ich kenne diesen Zwiespalt von mir selbst sehr gut. Ich kann mittlerweile sogar benennen, ab welchem Punkt ich unterbewusst entscheide, einen Menschen nicht leiden zu können.

Ich weiß mittlerweile aber auch, dass ich vor allem Denkmuster in mir ändern muss, um besser und liebevoller mit meinen Mitmenschen umgehen zu können, die mir von Anfang an gegen den Strich gehen. Auch wenn das erst mal paradox klingt, ergibt das Sinn. Warum? Weil es einerseits einfach fair ist und alle Menschen eine Chance verdient haben. Und weil ich andererseits besser mit mir selbst klarkommen werde, wenn ich es schaffe, mit anderen klarzukommen.

Antipathie, was machst du mit uns?

Ein Beispiel aus meinem Kopf: Wenn ich beim allerersten Aufeinandertreffen, beim ersten Gespräch und dem ersten tiefen Blick in die Augen meines Gegenübers spüre, dass bei ihm*ihr da irgendwas im Hinterstübchen rattert, wenn ich spüre, dass er*sie mir gegenüber nicht wertfrei gegenüber tritt, wenn ich da eine Art Vorbehalt spüre, ein implizites Ich-habe-schon-längst-eine-Meinung-von-Dir und das ist eine ganz andere als ich mir zu verkaufen versucht wird – dann entscheide ich bereits.

Ich bilde mir ein, einen Sensor dafür zu haben, wenn mir jemand von vornherein nicht aufrichtig und offen begegnet. Und ab dann ist es für mich schon vorbei – nach wenigen Sekunden. Obwohl ich weiß, dass ich tolerant sein möchte und Vorurteile ablehne, gelingt mir das in diesen Fällen nicht.

"Unser Unbewusstes braucht nur etwa 100 Millisekunden, um sich ein Urteil über ein Gesicht zu bilden, das wir noch nie gesehen haben", schreibt die Psychotherapeutin Doris Wolf in einem Beitrag über die Entstehung von Antipathie. Und diese Entscheidung treffen wir nicht bewusst, sie ist das Ergebnis von Vorstellungen und vergangenen Erfahrungen. Das heißt aber nicht, dass wir das nicht infrage stellen oder bewusst dagegensteuern könnten.

Während uns positive Eindrücke offener machen, machen uns negative verschlossener gegenüber anderen Menschen. Ich selbst denke etwa, dieser Mensch, den ich aus den oben genannten Gründen nicht mag, der bringt mich aus dem Gleichgewicht, ich kann bei ihm*ihr nicht ich selbst sein. Also meide ich sie*ihn, so gut es geht. Ich werde antipathisch.

Der Weg zur Empathie hat den Startpunkt bei uns selbst

Was ist aber, wenn ich diesem Menschen nicht aus dem Weg gehen kann, mit dem ich eigentlich ein gesundes Verhältnis haben sollte? Weil die Person ein*e Arbeitskolleg*in oder ein Familienmitglied ist? Was dann? Muss ich überhaupt mit allen klarkommen und denjenigen gegenüber respekt- und liebevoll sein, mit denen ich so gar nichts zu tun haben will?

Die erste Frage sollte viel eher lauten: Warum denke ich eigentlich, ich könnte diese eine Person nicht leiden? Wer das verstehen möchte, muss sich mit dem Begriff der Projektion auseinandersetzen, erklärt die Berliner Psychologin Alexandra Kuptz, die sich in ihrem Glückslabor vor allem mit Achtsamkeit beschäftigt. "Projektion bedeutet, dass wir Anteile unseres Innenlebens auf das Gegenüber oder einfach auf eine andere Person projizieren", sagt sie.

Ein gutes Beispiel laut Kuptz: Stellen wir uns vor, wir seien ziemlich schüchtern und würden uns wünschen, ab und zu mal auszubrechen. Wir suchen uns dann Menschen als Freund*innen oder Partner*innen, die total ausgeflippt sind und genau diese Eigenschaft, die wir mehr ausleben wollen, nach außen zeigt.

Eine Projektion gelte umgekehrt auch für Menschen, die wir überhaupt nicht leiden können: "Eine Arbeitskollegin wird befördert, da sie ihre beruflichen Erfolge mit ihrem Vorgesetzten teilt und sich anbiedert. Du wiederum weißt, dass du genauso gute Ergebnisse erzielt hast, hast diese aber nicht jedes Mal mit deinem Vorgesetzten geteilt, da du ein bescheidener Mensch bist." Wir können diese Kollegin ganz einfach deshalb nicht ausstehen, weil sie Charakterzüge hat, die wir für uns selbst ablehnen.

Das ist auch schon der Trick, der ganze Zauber: Wir können dieser Person gegenüber trotzdem ruhig und besonnen gegenüber bleiben, wenn wir uns unserer Projektion bewusst machten. Neid und Missgunst haben ja nichts mit der Person an sich, sondern mit unserer Einstellung zu einer Sache zu tun. "Verstehen wir erst einmal, warum wir eine Person nicht mögen, fällt es uns leichter, sie zu aktzeptieren", sagt Kuptz.

Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen haben immer auch etwas mit uns selbst zu tun. "Daher ist es sinnvoll, Mitmenschen immer mit Wertschätzung zu begegnen und sie respektvoll zu behandeln", sagt Kuptz. Wir wüssten auch nie genau, mit welchem Fuß sie aufgestanden sind. Wichtig ist außerdem, sich klarzumachen, dass alle Menschen eine eigene Lebensgeschichte haben und wenige aus reiner Boshaftigkeit handeln, sondern in der einzigen Art und Weise, die sie kennen und erfahren haben.

Bleiben wir beim Beispiel dem*r Arbeitskolleg*in, *den*die wir nicht leiden können: Nehmen wir an, wir stammen aus einem Umfeld, in der wir für unsere Taten wertgeschätzt und für unsere Art respektiert wurden. Der*die beförderte Kolleg*in, der*die sich in unseren Augen anbiederte, kennt das vielleicht nicht so. Womöglich möchte er*sie durch sein*ihr Handeln genau diese Art der Wertschätzung durch Vorgesetzte bekommen, weil er*sie in sienem*ihrem Leben bisher weniger für sein*ihr Handeln und Tun bekommen hat.

"Verstehen wir diese Hintergründe und zollen diesem Menschen Respekt und Demut, fällt es uns auch leichter, entspannt in jegliche Auseinandersetzung zu gehen", sagt Kuptz.

Wir lernen unsere Bedürfnisse besser kennen

Manchmal missdeuten wir Signale auch ganz simpel, denken vorschnell, dass eine Person uns nicht leiden könne und gehen deshalb auf Abstand. Dabei muss das nicht immer der Fall sein. "Hinter einem distanzierten, arroganten Verhalten verbirgt sich meistens ein schüchterner, selbstunsicherer Mensch", schreibt Psychotherapeutin Wolf.

Stichwort Selbstsicherheit: Wer einen respektvollen und liebevollen Umgang mit sich selbst pflegt, dem*r fällt es auch leichter, genauso mit anderen umzugehen, sagt Kuptz. Das eigene Denken und Handeln über uns selbst und andere macht ungefähr 40 Prozent der Lebenszufriedenheit aus, 50 Prozent die Gene, und nur zehn Prozent die Umgebung, wie Forscher*innen während der Studie Pursuing happiness: The architecture of sustainable change (PDF) herausfanden.

"Es ist ganz leicht erklärbar: Unsere Energie folgt der Aufmerksamkeit", sagt Kuptz. Ein einfaches Beispiel hierfür sei unsere Laune: Wenn wir schlecht gelaunt durch die Straßen laufen, dann ist es wahrscheinlicher, dass uns weniger positive Dinge auffallen, als wenn wir gut gelaunt sind und umgekehrt.

Für den ziemlich sicher eintreffenden Fall, dass wir künftig auf einen Menschen treffen, bei dem sich alles bei uns zusammenzieht, aber wir dennoch respektvoll bleiben möchten, können wir folgendes versuchen, wie die Autorin Emily Co für Popsugar aufschrieb:

  1. Distanz bewahren: Damit ist vor allem emotionale Distanz gemeint. Je weiter wir von einer für uns unsympathischen Person entfernt sind, desto objektiver können wir die Dinge betrachten, ohne gleich mit Ablehnung zu reagieren. Dabei ist es sinnvoll, die Realität von der eigenen Wahrnehmung zu trennen, denn manchmal sind schlicht wir diejenigen, die überreagieren.
  2. Die eigenen Emotionen beobachten: Was genau brachte mich wann zur Weißglut? Wir sollten wahrnehmen und später genau analysieren, wie wir reagierten, wenn wir auf die Person getroffen sind. Sollte uns das wieder aufregen: Gedanken verwerfen und später noch mal ran. So können wir nach und nach aufgeräumter und ruhiger mit ihr umgehen.
  3. Proaktiv denken, nicht reaktiv: Besser ist es, mit Logik auf diese eine Person zu reagieren, nicht mit Emotionen.
  4. Neue, positive Erfahrungen miteinander schaffen: Wenn wir bemerken, dass wir nur über negative Erfahrungen mit einer Person nachdenken, wenn wir sie treffen, könnten wir versuchen, einfach positive zu schaffen. Vielleicht ruft der Ort, an dem man sich bislang immer über den Weg lief, zu viel hervor – womöglich reicht schon ein Ortswechsel an einen neutralen Platz und ein einzelnes verständnisvollen Gespräch für eine ganz neue Beziehung. An dieser guten Erfahrung könnten wir dann in der Zukunft innerlich festhalten.

Es kann vorkommen, dass man sich nach dem Zugeständis, einem bisher unbeliebten Menschen respektvoll gegenüber zu treten – und ihn nicht für sein Verhalten oder seine Art emotional abzustrafen –, so fühlt, als verrate man seine eigenen Werte, erklärt Psychologin Kuptz. Das ist gerade dann der Fall, wenn die Person uns stark provozierte, bewusst oder unbewusst.

Dabei gelte wieder: "Jeder Mensch hat sein eigenes Päckchen zu tragen und manchmal lohnt es sich nicht alle Konflikte offen anzusprechen." Regen wir uns im Nachhinein noch lange darüber auf, dass wir etwa bei einem Konflikt nicht eingestiegen sind oder uns nicht gewehrt haben, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Wut. Aber verändern können wir ja nun nichts mehr, also ist es an der Zeit, Frieden mit der vergangenen Situation zu schließen und einfach versuchen, die Person an sich wertzuschätzen. "Sie wird ihre Beweggründe gehabt haben. Und gerade Auseinandersetzungen zeigen uns einen Weg zu uns selbst auf", sagt Kuptz.

Das hat auch einen sehr positiven Effekt auf uns selbst. Denn dadurch lernen wir zum Beispiel, was wir in unserem Leben nicht wollen – und könnten uns überlegen, was wir stattdessen wollen. Wenn wir diesem Stattdessen dann folgen, kommen wir unseren eigenen Zielen und Bedürfnissen ein ganzes Stück näher.

In unserer Reihe "Wie du zu dir findest" beschäftigen wir uns mit dem Klarkommen in dieser schnelllebigen Welt. Wie werde ich zufriedener? Wie werde ich schädliche Denkmuster los? Für die Tricks und Kniffe – wir nennen sie Psychohacks – beschäftigen wir uns mit gängigen Studien und Methoden und befragen Expert*innen.