Bei ihrem ersten Training fuhr der Rollstuhl unkontrolliert gegen die Wand. Zuvor hatte Katharina Lang ihn nur benutzt, um nach einer Knie-OP vom Krankenhaus auf den Parkplatz zu fahren. Auf dem Basketballfeld gingen nun die Pässe daneben und ihre Hände waren voller Blasen.

Während sie in München studierte, spielte sie in der zweiten Bundesliga Fußgänger*innen-Basketball, wie sie sagt. Nach ihrem zweiten Kreuzbandriss beobachtete sie 2015 das letzte Spiel der Saison vom Spielfeldrand aus. Solche Verletzungen können für Basketballer*innen das Karriereende bedeuten. Ein Trainer des gegnerischen Teams steckte ihr damals seine Visitenkarte zu und schlug vor, zum Rollstuhl-Basketball zu wechseln. Für Katharina war das zunächst keine Option.

Zu wenige wissen, dass Rollstuhl-Basketball auch von Fußgänger*innen gespielt wird.
Katharina Lang

Probiert hat sie es dann schließlich doch. Als auch ihr ehemaliger Trainer zum Rollstuhl-Basketball wechselte, ging sie probeweise mit zum Training. Anfangs ging da vieles schief, aber auch die Faszination war da. Im Sportrollstuhl war sie schneller und wendiger, als erwartet.

Inzwischen ist das vier Jahre her: Wenn sie sich heute in den Rollstuhl setzt, dann meist auf dem Trainingsgelände der University of Alabama in Tuscaloosa. Im Rollstuhl spielt sie so gut, dass das Adapted Athletics-Programm der Universität die Münchnerin 2017 in die USA holte.

Fußgänger*innen und Rollstuhlfahrer*innen spielen gemeinsam

Um zur Uni zu laufen oder spazieren zu gehen, braucht Katharina keinen Rollstuhl. Eine Behinderung braucht man wiederum nicht, um Rollstuhl-Basketball zu spielen. Nur um international mitmischen zu dürfen, muss man zumindest eine Minimalbehinderung, wie Katharina sie hat, vorweisen. Das bedeutet, dass eine unabhängige Kommission ihr bestätigt hat, dass sie nicht länger auf demselben Niveau wie zuvor spielen kann: Joggen zu gehen erlauben Katharinas strapazierte Kreuzbänder ihr zum Beispiel nicht mehr – geschweige denn in der Bundesliga bei den Fußgänger*innen zu spielen. Rollstuhl-Basketball setzt andere Schwerpunkte: "Die Arme müssen wahnsinnig viel Arbeit leisten."

Sport gehört einfach zum Campusleben in den USA dazu.
Katharina Lang

In ihrer erster Saison bestand ihr Münchner Team aus vier Fußgänger*innen und sieben Rollstuhlfahrer*innen. Darunter waren verschiedene Behinderungen, zum Beispiel komplette und inkomplette Querschnittlähmungen. Damit es fair bleibt, werden den Spieler*innen je nach ihrer Behinderung Punkte zugeteilt: Katharina hat 4,5 Punkte und damit die höchstmögliche Zahl bekommen. Die Punktzahlen der fünf Spieler*innen auf dem Feld dürfen bei internationalen Spielen 14 Punkte nicht überschreiten. Mehr als zwei Fußgänger*innen können daher nicht gleichzeitig für ein Team auf dem Feld sein. Um Spieler*innen auszuwechseln, müssen Trainer*innen rechnen können.

"Als ich das erste Mal im Rollstuhl gespielt habe, gab es ein Radiointerview. Danach haben viele meine Zwillingsschwester gefragt, ob mir etwas zugestoßen sei", erinnert Katharina sich. "Zu wenige wissen, dass Rollstuhl-Basketball auch von Fußgänger*innen gespielt wird." Wenn sie nach einem Spiel aus dem Rollstuhl aufsteht, schauen manche Zuschauer*innen überrascht. Negative Reaktionen hat sie nie bekommen. Wenn sie in München durch die Stadt läuft, fällt ihr auf, wie wenige Rollstuhlfahrer*innen sie dort sieht. Der Sport bringt Menschen auch zusammen, findet sie.

Über Tuscaloosa nach Tokio

Als 2016 die Paralympischen Spiele in Brasilien anstanden, fuhr Katharina mit der deutschen Mannschaft ins Trainingslager. Seitdem ist ihr Ziel klar: Sie möchte bei den Paralympics mitspielen, am liebsten schon 2020 in Tokio. Studium und Leistungssport unter einen Hut zu bringen, war in München nicht einfach. Als ihr 2017 ein Trainer der University of Alabama schrieb, flog sie in die USA. "Die Chance, in Tuscaloosa auf so hohem Niveau zu trainieren, ist einmalig", sagt sie.

Ganz ohne Kulturschock ist sie dort nicht ausgekommen. "In den Südstaaten wird alles frittiert und in der Mensa gibt es Cheeseburger und Pizza. Nur etwas Gesundes ist schwer zu finden", sagt sie lachend. Begeistert ist sie von der Freundlichkeit der Menschen: "Unsere Gastfamilie hat mich und meine beiden deutschen Teamkolleginnen total nett aufgenommen", sagt sie. "Über den Sport kommt man in der Uni auch schnell mit Leuten in Kontakt. Als Athlet*in wird man ganz anders wahrgenommen: Sport gehört einfach zum Campusleben in den USA dazu."

In der Verlängerung zum Sieg

Das Highlight der Saison: der National College Championship. 2018 verloren die Spielerinnen aus Alabama im Endspiel gegen die UT Arlington. Im März 2019 schafften es beide Mannschaften erneut ins Finale. "Ich glaube, wir haben uns wohl gefühl in dieser Underdog-Rolle", sagt Katharina. "Es hat wehgetan, aber wir haben uns das Spiel der letzten Saison immer wieder angeschaut und besprochen, was sich ändern muss."

In den ersten Minuten sah es trotzdem schlecht aus. Erst gegen Ende erreichten die beiden Teams Gleichstand. 16 Sekunden vor Spielende lagen die Spielerinnen aus Alabama dann mit zwei Punkten zurück. Das Team aus Arlington jubelte schon, als Katharina den Ball bekam, in den Korb beförderte und ihr Team so in die Verlängerung brachte: "Danach war da plötzlich so viel Kraft. Die Pässe waren gut gesetzt, die Würfe haben gestimmt." Mit sechs Punkten Vorsprung holten sie den Sieg.

Für Katharina ist es das, was den Sport besonders macht. "Auch in den letzten 20 Sekunden kann noch wahnsinnig viel passieren", sagt sie. In der Nacht nach dem Spiel lag sie wach und schaute sich die Videoaufzeichnung an. Sie brauchte einige Tage, um zu realisieren, was ihr Team erreicht hatte.

Zeit zum Ausruhen blieb nicht. Es folgten Klausuren, dann ein Lehrgang in Deutschland, dazwischen Trainingslager auf Lanzarote. Nach dem Championship in den USA geht es für Katharina in der deutschen Nationalmannschaft weiter. Im Juni wird sie bei den Europameisterschaften in Rotterdam spielen. Ein gutes Ergebnis könnte das Ticket zu ihrem großen Traum sein: die Teilnahme an den Paralympics 2020 in Tokio.