Ich wollte einmal im Leben durch eine Wüste gefahren sein. Wollte wissen, wie sich diese Einsamkeit anfühlt. Wollte wissen, ob das Klischee stimmt, dass sie wirklich nur ein Meer aus Sand ist – Spoiler: ist sie nicht. Wollte einmal durch die Namib-Wüste im Süden Namibias. Einmal von der südafrikanischen Grenze zur Hauptstadt Windhoek.

Das Rad ist schon lange mein liebstes Reisefahrzeug, da ich so nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell unterwegs bin. Nur auf dem Fahrrad habe ich die Möglichkeit, gut voranzukommen und die Umgebung trotzdem intensiv genießen zu können. Ich war zwar früher schon auf zwei Rädern unterwegs, aber nur innerhalb Europas, wo die Straßen und die Infrastruktur wesentlich besser sind. Aber hier in Namibia leben gerade einmal zwei Millionen Menschen. Und das bei der dreifachen Fläche Deutschlands. Mich erwartete eine weite Landschaft und dünne Besiedlung. Namibia gilt als Einstiegsland für Afrikareisende – besonders für Deutsche. Durch die deutsche Kolonialherrschaft Anfang des 20. Jahrhunderts sprechen viele Menschen dort noch Deutsch. Jetzt im Nachhinein kann ich sagen, dass Namibia sich anfühlt, wie Europa als Wüste.

Tausende Fragen gingen mir durch den Kopf:

Was erwartet mich?

Kann ich mit der Einsamkeit umgehen?

Wie fühlt sich diese Weite an?

Aber am wichtigsten: Bin ich psychisch in der Lage, diese Tour zu schaffen?

Zu all den Gedanken gesellte sich die Aufregung. Vor mir lag eine riesige Herausforderung. Ein Abenteuer. Ich stand im Süden an der Grenze zu Südafrika und mein Ziel war das 700 Kilometer entfernte Windhoek. Direkt hinter mir floss der Grenzfluss, der Oranje River. Vor mir erstreckte sich die B1, Namibias Hauptverkehrsroute. Aber die wollte ich umfahren. Einerseits wollte ich die Wüste sehen, andererseits ist die Hauptstraße für Radfahrer wie mich extrem gefährlich.

Einen Plan, wie meine Route aussehen soll, hatte ich nicht. Ich ließ mich einfach treiben. Einzige Bedingung war, dass ich alle zwei oder drei Tage irgendwo Proviant nachkaufen musste.

Mit dem Hörbuch gegen die Einsamkeit

Sogar mein Smartphone hatte ich dabei. Aber ohne SIM-Karte. In der Wüste hatte ich sowieso keinen Empfang. Ich konnte also nicht einmal telefonieren, sollte ich Probleme bekommen. Ich habe es hauptsächlich als GPS genutzt. Außerdem lud ich mir ein paar Hörbücher gegen die Einsamkeit runter.

Mit dem Kopfhörern im Ohr fuhr ich los. Die Strecke führte mich direkt am Fluss entlang und ich sah keinen einzigen Menschen. Nach den ersten Stunden fühlte sich die Stimme in meinem Ohr zunehmend falsch an. Um mich herum nichts als Sand, Luft und ein paar Sträucher. Und ich? Ich streifte in fernen Welten herum und fühlte mich ausgegrenzt von dieser Welt. Also pausierte ich das Hörbuch und packe die Kopfhörer in meine Tasche.

Und dann fiel es mir auf: diese Stille."

Diese wunderbare, einzigartige Stille. Nur ich, mein Fahrrad und die wunderschöne Landschaft. Eine Landschaft, wie von einem anderen Planeten. Alles an dieser Situation fühlte sich surreal an. Wie in einem real gewordenen Film.

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich wahrscheinlich im Umkreis von 80 Kilometern das einzige menschliche Wesen war und leise Zweifel schlichen sich in mein Gehirn. Für eine Weile konnte ich sie noch abschütteln, indem ich mich einfach auf die Straße konzentrierte.

Abends wurde es schwer

Da ich schon öfter mit dem Fahrrad unterwegs war, glaubte ich zu wissen, was auf mich zukommt. Aber hier habe ich mich geirrt. Ich war den ganzen Tag unterwegs und sobald ich einen schönen Platz für das Zelt gefunden und das Abendessen gekocht hatte, schlug die Einsamkeit zu. War ich tagsüber noch abgelenkt von den Eindrücken und der Konzentration auf die schlechte Straße, war das jetzt alles weg. Hier kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass das Einsamkeitsgefühl durch Langeweile noch verstärkt wird.

Um beides zu vertreiben setzte ich mich mit Kopfhörern vor das Zelt. Doch genau wie beim Start fühlte es sich in der Stille der Wüste grundfalsch an und ich steckte sie wieder weg. Auch auf mein Buch, das ich dabei hatte, konnte ich mich nicht konzentrieren. Die Wüste allein bot mir einen wunderschönen Ausblick, aber mir gingen einfach zu viele Gedanken im Kopf herum, dass ich diese Schönheit kaum genießen konnte.

Und dann kamen die Zweifel daran, ob ich mit dieser Einsamkeit umgehen könne."

Zu Hause hatte ich immer Ablenkung. Wenn mir langweilig wurde, habe ich YouTube geguckt oder Blogs gelesen. Das fiel hier plötzlich weg. In der Wüste war ich komplett auf mich selbst reduziert.

Schließlich legte ich mich ins Zelt und versuchte zu schlafen. Am nächsten Morgen wurde es nicht besser. Der Schlaf hat meinen Kopf nicht geleert, sondern mit neuen Gedanken gefüllt.

  • Was habe ich im Leben falsch gemacht?
  • Wie wäre es verlaufen, wenn ich Abitur gemacht hätte?
  • Oder gar studiert?
  • Was mache ich mit meinem Leben, wenn ich wieder zu Hause bin?
  • Möchte ich so weiter leben wie bisher oder muss ich etwas ändern?
  • Sollte ich nicht besser nach Hause fahren?
  • Kann ich das überhaupt? Halte ich das durch?

Mit dem Frühstück in der Hand fing ich an, vor meinem Camp auf und ab zu gehen und versuchte, mir mit Selbstgesprächen die Fragen zu beantworten. Dieses Ritual behielt ich auch die nächsten Tage. Tagsüber ging das ganz gut. Ich war damit beschäftigt, mich auf die Straße zu konzentrieren. Da die Wüstenstraßen in Namibia nicht asphaltiert sind, war ich nur auf Schotter und Sand unterwegs. Das war ziemlich anstrengend.

Aber abends, vor dem Zelt, kamen die Fragen wieder.

  • Was möchte ich aus meinem Leben machen?
  • Was habe ich falsch gemacht?

Nach und nach schlich sich aber doch auch eine gewisse Ruhe in meinen Kopf ein. Jeden Abend wurden die Gedanken leiser und leiser. Und je leiser die Fragen wurden, desto klarer wurden meine Antworten.

  • Ich habe nichts falsch gemacht in meinem Leben, sonst wäre ich nicht hier.
  • Ich bin genau da, wo ich sein will. Hier und jetzt.

Und mit diesen Antworten kam langsam eine innere Zufriedenheit und die Erkenntnis, dass ich manche Dinge nicht ändern kann und sie einfach akzeptieren muss. Später saß ich einfach nur vor meinem Zelt und sah in die Wüste hinaus. Je länger ich dort saß, desto faszinierender wurde diese doch so lebensfeindliche Landschaft. Je länger ich mich hier aufhielt, desto mehr Details konnte ich entdecken. In ein paar hundert Metern Entfernung rannten ein paar Vogelstrauße durch die Landschaft, am Vortag sah ich ein Zebra und ich war gespannt, was der nächste Tag so bringen würde. Vielleicht mal einen Oryx? Oder einen Springbock?

War ich einsam oder allein?

Bevor ich losgefahren bin, hatte ich mir Gedanken über Einsamkeit gemacht und wie ich damit umgehen sollte. Jetzt erkannte ich, dass es darauf keine einfache Antwort gab. Ich war eine Woche alleine in der Wüste unterwegs. Menschen habe ich nur getroffen, wenn ich es wollte. Ich habe mich jedes Mal gefreut, mal wieder ein neues Gesicht zu sehen, war aber auch froh, zurück in die Wüste zu fahren.

Ich habe mich auch einsam gefühlt. Nach zwei Tagen war ich mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt schaffe, was ich mir vorgenommen hatte. Aber nach und nach verschwanden diese Zweifel. Ich war zwar weiterhin alleine unterwegs, aber das Gefühl der Einsamkeit schwand langsam. Ich hatte mich selbst.

Wenn ich es mir richtig überlege, war ich zu Hause oftmals einsamer als alleine in der Wüste. Jetzt, da ich zurück bin, sitze ich öfter mit einem Glas Wein auf dem Balkon und genieße einfach nur den Ausblick. Etwas, das ich vorher nicht konnte.