Hast du mit deinen Freund*innen schon mal über das Geld deiner Eltern gesprochen? Wahrscheinlich nicht. Das Thema Erben wird in Deutschland als etwas sehr Persönliches behandelt. Erben hat in der Regel mit Tod zu tun; bevor jemand erbt, muss jemand anders sterben. Und da der Tod eines Menschen etwas ist, das meist innerhalb der Familie bleibt, wird wohl auch gern übers Erben geschwiegen.

In diesem Text wird es darum gehen, dass Erben genau das nicht sein sollte: persönlich, intim, etwas, über das nur im engsten Kreis der Angehörigen gesprochen wird. Denn die Art, wie in Deutschland vererbt wird, hat massive Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft. Sie macht unsere Gesellschaft ungerechter.

So argumentiert auch die Journalistin Julia Friedrichs in ihrem Buch Wir Erben, für das sie mehrere Erb*innen getroffen und mit ihnen über ihr Verhältnis zu Geld gesprochen hat. Ihre erste Auseinandersetzung beginnt mit ihrem eigenen Freund*innenkreis: "Der Erste, der mein festes Bild ins Wanken brachte, war ein Freund, der mit seinem Gehalt immer gerade so über die Runden kam. Und trotzdem zog er plötzlich aus der kleinen Studentenwohnung mit Kohlenheizung in sein eigenes Townhaus in einer der besten Gegenden der Stadt."

Wie konnte es sein, fragte sich Friedrichs, dass sich auf einmal einige ihrer Freund*innen eigene Bürowohnungen oder Ferienhäuser in Frankreich oder in der Schweiz leisten konnten? "Langsam ahnte ich, dass wir uns vielleicht doch viel weniger glichen, als ich gedacht hatte, dass nun, wo wir erwachsen waren, plötzlich doch wesentlich wurde, was die Eltern, die man nur von flüchtigen Verwandtschaftsbesuchen kannte, in der fernen Provinz eigentlich so machten." Auf Rückfragen erhielt Friedrichs knappe Antworten: Eltern, vorgezogenes Erbe, Schenkung.

Über wie viel Geld reden wir hier?

Wenn du zwischen 20 und 40 Jahren alt bist, dann gehörst du zu der Generation in Deutschland, in der so viel Erbe verteilt wird, wie noch nie. Es ist das Geld, das unsere Vorfahren in der Nachkriegszeit und Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs angehäuft haben.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht von jährlich 400 Milliarden Euro aus, die vererbt oder verschenkt werden. Zum Vergleich: Das ist mehr als der deutsche Staat mit 362 Milliarden Euro als Bundeshaushalt für das Jahr 2020 zur Verfügung hat. Ziemlich viel Geld also, mit dem man eine ganze Menge finanzieren und bewegen könnte.

Westdeutsche Akademiker*innen werden in der Regel am meisten erben, während Ostdeutsche und Kinder aus Arbeiter*innenhaushalten eher nichts bekommen.

Die Sache ist bloß: Nur 50 Prozent erben überhaupt etwas – die andere Hälfte bekommt gar nichts oder erbt sogar Schulden. Mehr noch: Der Branchendienst BBE Media schätzt in einer Studie, dass 40 Prozent des vererbten Vermögens auf etwa acht Prozent der Erb*innen entfallen – eine wiederum kleine Gruppe unter den Erb*innen bekommt also einen Großteil.

Hinzu kommt außerdem, dass diejenigen, die erben, meist ohnehin schon aus einkommensstarken Haushalten stammen und gut ausgebildet sind. Kurz: Westdeutsche Akademiker*innen werden in der Regel am meisten erben, während Ostdeutsche und Kinder aus Arbeiter*innenhaushalten eher nichts bekommen.

Vermögen ist in Deutschland sehr ungleich verteilt – so ungleich, wie in keinem anderen Land der Eurozone. Die oberen zehn Prozent in unserer Gesellschaft besitzen laut DIW mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens. Auf der anderen Seite haben 20 Prozent der Haushalte in Deutschland praktisch gar kein Vermögen und sind auch nicht in der Lage, welches aufzubauen. Ihre Löhne gehen für ihre Lebenshaltungskosten drauf.

Was ließe sich dagegen tun?

Eine Möglichkeit: Steuern. Das Prinzip kennst du von deinem Gehaltszettel. Von deinem Lohn, den du erarbeitest, können dir bis zu 40 Prozent für Sozialabgaben und Versicherungen abgezogen werden. 2019 hat der Staat über die Lohnsteuer 219,7 Milliarden Euro eingenommen – über die Erbschaftssteuer hingegen nur 6,99 Milliarden Euro. Das liegt unter anderem an hohen Freibeträgen, die es möglich machen, ein Vermögen ganz legal an der Steuer vorbei zu vererben. Jedes Elternteil darf dir zum Beispiel alle zehn Jahre bis zu 400.000 Euro steuerfrei schenken. Und Unternehmen können seit 2009 nahezu steuerfrei vererbt werden.Eine Anfrage der Linkspartei von vergangenem Dezember ergab, dass Letzteres vor allem Großerb*innen begünstigt. Sie zahlten laut Bundesregierung 2018 auf Erbschaften im Gesamtwert von 31 Milliarden Euro nur etwa fünf Prozent Steuer. Oft wurde das Vermögen in Form von Firmenanteilen vererbt.

Während Wirtschaftsverbände die Regelung verteidigen und darauf verweisen, dass so Familienunternehmen und Arbeitsplätze gesichert würden, spricht Linken-Chef Dietmar Bartsch von einem Steuerparadies: "Es ist extrem ungerecht, dass Kinder in Armut leben müssen, Rentner immer mehr zur Kasse gebeten werden, die Mitte keine spürbare Entlastung erfährt und superreiche Erben und Beschenkte auf astronomische Summen kaum Steuern zahlen."

In Deutschland ist es so, dass nicht jene belohnt werden, die für ihr Geld arbeiten, sondern die, die ihr Geld für sich arbeiten lassen.

Eine andere Idee hat beispielsweise der britische Philosoph Daniel Halliday formuliert: Er will Erbschaften umso höher besteuern, je älter das vererbte Vermögen ist. Den Vorschlag machte ursprünglich der italienische Ökonom Eugenio Rignano in den 1920ern. Im Interview mit DIE ZEIT erklärt Halliday den Grundgedanken anhand eines Beispiels:

"Ich komme aus Großbritannien. Dort hat David Cameron einmal im Wahlkampf gegen die Erbschaftsteuer gewettert und gesagt: Schaut, wenn jemand hart arbeitet und Geld für seine Kinder spart, dann sollte er das auch vererben dürfen. Bloß: David Camerons Familie ist schon seit Generationen reich. Er weiß also genau, dass viel vererbtes Vermögen gar nicht von den Erblassern hart erarbeitet wurde – es fiel denen auch bloß als Erbschaft in den Schoß. Diese Vermögen befinden sich schon seit Langem in der Hand der gleichen Familie und werden einfach von Generation zu Generation weitergegeben."

In Deutschland wird sich vermutlich erstmal nichts an der Vermögensungleichheit ändern. Denn dazu, hohe Vermögen auch höher zu besteuern, steht im aktuellen Koalitionsvertrag der Großen Koalition nichts. Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagt aber auch, dass eine Steuer allein die Ungleichheit nicht ausreichend bekämpfen könne. Es brauche zusätzlich gezielte Förderungen, um mehr Menschen zu ermöglichen, ein eigenes Vermögen aufzubauen.

Zu welchen Problemen führt das?

Natürlich ist der Gedanke, dass Eltern ihren Kindern etwas hinterlassen und für sie vorsorgen wollen, absolut nachvollziehbar. Nur ist das eben vielen gar nicht möglich. Der französische Ökonom Thomas Piketty, der den Bestseller Das Kapital im 21. Jahrhundert geschrieben hat, beschreibt in einem Interview mit dem Spiegel, was das für unsere Gesellschaft bedeutet:

"Der Demokratie liegt der Glaube an eine Gesellschaft zugrunde, in der die soziale Ungleichheit vor allem auf Leistung und Arbeit beruht und nicht auf Abstammung, Erbe und Kapital. In der Demokratie gerät sonst die proklamierte Gleichheit der Rechte aller Bürger in schreienden Gegensatz zur real existierenden Ungleichheit der Lebensverhältnisse."

Ungleichheit beschränkt Möglichkeit. Wer nichts erbt, wird das bei vielen Lebensentscheidungen einbeziehen müssen.

Anders formuliert: Wer arbeitet, soll dafür in einer demokratischen Gesellschaft gerecht entlohnt werden. Tatsächlich ist es in Deutschland aber so, dass nicht jene belohnt werden, die für ihr Geld hart arbeiten, sondern die, die ihr Geld für sich arbeiten lassen. Das passt weder mit den Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Leistungsgesellschaft zusammen, noch passt es zu dem Versprechen eines Sozialstaates, in dem jede*r dieselben Chancen hat. Vielmehr werden diejenigen reich, die in die "richtige" Familie geboren wurden. Und da große Vermögen nur gering besteuert weitervererbt werden können, wird auch Ungleichheit weitervererbt und weiter verstärkt.

Diese Ungleichheit beschränkt Möglichkeit. Wer nichts erbt, wird das bei vielen Lebensentscheidungen einbeziehen müssen: Mit Zeit und Interesse studieren oder lieber eine Ausbildung und womöglich schneller Geld verdienen? Der Job, der wirklich Spaß macht oder lieber etwas, das Sicherheit und ein geregeltes Einkommen verspricht? Lebenslang zur Miete wohnen oder sich irgendwann etwas Eigenes kaufen können? Kinder oder keine Kinder?

Wer nichts erbt, hat es schwerer in Deutschland.

Du bist unter 30, hast geerbt oder wirst sicher erben? Wenn du darüber sprechen möchtest, was das für dich bedeutet und verändert hat, schreib mir gern eine Mail an nina.monecke@ze.tt.

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