2010, 15 Jahre alt

Es war der 28. Dezember 2010, als der Schwangerschaftstest im Badezimmer positiv anzeigte. Ich war schwanger und im Juli erst 15 Jahre alt geworden. Zurück in meinem Zimmer sagte ich es meinem Freund. Wir redeten darüber, wie wir es unseren Eltern sagen sollten. Ich hatte Angst vor der Reaktion meiner Mutter. "Ich habe einen Schwangerschaftstest gemacht", sagte ich ihr, "er ist positiv." Meine Mutter reagierte ganz entspannt. "Okay, dann gehen wir morgen zum Arzt. Sag noch keinem was." Wahrscheinlich hatte sie schon damit gerechnet, dass so etwas früher oder später passiert. Schließlich war ich in den letzten drei Jahren kein einfaches Kind gewesen.

Ich hatte die Schule geschwänzt, war teilweise wochenlang nicht zu Hause und habe mich schlecht benommen. Ich war genau so unwissend und dumm, wie Teenie-Mütter von den Medien oft präsentiert werden. Ich war eine der 2.936 minderjährigen Mütter in Deutschland, die 2011 ihr Kind zur Welt brachten.

Am 29. Dezember lag ich auf der Liege meiner Gynäkologin. Ich war vorher erst einmal dort gewesen. Der Ultraschall zeigte, dass ich bereits in der zwölften Schwangerschaftswoche war. Die Ärztin gab mir eine Woche Zeit, um zu überlegen, ob ich einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollte. Schwangerschaftsabbruch? Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Noch bevor ich antworten konnte, sagte meine Mutter, dass ein Abbruch nicht in Frage käme. Ich war beruhigt. Zu Hause angekommen, erzählten wir meinem Vater und meiner Schwester von der Schwangerschaft. Mein Bruder war noch zu klein, wir wollten ihn nicht überfordern. An die Reaktion meines Vater kann ich mich nicht mehr erinnern, aber er redete wochenlang kaum ein Wort mit mir.

Die folgenden Wochen bestanden nur aus Terminen. Ich musste zu verschiedenen Beratungsstellen, die mir versuchten einzureden, dass ich es nicht schaffen würde und doch besser den Abbruch durchführen lassen sollte. Das Jugendamt kam zu uns nach Hause und redete stundenlang mit meinen Eltern über mich. Ich gehe nicht zur Schule, räume mein Zimmer nicht auf, wie soll es werden, wenn das Kind da ist?

Das war der Moment, in dem ich realisierte, dass sich mein Leben wohl komplett verändern wird.

2011, 16 Jahre alt

"Du musst ausziehen", sagten meine Eltern irgendwann zu mir. "Deine Schwester steckt mitten im Abitur und dein Bruder ist noch so klein." Ich fühlte mich abgeschoben und unerwünscht. Kurz danach sahen wir uns die unterschiedlichsten Mutter-Kind-Einrichtungen an. Nach etlichen Besuchen suchte das Jugendamt ein passendes für mich aus. Sechs Wochen vor der Geburt zog ich also in ein Mutter-Kind-Heim mit 24-Stunden-Betreuung. Ich hatte ein Wohn-Schlafzimmer, ein eigenes Bad, eine Küche und ein Kinderzimmer. Aber ich war komplett fremdbestimmt: Das Geld wurde für mich eingeteilt. Von 8 bis 12 Uhr musste ich in der Kinderbetreuung sitzen, musste täglich frisch kochen und durfte meine Eltern nur alle zwei Wochen für eine Nacht besuchen. Rausgehen durfte ich erst ab 14 Uhr, mein Freund, mit dem ich bereits drei Jahre zusammen war, durfte mich nur zwischen 15 und 20 Uhr besuchen.

Am Anfang waren diese Regeln schwer für mich, da ich vorher zwei Jahre lang ausschließlich gemacht hatte, was ich wollte. Ich wusste damals nicht, wie anstrengend es ist, Wäsche zu waschen, selbst zu kochen oder hochschwanger einkaufen zu gehen. Und ich wusste auch nicht, wie traurig und abgeschoben von meinen Eltern ich mich fühlen würde.

Am 8. August 2011 ging es ins Krankenhaus, zwei Wochen nach dem errechneten Geburtstermin. Mir war schlecht, ich zitterte und war aufgeregt. Angst vor der Geburt hatte ich jedoch keine Sekunde. Mein Freund war bei mir, als meine Fruchtblase platzte. Ich rief meine Mutter an und sagte ihr, dass es bald soweit sei und sie kommen könne. Meine Mutter und mein Freund sollen bei der Geburt dabei sein – auch wenn der Kontakt zu meinen Eltern schlecht war, war ich froh, sie bei mir zu haben.

Gegen 18 Uhr bekam ich so starke Schmerzen wie nie zuvor, ich konnte mich kaum bewegen und musste ständig erbrechen. Gegen 21 Uhr wurde ich von einer Hebamme untersucht und gefragt: "Was bekommst Du?" "Ein Mädchen", antwortete ich. "Dein Mädchen kommt jetzt", sagte sie und schob mich ins Geburtszimmer.

Meine Mutter sollte für eine PDA unterschreiben, doch ich lehnte ab und sagte der Hebamme, dass ich es ohne schaffen würde. Nachdem ich 20 Minuten lang das Krankenhaus zusammengeschrien und meiner Mutter fast die Hand gebrochen hatte, hielt ich um 21.39 Uhr meine Tochter Mila im Arm. Ich habe nie so eine unendliche Liebe gefühlt. In der Nacht wollten die Pfleger*innen Mila mitnehmen, damit ich mich ausruhen konnte. Keine Chance, ich wollte meine Tochter nie wieder hergeben.

Ich beobachtete sie die ganze Nacht und konnte nicht glauben, dass ich endlich etwas erreicht hatte, was so schön ist.

Nach zwei Tagen durfte ich das Krankenhaus verlassen und zurück in die Einrichtung. Auch dort gab ich Mila nicht ab, ich wollte nicht, dass sie mir jemand wegnimmt. Außer meiner Familie durfte niemand sie berühren. Die nächsten Wochen gestalteten sich einfach, Mila war ein tolles und ruhiges Kind. Endlich habe ich meine eigene, kleine Familie, die niemand zerstören kann. Dachte ich. Und dann doch: Mein Freund verließ mich. Einfach so. Wieder fühlte ich mich allein. Ich war inzwischen 16.

Auch wenn es mich innerlich zerfraß, dass ich wieder alleine dastand, setzte ich alles daran, eine gute Mutter zu sein. Ich wollte die beste Mutter für Mila sein. Als Mila acht Wochen alt war, ging ich wieder zur Schule.

2012, 17 Jahre alt

Im Sommer 2012 machte ich einen guten Hauptschulabschluss im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen. Direkt nach meinem Abschluss fing ich an, im Hospiz zu arbeiten. Manchmal brachte ich Mila mit dorthin, an den anderen Tagen blieb sie in der Kinderbetreuung der Einrichtung.

In der Zeit, in der ich in der Einrichtung lebte, durften nur drei Mütter mit ihren Kindern ausziehen. Die anderen mussten bleiben und warten, bis sie volljährig waren oder bis sie verstanden hatten, wie man mit Kindern umgeht. Einigen wurden ihre Kinder weggenommen, weil sie sie schlugen oder ihnen nichts zu essen gaben. Andere waren drogenabhängig und man sagte ihnen, dass sie ihre Kinder nach einem Entzug wiederbekommen würden.

Wer entscheidet, was richtig und was falsch ist?

In dieser Zeit geriet ich oft mit den Betreuer*innen aneinander. Eine Betreuerin schimpfte mit meiner Tochter, weil sie ihr Brot nicht mit Messer und Gabel aß. Da war Mila eineinhalb Jahre alt. Ich dachte mir damals: Wer zur Hölle isst sein Brot mit Messer und Gabel? Ich wehrte mich und konnte mich am Ende durchsetzen. Ich dachte mir: Ich entscheide, wie meine Tochter isst, was sie machen darf und was nicht. Niemand anderes.

Ich war 17, als ich fragte, ob ich ausziehen könnte. Noch nie zuvor war jemand minderjährig ausgezogen, sagte man mir. Ich gab nicht auf. Ich meldete mich in einer Schule in einer anderen Stadt an und fuhr jeden Morgen um 6 Uhr mit dem Zug dorthin. Vorher kochte ich Mittagessen für Mila, machte ihr Frühstück und legte Klamotten für sie raus. Die Betreuer*innen kümmerten sich um sie, bis ich aus der Schule kam. Im Dezember 2012 hatte ich ein Gespräch mit dem Jugendamt, dem zuständigen Sachbearbeiter für mich, meiner Bezugsbetreuerin, Milas Vormund und meinen Eltern. Bis auf meine Eltern stimmten alle dafür, dass ich ausziehen konnte.

Knapp sechs Monate später durfte ich dann endlich. Ich fand eine kleine Wohnung in der Nähe der Schule und eine Tagesmutter für Mila. Zwei mal in der Woche kam eine Betreuerin, um zu schauen, ob alles in Ordnung war. Bis zu meinem 18. Geburtstag sollte sie für mich zuständig sein, wenn bis dahin alles klappen sollte, würde ich das Sorgerecht bekommen. Als ich endlich mit Mila alleine wohnte, war ich so glücklich wie nie zuvor. Ich konnte raus, wann ich wollte. Ich konnte meine Freund*innen besuchen und sie mich.

2013, 18 Jahre alt

An meinem 18 Geburtstag bekam ich das Sorgerecht. Das war das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe. Endlich konnte ich mit Mila hin, wohin ich wollte. Ich durfte alles entscheiden.

Ich konnte endlich ganz ihre Mutter sein.

Zu meinem 18 Geburtstag bekam ich außerdem 5.000 Euro von meinen Großeltern. Ich ging ins Reisebüro und buchte eine Woche Berlin. Ich wollte schon immer dorthin. In meiner Punk-Zeit war Berlin die coolste Stadt. Meine Großeltern brachten mich zum Flughafen und fragten, ob ich Mila nicht lieber bei ihnen lassen wollte.

Meine Eltern hatten es ihnen wohl gesagt, weil sie Angst hatten, dass ich in meine alten Verhaltensmuster zurückfallen und nicht mehr zurückkommen würde. Ich nahm Mila natürlich mit und wir erlebten eine schöne Woche in Berlin. Zurück zu Hause bestand ich meinen Führerschein und bezahlte mein erstes Auto.

2014, 19 Jahre alt

Mit 19 hatte ich das Gefühl, langsam erwachsen zu werden. Mila steckte damals mit ihren drei Jahren in ihrer Trotzphase. Die anderen Eltern im Kindergarten redeten nicht mit mir. Mila wurde nie zu Geburtstagen eingeladen, obwohl die Erzieher*innen mir sagten, dass sie so ein soziales und liebes Kind gewesen sei. Ich fragte mich oft: Warum muss meine Tochter leiden, nur weil ich so jung Mutter geworden bin? Ich habe mein Kind mit 8 Wochen jeden Tag abgegeben, um meinen Abschluss zu machen. Ich habe mich doch so sehr angestrengt.

Sieht denn niemand, wie sehr ich mich anstrenge?

Nach langem Suchen fand ich einen Job im Pflegedienst. Ich verdiente gutes Geld und wir zogen in eine größere Wohnung. Ich kaufte ein besseres Auto, fuhr jede Woche mit Mila nach Holland ans Meer und erlebte Abenteuer mit ihr. Nach einiger Zeit verlor ich den Job allerdings wieder, weil ich keine Schichtdienste machen konnte und wir mussten wieder in eine kleinere Wohnung umziehen.

2015, 20 Jahre alt

Nach einiger Zeit lernte ich doch ein paar der anderen Eltern im Kindergarten kennen. Diejenigen, die nett zu mir waren, lud ich zu uns nach Hause ein, damit sie sehen, dass ich nicht so bin, wie Teenie-Mütter im Fernsehen immer dargestellt werden. Ich lernte im Internet einen Mann kennen. Nachdem wir Monatelang miteinander geschrieben hatten, trafen wir uns. Er wohnte nur eine halbe Stunde entfernt, also können wir uns oft treffen. Er kümmerte sich um sie als wäre sie seine eigene Tochter. Mila liebte ihn sofort und ich war froh, dass sie nun auch eine männliche Bezugsperson hatte, denn ihr Vater holte sie nicht oft vom Kindergarten ab.

Nach einem halben Jahr zog ich mit meinem neuen Freund zusammen in die Eigentumswohnung meiner Eltern. Wir flogen gemeinsam in den Urlaub und ich begann, wieder in einem Senior*innenzentrum zu arbeiten.

2017, 21 Jahre alt

Seit Sommer 2017 ist Mila in der Schule und auch ich habe mich wieder in der Abendschule angemeldet, um das Abitur zu machen. Mila hat viele Freund*innen gefunden und macht sich gut. Die meisten Eltern in Milas Schule finden es gut, dass ich wieder zur Schule gehe und sagen, dass es ihnen egal ist, wie alt ich bin, weil sie sehen, dass ich eine gute Mutter bin. Weil meine Großeltern mittlerweile verstorben sind, ziehen wir im Januar in das Haus meiner Eltern.

Seit November 2017 bin ich selbstständige, freie Texterin. Anfang 2019 werden wir für sechs Monate, vielleicht auch länger, reisen. Mila habe ich für die Zeit von der Schule befreien lassen. Mila ist jetzt 6 Jahre alt und uns wurden und werden immer noch viele Vorurteile entgegengebracht. Mittlerweile sind mir die anderen egal. Ich weiß, was ich kann und, dass ich die beste Mutter für meine Tochter bin, die ich sein kann.

Ich bin zwar eine junge Mutter, aber das heißt nicht automatisch, dass ich eine schlechte Mutter bin.

Ich bin keine strenge Mutter und verstehe sehr gut, was in Kindern vorgeht, weil ich selbst noch ein bisschen Kind bin. Ich schmeiße die coolsten Geburtstagspartys für Mila und ihre Freund*innen, weil ich selbst gerne eine Eiskönigin-Verkleidungsparty gehabt hätte. Ich kann mit Mila Klamotten kaufen gehen und weiß, was gerade cool ist und was nicht. Mila zeigt und erklärt mir die Welt neu und ich lerne noch einmal, die Welt aus Kinderaugen zu sehen. Ich brauche keine jahrelange Karriere, um mein Kind liebevoll aufzuziehen. Alles, was ich brauche, ist Liebe und Verständnis, der Rest kommt von allein.

Heute denke ich, dass es gut war, dass ich nicht bei meinen Eltern geblieben bin. Vielleicht wäre ich nie so selbstständig geworden, wie ich es jetzt bin. Vielleicht hätte ich Mila oft bei ihnen gelassen, um selbst rauszugehen. Aber so habe ich es geschafft und bin glücklich darüber. Ich habe viel gelernt und bin viel reifer als andere in meinem Alter. Nie hat jemand an mich geglaubt, jetzt habe ich allen gezeigt, was ich kann.