Neulich saß ich mit meiner Freundin vor dem Backofen in ihrer Küche und blickte in den Abgrund. Eigentlich wollten wir nur diesen einen Wein trinken. Dann war es plötzlich sechs Uhr morgens. Die Vögel zwitscherten, der Berliner Himmel färbte sich langsam hellrosa. Ein waschechter Disneyland-Morgen. Wäre da nicht dieses dunkle Backofenfenster, in das ich panisch starren musste. Dahinter erhob sich Minute für Minute ein gesichtsloses, schleimiges Monster. Es zischte aggressiv. Mein Puls beschleunigte. Gleich würde es blubbern, Fäden ziehen und erwarten, dass ich Teile von ihm verschlinge.

Wir hatten gerade eine Pizza Margherita in den Ofen geschoben.

Ich hasse Pizza.

Damit stoße ich im Alltag auf wenig Verständnis. Wie kann man einen duftenden Hefeteig verabscheuen, der sich flexibel mit allem kombinieren lässt, was das Wurst- und Gemüseregal hergibt? Es ist kompliziert. Denn genau genommen liegt es nicht an der Pizza, sondern am Käse. Geschmolzener Käse widert mich an, seit ich denken kann. Er ist mein Erzfeind. Das Demogorgon, der Ramsay Bolton, der Internet Explorer.

Es ist nicht so, als hätte ich mich nicht angestrengt. Ich habe ernsthaft versucht zu verstehen, warum jede*r außer mir mit Käse überbackene Gerichte zu mögen scheint. Also probierte ich einmal, zwanzigmal, dreihundertmal. Mit geschlossenen Augen, zum Abendessen, zum Mittagessen, mit dem Kater meines Lebens. Das Gefühl in meinem Mund blieb gleich.

Das Konzept Quattro Formaggi ist ein Angriff auf meine Persönlichkeit

Ich möchte es an dieser Stelle kurz skizzieren: Wenn ein Käsefaden auf meinen Gaumen trifft, schalten meine Geschmacksnerven auf Krisenstab. In meinem Mund fühlt sich das in etwa an wie das Gummiband der Weckgläser, in denen man sonst Marmelade aufbewahrt. Ein zäher Klumpen, der die magische Kraft besitzt, beim Kauen gefühlt immer größer zu werden. Als würde ich die Sohle eines besonders alten Turnschuhs aus der hintersten Ecke des Fitnessstudios probieren. Dieser Geschmack umhüllt den Rest der Zutaten, aus dem das Gericht besteht, das ich gerade esse. Ich schmecke bei einer Pizza also nicht Tomate, Teig, Salami und, mmh, Mozzarella. Sondern: muffige Schuhsohle, muffige Schuhsohle und Salami, umhüllt von muffiger Schuhsohle. Ich möchte das nicht.

Noch schlimmer wird es, wenn der Käse auf dem Gericht nicht nur Belag ist, sondern als matschige heiße Soße fungiert. Auflauf zu essen ist für mich deshalb so angenehm wie ein Termin bei dem*der Piercer*in: Etwas brennt sich beißend in meine Zunge und hinterlässt einen Nachgeschmack, den ich nicht mal dem Demogorgon, Ramsay Bolton oder dem Internet Explorer wünsche.

Natürlich habe ich Jahr für Jahr panische Angst vor Käsefondue-Einladungen zu Silvester. Das Konzept Quattro Formaggi betrachte ich als Angriff auf meine Persönlichkeit. Eine Pizza mit Käserand – wer zur Hölle kommt auf die Idee, den Rand eines mit Käse überbackenen Teiges mit Käse zu füllen?  – bezeichne ich gerne als das Abendessen gewordene The Walking Dead: sehr abwegig, sehr gruselig und wahnsinnig brutal. Meine Hand-Auge-Koordination ist eigentlich eine Katastrophe. Doch wenn es darum geht, den Pastateller blitzschnell vor Kellner*innen mit einer Käsereibe in Sicherheit zu bringen, bin ich Weltrekordhalterin. Noch bevor sie den Parmesan in Position und ein "Sie sagen einfach Stopp!" über die Lippen bringen, werfe ich beide Arme über die frischen Spaghetti mit Tomatensoße und schütze sie wie ein neugeborenes Babykätzchen.

Es gibt keine Käsehass-Zielgruppe

Etwas nicht zu verstehen, das alle anderen zu lieben scheinen, ist zunächst einmal nichts Schlimmes. Ganz im Gegenteil. Manchmal wird gerade daraus die stärkste Gemeinschaft: Wir ziehen Grenzen, also sind wir. Wenn andere Leute in den Club gehen, trinkst du vielleicht lieber Bier in einem Indie-Pub. Die Clubtänzer*innen bemitleiden dich währenddessen: Langweiler*in. Doch die Liebe zu überbackenen Käse ist so universal, dass gemeinschaftliche Ablehnung nicht funktioniert. Es gibt nämlich schlichtweg keine Käsehass-Zielgruppe. Worauf wird man eingeladen, wenn jemand sichergehen möchte, dass es allen schmeckt? Logisch, Pizza. Was schieben sich Freund*innen in den Ofen, wenn sie um sechs Uhr morgens nach Hause kommen und zu viel Wein getrunken haben? Pizza. Was wird an gemeinsamen Kochabenden zubereitet, bei denen die Fehlerquote gegen Null gehen soll? Pizza. Geschmolzener Käse ist das soziale Bindeelement aller Generationen und funktioniert auf Kindergeburtstagen genauso wie auf Partys mit 27 oder 67.

Meine engsten Freund*innen haben mittlerweile gelernt, mit meiner Abneigung zu leben. Zur Sicherheit fragen sie allerdings in regelmäßigen Abständen nach: "Willst du wirklich nichts? Weil ... es gibt doch nichts Besseres?" Neuen Bekannten stellen sie mich gerne mit "Das ist Lia und sie mag keinen überbackenen Käse" vor. Das bringt übrigens mehr dauerhafte Bindungen als man jetzt denkt: Immerhin ist mit mir an der Seite klar, für wen bei der nächsten Katerpizza mehr übrig bleibt.