Eigentlich war Isa gerade noch auf Weltreise, verbrachte viel Zeit in den USA, bereiste Teile Südamerikas und Afrikas, wollte sich für ein paar Wochen in Portugal niederlassen und dann weiter nach Australien fliegen. In ihre Wahlheimat Berlin kam sie in den vergangenen drei Jahren immer nur auf der Durchreise. Meist für etwa zwei Wochen im Sommer, um Freund*innen zu sehen und von da aus weiterzufahren. Auch diesmal sollte es so sein, erzählt sie auf einem Spaziergang durch Berlin-Charlottenburg.

Im November vergangenen Jahres, eine Woche, nachdem sie in Portugal ankommt, spürt Isa auf einmal etwas in ihrer linken Brust. "Es fühlte sich wie ein kleines Ei an", sagt sie. Zunächst denkt sie sich nicht viel dabei, schließlich hat sie gerade ihre Regel – da kann es schon mal zu Verhärtungen oder Schwellungen in der Brust kommen. Doch als das Ei auch nach der Menstruation noch da ist, sich auch nicht verkleinert hat, beginnt sich ein komisches Gefühl in ihr auszubreiten. Im Gespräch beschreibt sie es als Alarm, der in ihr losging. "Ich wollte kein Fass aufmachen, musste aber doch an meine Familienhistorie denken."

Die Genveränderung BRCA1 erhöht das Brustkrebsrisiko bei Frauen um 70 Prozent

Denn in Isas Familie herrscht ein erhöhtes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Bereits ihre Uroma hatte Brustkrebs, ihre Oma und deren Schwester ebenso. Bei ihrer Mutter wurden Brust- und Eierstockkrebs diagnostiziert und eine ihrer Tanten hatte Tumoren in beiden Brüsten. Grund dafür ist eine erbliche Veränderung auf dem Gen BRCA1. Diese Mutation begünstigt Krebserkrankungen in Brust und Eierstock. Normalerweise liegt die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, für Frauen in Deutschland laut dem Medizinisch Genetischen Zentrum bei etwa 12 Prozent. Bei Frauen mit der BRCA1-Genmutation steigt das Brustkrebsrisiko indes auf 70 Prozent. Auch die Wahrscheinlichkeit, Eierstockkrebs zu bekommen, erhöht sich durch die Genveränderung – von durchschnittlich 1,5 auf bis zu 40 Prozent.

Mit ihren 30 Jahren ist Isa bisher die Jüngste ihrer Familie, bei der die erblich bedingte Krebserkrankung diagnostiziert wurde. Obwohl sie um die Möglichkeit einer genetischen Prädisposition wusste, hatte sie bis dahin noch keinen Gentest zur Feststellung einer BRCA1-Mutation gemacht. Die Frauen in ihrer Familie waren alle viel älter, als sie erkrankten. Deshalb sei sie nicht davon ausgegangen, den Test schon mit Ende Zwanzig machen zu müssen.

Für Brustkrebs beginnen die Risiken in diesen Fällen bereits mit 25.
Prof. Dr. Rita Schmutzler

"Es hieß, dass mit der Genveränderung die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs ab 40 steigt – so hat es mir jedenfalls meine Gynäkologin gesagt", erzählt sie. Eine Expertin widerspricht. Rita Schmutzler, Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs am Uniklinikum Köln, sagt, dass zwar das Risiko, mit einer BRCA1-Mutation an Eierstockkrebs zu erkranken, ab 40 steige. "Für Brustkrebs beginnen die Risiken in diesen Fällen aber bereits mit 25", sagt sie zu ze.tt

Statt den geplanten Monat in Portugal zu verbringen, reist Isa frühzeitig ab. Ihr Flug nach Australien wäre von Berlin aus gegangen, sie wäre also ohnehin nochmal in die Hauptstadt gereist. "Ich wollte dann früher nach Berlin, um mir das anschauen zu lassen. Auch, weil ich zu einem Arzt wollte, dessen Sprache ich spreche." Zu dem Zeitpunkt hat Isa keine Krankenversicherung mehr, schließlich war sie die letzten drei Jahre kaum in Deutschland. Die Suche nach einem Arzt, der sie ohne Versicherung aufnimmt, gestaltete sich schwierig. Deshalb suchte sie einen Gynäkologen beim Gesundheitsamt auf. "Da habe ich mir schon ziemlichen Stress gemacht, weil das da in meiner Brust nicht weggegangen ist", sagt sie. Die Aufregung, die sie dabei gespürt hat, scheint sie in diesem Augenblick noch einmal zu durchleben.

Die Suche nach einem Arzt

Der Arzt im Gesundheitsamt konnte keine konkrete Diagnose stellen, andere Ärzte, bei denen sie telefonisch vorstellig wurde, hätten keine Termine vor März gehabt. "So lang wollte ich aber auf keinen Fall warten – das war mittlerweile auch kein kleines Ei mehr." Der nächste Schritt führte sie in die Charité. Dort habe sie sich 6 Stunden in die Notaufnahme gesetzt und gewartet, dranzukommen. "Ich hab mich da ein bisschen blöd gefühlt", beschreibt sie, "weil alle dort ja irgendwas Akutes hatten – bei mir sah man ja nichts. Ich sah ja komplett gesund aus."

Hätte ich noch ein paar Monate gewartet, hätte der Krebs vermutlich bereits gestreut.
Isa

Die Gynäkologin, die sie untersucht habe, habe das zum Glück gleich sehr ernst genommen und eine Biopsie für den nächsten Tag angesetzt. Sie habe auch zum ersten Mal ausgesprochen, dass es sich um Krebs handeln könnte. "Da wurde mir das erst so richtig bewusst. Zwar hatte ich die ganze Zeit schon diesen Stress im Nacken, der hat sich aber erst in dem Moment richtig deutlich bemerkbar gemacht. Hätte ich noch ein paar Monate gewartet, hätte der Krebs vermutlich bereits gestreut."

Das warten auf das Ergebnis sei das Schlimmste gewesen, sagt sie. Ein bis zwei Wochen dauerte es, bis sie das Ergebnis der Biopsie bekam. "Man fängt dann an, sich die schlimmsten Sachen auszumalen." Nach der Biopsie und Folgeuntersuchungen folgte die Diagnose: "Da hieß es dann, herzlichen Glückwunsch, Sie haben Krebs", kann Isa mittlerweile scherzen. Doch die Nachricht hat sie damals hart getroffen, das merkt man, wenn Isa erzählt. Denn die Nachricht, einen Tumor in der linken Brust zu haben, war nicht die einzige, die sie bekam. Zusätzlich erfuhr sie von der Genmutation und der dadurch erhöhten Wahrscheinlichkeit weiterer Krebserkrankungen.

"Es war total schwierig, zu verstehen und auszusprechen, dass ich eine lebensbedrohliche Krankheit habe. Das wiegt so schwer", sagt sie. Schlimmer aber als für sie selbst, sei es für die Menschen in ihrem Umfeld gewesen. "Ich weiß noch, wie ich mich mit einer Freundin getroffen habe. Sie dachte, ich hätte aufregende Neuigkeiten von meinen Reisen zu erzählen und dann musste ich ihr sagen, dass ich Krebs habe." Es ihren Eltern zu sagen, sei nicht so schwer gewesen, da das Thema Krebserkrankung dort nach wie vor sehr präsent ist. "Getroffen hat es sie dennoch sehr", erzählt sie.

Es war total schwierig, zu verstehen und auszusprechen, dass ich eine lebensbedrohliche Krankheit habe. Das wiegt so schwer.
Isa

Während sie erzählt, gehen wir einen schmalen Weg entlang – zwischen einer Fressnapf-Filiale und einem Aldi-Markt hindurch. Dahinter warten die S-Bahnschienen und ein ungewöhnliches Grünareal, das von der Straße kaum einsehbar ist. "Das hier war sozusagen mein Chemo-Weg", sagt Isa, während wir an Kleingartenhäuschen in unterschiedlichster Ausführung entlangkommen. Nach der Chemotherapie sei sie häufig hierhergekommen, um noch mal rauszukommen. Die Kleingartenanlage ist weniger belebt als andere Grünanlagen in der Gegend.

Krebs in Zeiten von Corona

"Gerade als Corona losging, wollte ich möglichst wenigen Menschen begegnen", erzählt sie. Zu dem Zeitpunkt hatte sie bereits zwei Monate Chemotherapie hinter sich. "Mein Immunsystem war komplett zerstört und ich habe mich ständig irgendwo angesteckt." Zu Beginn der Pandemie isolierte sie sich deshalb selber so gut es ging. Für 90 Tage verließ sie die Wohnung nur, um ins Krankenhaus zu fahren. Und um ausgerüstet mit Maske, Handschuhen und Desinfektionsmittel einkaufen zu gehen.

Unter anderen Umständen hätte sie sich vermutlich nicht so strikt sozialen Aktivitäten entzogen, durch Corona blieb ihr aber gar nichts anderes übrig. "Es war krass. Ich dachte, ich mach jetzt nicht die ganze Chemo, um dann an einem Grippevirus zu sterben – das hatte ich eigentlich nicht vor." Leicht war es nicht für sie, in dieser Zeit komplett auf sich allein gestellt zu sein. Gerade der Körperkontakt zu Freund*innen und Familie habe ihr gefehlt. "Ich habe irgendwie ständig neue Informationen von den Ärzt*innen bekommen, was die nächsten Behandlungsschritte betrifft. In diesen Situationen niemanden zu haben, der mich mal in den Arm nimmt, war das Schwerste."

Ich dachte, ich mach jetzt nicht die ganze Chemo, um dann an einem Grippevirus zu sterben – das hatte ich eigentlich nicht vor.
Isa

Manchmal habe sie sogar vermieden, über Dinge zu sprechen, die ihr Angst machten, "um nicht weinend dazusitzen und damit allein zu sein". Selbst als sie sich wieder mit Leuten treffen konnte, hielt sie den Abstand genau ein. Telefoniert habe sie außerdem viel, besonders mit Leuten, die sie auf ihrer Reise kennengelernt hatte. "Die ganze Welt hatte ja quasi plötzlich frei." Durch ihre strikte "Isa-lation", wie sie ihre Quarantänezeit während der Chemo nennt, habe sie die zweite Hälfte der Behandlung auch ohne größere Komplikationen durchgestanden. Fünf Monate dauerte die Therapie insgesamt, erst musste sie nur alle zwei Wochen ins Krankenhaus, später jede Woche einmal.

"Mir war ein bisschen übel, aber nicht wie man das aus Filmen kennt", erzählt sie von den Nebenwirkungen der Chemotherapie. Schlimmer war nach den Einheiten das Gefühl eines richtig schlimmen Katers, das tagelang nicht wegging. "Ich habe so einen Zungenpelz bekommen und nichts hat mehr geschmeckt. Auch mein Geruchssinn war total verklärt." Insgesamt habe sich ihr Körper falsch angefühlt. Bei einer Chemotherapie werden neben den Tumorzellen auch gesunde Zellen angegriffen, das kann den Körper stark in Mitleidenschaft ziehen. "Dagegen war der Haarverlust gar nichts – scheiß auf die Glatze", sagt Isa, deren Haare mittlerweile – drei Monate nach der Chemo – wieder nachwachsen.

Bye-bye, Busen

Neben den Nebenwirkungen der Chemo musste sich Isa außerdem damit auseinandersetzen, ihre Brust zu verlieren. "Mir war recht schnell klar, dass es eine Operation geben wird – auch, dass beide Brüste wegmüssen. Better safe than sorry!" Bei Frauen, die die BRCA1-Genveränderungen tragen, besteht lebenslang ein erhöhtes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Um zu verhindern, dass sich erneut Krebs bildet, ist eine beidseitige sogenannte Mastektomie die effektivste Methode. "Mit dem beidseitigen Entfernen des Brustdrüsengewebes wird das Risiko einer erneuten Brustkrebserkrankung nach heutigen Erkenntnissen auf unter fünf Prozent reduziert", sagt Ärztin Schmutzler. Alternativ stehe auch die intensivierte Früherkennung zur Verfügung. Sie könne den Krebs zwar nicht verhindern, aber in einem frühen und damit besser heilbaren Stadium entdecken. Für ihre Entscheidung nahm sich Isa viel Zeit und hielt Rücksprache mit verschiedenen Ärzt*innen, schließlich handelt es sich dabei um eine gravierende Veränderung.

Ich habe mich gefragt; brauche ich diese Brüste für mich oder mach ich das für die Gesellschaft?
Isa

"Mir war wichtig, alle Möglichkeiten zu kennen und dann zu entscheiden, was das Beste für mich ist." Deshalb entschied sie sich letztlich gegen einen Wiederaufbau ihrer Brüste. Ein Aufbau mit Eigengewebe sei bei ihr ohnehin schwierig gewesen. Es sei nicht genug Fettgewebe an anderer Stelle vorhanden gewesen, um damit beide Brüste aufzufüllen. Auch ein Aufbau mit Silikon kam nur bedingt infrage, da Isa anschließend an Chemo und Mastektomie noch eine Bestrahlung erwartete. Diese kann sich negativ auf das Silikon auswirken. Doch auch eine Brustrekonstruktion mit Silikonimplantaten zu einem späteren Zeitpunkt ist umstritten. Der Körper erkenne die Implantate häufig als Fremdkörper und es könne zu Gewebeverhärtungen kommen, heißt es dazu im BRCA-Netzwerk.

"Es kam nie so richtig auf den Tisch, dass man die Brüste einfach entfernt und komplett weglässt. Das wird gar nicht so beworben", erläutert Isa den Prozess. Sie entschied sich schon deshalb gegen eine Rekonstruktion, weil sie befürchtete, ihre Lebensqualität könne darunter leiden, falls ihr Körper nicht gut auf die Implantate reagiere. "Ich habe mich gefragt; brauche ich diese Brüste für mich oder mach ich das für die Gesellschaft?" Für Isa ist es wichtig, dass das Bild einer Frau ohne Busen normalisiert wird. "Niemand sollte sich dafür schämen müssen, keine Brüste zu haben – besonders nach so einer schlimmen Krankheit."

Erhöhtes Risiko für Eierstockkrebs

Schwieriger als der Verlust ihrer Brüste sei der Gedanke gewesen, keine Kinder mehr bekommen zu können. Durch die Chemotherapie hat bei ihr eine verfrühte Menopause eingesetzt. "Ich wusste vorher nicht, dass die Chemo wirklich so zerstörerisch ist." Expertin Schmutzler sagt: "Mit der Chemotherapie werden auch die Eierstöcke vorrübergehend in Mitleidenschaft gezogen." Das beträfe besonders sich schnell teilende Zellen und dazu gehöre eben auch die Eizellreifung. Wie sich die Chemotherapie langzeitig auf die Fruchtbarkeit auswirke, lasse sich nicht vorab bestimmen. Bei jungen Patient*innen sei es aber häufig so, dass sich die Eierstöcke nach ein bis zwei Jahren erholen und eine Schwangerschaft wieder möglich wird, sagt Schmutzler. Abhängig sei dies auch von der Art der Chemotherapie.

Da die insgesamt sechszehn Chemoeinheiten den Tumor nicht restlos entfernen konnten – die Pathologie nach der Mastektomie noch Reste des Tumors in einem von Isas entnommenen Lymphknoten fand –, wird im Anschluss an eine Bestrahlung eine weitere Chemo mit Tabletten folgen. Da die BRCA1-Mutation auch Eierstockkrebs begünstigt, sollte sie sich ebenfalls über eine Entfernung dieser zu gegebener Zeit Gedanken machen. Schmutzler rät Frauen mit einer Veränderung im BRCA1-Gen, "ab 35 bis 40 über eine prophylaktische Eierstockentfernung nachzudenken". Das Problem bei Eierstockkrebs sei, dass es bisher keine Möglichkeiten zur Früherkennung gebe. Häufig werde ein Ovarialkarzinom deshalb erst spät erkannt.

"Ich weiß nicht, wie lang mein Körper braucht, sich von all dem jetzt zu erholen und ich möchte ihm erst einmal Zeit dafür geben", sagt Isa. Die Familienplanung demnächst anzugehen, kann sie sich aktuell nicht vorstellen. "Ich glaube nicht, dass ich noch eigene Kinder bekommen werde", sagt sie. Diese Erkenntnis habe sie hart getroffen, sie sei schon davon ausgegangen, einmal leibliche Kinder zu haben. Dass sie sich ihre Eierstöcke in absehbarer Zeit entfernen lassen wird, steht für sie allerdings fest. "Ich glaube auch nicht, dass ich meinen Körper noch durch eine Schwangerschaft bringen wollen würde. Der hat jetzt schon so viel hinter sich." Zu gegebener Zeit könne sie sich stattdessen vorstellen, ein Kind zu adoptieren.

Das bin nicht ich – ich kann Tausend andere Sachen, die geiler sind als Brustkrebs.
Isa

An die fehlende Brust hat sich Isa schnell gewöhnt. Geholfen hätten ihr unter anderem Social-Media-Kanäle, auf denen Menschen unter dem Hashtag #goingflat Fotos nach ihrer Mastektomie posteten. "Es ist hilfreich, dass es diesen Content gibt." Es sei wichtig, mehr Sensibilität und Aufmerksamkeit rund um das Thema zu schaffen. Mit den Menschen in ihrem Leben spricht sie deshalb ganz offen über alles.

An den Seiten von Isas Oberteils kann man die rosaroten Narben erkennen, die sich bis unter die Achseln ziehen. Dort, wo Isa bestrahlt wird, ist die Haut etwas gerötet, außerdem sind blaue Markierungen zu sehen, die beinahe aussehen wie frische Tätowierungen. Obwohl diese Erkrankung nun ein Teil von ihrem Leben ist, möchte sie versuchen, sich nicht zu sehr mit ihr zu identifizieren, sagt sie während wir das Kleingartengelände Richtung Lietzensee verlassen. "Das bin nicht ich – ich kann Tausend andere Sachen, die geiler sind als Brustkrebs."