"Ich muss verrückt sein." So in etwa dachte ich, als ich mich vor gut drei Jahren, mit 26 Jahren, ins Flugzeug setzte und in Richtung Pisa abhob. Eine Woche Italien. Pasta, vino, amore. Den Part für amore, mit dem ich den Urlaub verbringen sollte, kannte ich allerdings noch gar nicht richtig. Er soll in dieser Geschichte Simon heißen und war damals 32 Jahre alt. Dreimal hatte ich ihn vorab getroffen – wenn man das erste Mal mitzählt, den Abend als Simon mich angesprochen und nach meiner Nummer gefragt hat.

Das klingt jetzt für viele erst mal gewöhnungsbedürftig. Wenn ich mich in seinem Bekanntenkreis umhöre, bin ich aber nicht die einzige, die mit einem Date in den Urlaub gefahren ist. Bestsellerautorin und Beziehungscoachin Elena Katharina Sohn gibt mir recht. "Man kann so etwas Verrücktes ruhig mal machen", sagt Sohn, "um Sinn geht es in der Liebe selten – deshalb kann man sich ruhig mal etwas trauen." Ob deshalb die Chancen auf eine Beziehung besser stehen? Wohl eher nicht. "Es gibt ganz sicher Erfolgsgeschichten, die so begonnen haben. Genau wie es auch Flops gibt", sagt sie.

Wenn eine*r von uns sowieso fliegen muss – warum nicht gleich zusammen verreisen?

Bei mir und Simon sprachen die Umstände für ein gemeinsames Durchdrehen: Simon und ich hatten uns auf einer Party kennengelernt. Er saß zufällig in dem Hamburger Restaurant, in dem ein Bekannter von mir seinen Geburtstag feierte. Im Laufe des Abends sprach er mich an.

Die Chemie stimmte. Einen Abend später gingen wir zusammen essen, die Nacht darauf verbrachten wir zusammen. Noch einen Tag später brachte ich Simon zum Flughafen. Er arbeitet zu diesem Zeitpunkt als Hedgefond-Manager in einer europäischen Großstadt. Wo wir auch schon für den eigentlichen Grund für den verfrühten Liebesurlaub wären: Eine solche Distanz macht es etwas schwierig, sich näher kennenzulernen. "Wir überlegen uns jeder für uns drei Urlaubsziele, okay?", schlug Simon deshalb vor, als wir ein paar Wochen später telefonierten. "Wenn sich da etwas überschneidet, komme ich nächstes Mal nicht nach Hamburg, sondern wir fahren direkt in den Urlaub."

Wie es aussah, fanden wir beide die Toskana als Urlaubsziel ganz gut. Warum also nicht das Kennenlernen im Schnelldurchlauf vorspulen? Eine*r von uns beiden musste ja eh ins Flugzeug steigen, damit wir uns wieder sehen konnten und im Zweifelsfall würde ich halt ein paar nicht ganz so tolle Urlaubstage in Italien haben, dachte ich mir.

Womit ich die richtige Einstellung für eine derartige Hauruckaktion mitbringe, wenn es nach Coachin Elena Sohn geht: "Wer ein spontaner, lockerer Typ ist, kann so etwas gern probieren. So nach dem Motto: Entweder es ist schön oder eben nicht schön." Man sollte jedoch mit beidem leben können, sagt Sohn. "Mit einer solchen Entspanntheit an so eine Art Beziehungstest heranzugehen, ist eine Super-Bedienung. Dann ist man ein Mensch, der so einen Kennenlernprozess guten Gewissens machen kann", sagt sie. Im schlimmsten Fall habe man ein paar Urlaubstage verschenkt oder man müsse sich eben eine andere Unterkunft suchen.

Nach einem Urlaub kann man ganz genau sagen, wie es um die Beziehung steht

Simon machte es mir einfach, entspannt zu bleiben. Ich musste nur meinen Flug buchen. Meinen Eltern erzählte ich, dass mit einer guten Freundin verreisen würde. Er kümmerte sich um die Unterkunft, was so viel hieß wie, dass er die teuerste Villa der ganzen Toskana ausfindig machte, und dieses Sechs-Personen-Domizil gegen meinen Protest für 440 Euro die Nacht anmietete. Mir wäre eine normale Wohnung, die meinen finanziellen Möglichkeiten entsprochen hätte und an der ich mich hätte beteiligen dürfen, wesentlich lieber gewesen.

Die Tage vor meinem Abflug wurde ich zunehmend aufgeregter. Auf einmal fand ich es doch etwas krass, mit jemandem in den Urlaub zu fahren, den ich erst gerade kennen gelernt hatte. Andererseits zeigt sich nirgends so deutlich wie im Urlaub, ob man zusammenpasst oder nicht. Das war bei mir in der Vergangenheit immer so: Ich habe Freund*innen, mit denen ich nach dem ersten gemeinsamen Urlaub erst mal eine Woche Funkstille einlegen musste und wenn ich mit einem meiner Exfreunde verreist bin, konnte man danach ganz genau sagen, wie es um die Beziehung stand.

Viel Streit wegen nichts oder viel Sex? Im Urlaub zeigt sich das ganz schnell. Mal abgesehen davon, war es doch schon mal super, dass Simon und ich uns beide so für Italien begeistern können. Auch das muss man erst mal schaffen, denn gerade im Urlaub können die Interessen ja ganz gewaltig auseinandergehen und am Ende sitzt man unzufrieden im Pauschalurlaub an der Bar, obwohl einem der Sinn viel eher nach Surfen und Wandern stehen würde. Dann doch lieber gleich schauen, ob es passt.

Kompakt-Dating in Italien

Ich kam bereits morgens an, sein Flugzeug landete erst abends. Ich verbrachte den Tag alleine in Pisa und machte mich dann auf den Weg zum Flughafen. Einen kurzen Moment fühlte ich mich unsicher, denn immerhin war es schon gut drei Wochen her, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Das Gefühl verabschiedete sich aber, als Simon mich lächelnd umarmte und ich mich schlagartig erinnerte, wie es sich mit ihm anfühlte.

Später saßen wir an in einer Bar an einer Flusspromenade, lachten zusammen und fühlten uns wie ein richtiges Paar. Eins, das schon ewig zusammen war und nicht zum Kompakt-Dating nach Italien reiste. Normalerweise ist es ja so, dass man erst eine Weile braucht, bis man den anderen ganz durchschaut hat, versteht, wie Witze gemeint sind, weiß, was man erzählen kann und was man lieber für sich behalten sollte. Bei Simon und mir war das ganz unkompliziert. Ich konnte einfach ich selbst sein und als ich mir nach dem zweiten Aperol Spritz meine Zigarette verkehrt herum anzündete, kriegte sich Simon vor Lachen fast nicht mehr ein. Wir waren beide vom ersten Tag an so sehr in Urlaubslaune, wie man es nur sein kann.

Aus einem gelungenen Urlaub kann man noch keine Beziehung ableiten

"Meistens versteht man sich im Urlaub immer etwas anders als im Alltag", sagt Coachin Sohn. "Bei den meistens ist alles etwas besser, weil der Alltag wegfällt." Im Urlaub habe man nicht die Probleme, mit denen man sonst so zu tun hat. Deshalb könne man aus einem gelungenen Urlaub auch keine Beziehung ableiten. "Es wäre etwas einfach zu sagen: Mit jemandem, mit dem ich mich im Urlaub gut verstehe, kann ich auch eine Beziehung führen", sagt Sohn. Aber auch: "Wenn ich mich im Urlaub sehr gut verstehe, ist es vielleicht einen Versuch wert, zu schauen, ob es auch im Alltag funktioniert."

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Der gesamte Urlaub war herrlich entspannt. Morgens gingen Simon und ich durch die Hügel vor unserer Haustür laufen, tagsüber schauten wir uns so zauberhafte Orte wie Cortona, Montepulciano und Assisi an, abends gingen wir essen und setzten uns danach mit einer Flasche toskanischen Wein an unseren Pool. Ich erfuhr eine Menge Dinge über Simon, die ich noch nicht wusste: von seiner Familie, der Scheidung seiner Eltern, seiner Jugend in den USA. Simon wiederum wollte alles über meinen Hund wissen und freute sich, wenn er wieder erfolgreich eine der Bremsen verscheucht hatte, die um uns herumschwirrten.

Viele Menschen, die sich auf eine solche Art kennenlernen, haben eine wahnsinnig große Erwartungshaltung.
Beziehungscoachin Elena Katharina Sohn

Am letzten Abend waren wir zusammen in einer Burg essen. Die Kellnerin erzählte in gebrochenem Englisch etwas von einer geschlossenen Veranstaltung, und dass sie noch einen kleinen Platz für uns habe. In dem Restaurant wurde eine Hochzeit gefeiert, wie wir erst beim Essen bemerkten und während wir unsere zweite Flasche Wein tranken und das Paar anfing zu Christina Perries A Thousand Years zu tanzen, dachte ich mir heimlich, dass so ein Liebeskitsch irgendwie doch ganz schön ist. Vielleicht war es aber auch nur der Wein, die filmreife toskanische Kulisse und der Zauber des frisch verheirateten Paares, die mich so schnulzig-romantisch werden ließen.

Als wir am nächsten Tag am Flughafen standen und wir uns umarmten, überkam mich jedenfalls ein eher ungutes Bauchgefühl. Der Urlaub war traumhaft ja, aber erwacht man nicht irgendwann aus jedem Traum? Ich wollte Simon so gern fragen, wie er das alles sah, doch als ich den Mund aufmachen wollte, hinderte mich irgendetwas daran, über meine Gefühle zu sprechen. Vielleicht waren wir uns am Ende doch gar nicht so nah wie gedacht. Wenn man mit jemandem ganz auf einer Wellenlänge ist und den anderen komplett erfasst hat, ist man ja gewissermaßen eh nackt, weshalb es einem dann auch gar nicht groß peinlich sein muss, seine Gefühle zu offenbaren. So guckten wir uns nur lange an, umarmten uns herzlich und über uns hing die Frage, wie es weitergehen sollte.

Wer zu große Erwartungen hat, kann eher enttäuscht werden

"Ein solcher Urlaub ist Teil des Kennenlernprozesses", sagt Sohn. "Viele Menschen, die sich auf eine solche Art kennenlernen, haben eine wahnsinnig große Erwartungshaltung, dass alles jetzt ganz toll ist und der Start in eine Beziehung werden soll." Entsprechend groß sei dann auch das Potenzial, enttäuscht zu werden und Stress zu haben. "Man sollte vor so einer Aktion deshalb ehrlich mit sich selbst sein: Habe ich einfach Lust auf den Urlaub selbst und kann dabei entspannt bleiben – oder steigere ich mich da gerade ganz ganz doll in etwas herein?"

Vielleicht waren Simon und ich eine Spur zu spontan und locker. So spontan und locker, dass aus unserem Urlaub nie irgendwelche weiteren Verbindlichkeiten entstanden. Wir haben uns nach der Traumreise in der Toskana noch zweimal wiedergesehen. Eher anstandshalber und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, bin ich mir ziemlich sicher, dass wir schon damals nicht mehr so wirklich an eine Zukunft für uns beide glaubten.

Basta

Er kam mich trotzdem für zwei Wochenenden in Hamburg besuchen; auch das war wieder entspannt und wir haben uns gut verstanden, aber auf die Dauer haben wir es einfach nicht hinbekommen, so etwas wie einen Alltag in die Distanz zu bekommen. In seinem Beruf musste Simon oft bis in die Nacht arbeiten, war dadurch oftmals schlecht drauf und nörgelte, er könne diesen Job maximal noch ein, zwei Jahre durchhalten.

Manchmal schrieb er auch tragische Nachrichten, wie gern er doch auf Dauer bei mir in Hamburg wäre, dass seine Branche hier aber kaum vertreten sei. Abends war er oft nicht mehr ansprechbar und meine Anrufe oder Nachrichten, die ich schrieb, wurden erst zwei Tage später beantwortet.

Ich war davon genervt und hatte immer mehr das Gefühl, dass wir zwei nicht ganz auf Augenhöhe waren – auch dadurch, dass er den Urlaub zum Großteil bezahlt. Es ist halt etwas anderes, ob man eine gute Zeit bei 30 Grad Sonnenschein, ohne Alltag, Arbeit und übermäßigem Weinkonsum hat, oder ob man unter der Woche durch einen Ozean, unterschiedliche Lebensmodelle und dem Drang nach Selbstverwirklichung getrennt wird. Insofern wurde aus unserem Liebeswahnsinn nichts weiter.

Das muss nicht so sein. Es gibt genauso Paare, die als Tinder-Date in den Urlaub fahren und glücklich verheiratet zurückkommen, die nach nur drei Wochen zusammenziehen oder nach fünf Wochen heiraten. Ich gehöre lieber zu dieser Art von Mensch, denn wenn ich etwas finde, dann ist es, dass schöne Dinge, ganz egal, was daraus weiter wird, es immer wert sind, erlebt zu werden. Mit angezogener Handbremse fährt es sich nicht gut – da steige ich lieber mit zittrigen Knien ins Flugzeug nach Pisa.