Die ganze Geschichte war so schnell eskaliert, ich kam gar nicht hinterher. Noch vor ein paar Tagen hatte J. nie etwas von dem Kollegen erzählt und nun tickerte sie mir ihren Gefühlszustand live aus der Teeküche durch. Zwischen "Das ist mir wirklich seit Jahren nicht mehr passiert" und "Ich will den einfach aufessen!", beschrieb sie ihre mühsamen Versuche, trotz aller Instant-Verliebtheit irgendwie entspannt zu bleiben: "Ich halte es aber nicht aus!"

Doch so zügig diese Verliebtheit aufgeschäumt war, so flugs fiel sie wieder in sich zusammen. J. hatte schließlich all ihren Mut zusammengenommen und ein Date initiiert, an dessen Ende ihr Liveticker nur noch eine Meldung schickte: "Der ist auch nur ein Typ. Ich schäme mich ein bisschen."

Ohne Chance blitzverliebt

W. war es ganz ähnlich gegangen. Das erzählte er mir nur ein paar Tage später am Telefon. Er hatte sich auch blitzverliebt, in einen Kommilitonen. "Erst fand ich ihn gar nicht so toll, aber dann hat er so offensichtlich mit mir geflirtet, da ging bei mir das Kopfkino los. Ich habe mich in dieses Verknalltsein so reingesteigert, in meinem Kopf waren wir schon ein altes Ehepaar. Ein total glückliches altes Ehepaar."

In meinem Kopf waren wir schon ein altes Ehepaar."

Nichts hätte er dagegen machen können, obgleich er irgendwie ahnte, dass ihm das Reinsteigern auf die Füße fallen würde: "Ich wollte auch einfach mal das Verliebtsein genießen, weißt du, dieses Kribbeln, der kleine Bauchschmerz, diese zarten Freuden, wenn man sich zufällig begegnet."

"Aber was ist dann daraus geworden?", wollte ich von W. wissen. "Pff", seufzte er nur, "Wie, als wenn man sich mit vollem Karacho auf eine Luftmatratze wirft und der dann leider sofort die Luft ausgeht. So hat es sich angefühlt." "Reality check?" "Ja", gesteht W., "Den hat er nicht bestanden. Ich glaube, ich hatte mich einfach eher in die Idee verliebt."

Von der Idee zur Obsession

Zwei Erfahrungen, ein Phänomen. Eines, das gar nicht so selten ist. Wir lernen jemanden kennen, es gibt die Ahnung einer gegenseitigen Anziehung und schon pengt sich die Blitzverliebtheit in die Magengrube. Doch oft genug ergeht es uns dann wie J. und W.: Wir verlieben uns an der eigentlichen Person vorbei und müssen merken, dass es eher die Idee war, die wir so mochten. Das merkt man, wenn sich die Verliebtheit verhält wie ein missglücktes Soufflé bei Raumtemperatur. Mit viel Mühe zusammengerührt, mit Spannung erwartet, sackt es unaufhaltsam zusammen. Irgendetwas haben wir falsch gemacht. Aber was?

Wir haben uns in die Idee des Verliebtseins verliebt. Und eben nicht in eine Person. Bei einer solchen Verliebtheit begehren wir vor allem etwas, von dem wir wünschen, dass es der*die andere darstellt. Wir glauben, da jemanden erkannt zu haben. Wir hoffen, dass er*sie es sein könnte. Ein Wunderkind. Ein einzigartiges Wesen, nur für uns. Wir wünschen uns das so sehr. Und was man wünschen kann, das kann man sich auch herbeifühlen.

Reality Check

Doch meistens hält diese Blitzverliebtheit den Reality Check nicht aus. Weil die gegenseitige Anziehung nicht trägt, und wir merken, dass das Wunderkind auch nur ein Mensch ist. Und eine solche Enttäuschung ist auch eigentlich keine Überraschung. Denn wer kann einen Reality Check bestehen, wenn er so überhöht wurde?

Eben. Aber dennoch tut das Gefühl weh. Angenehm ist es nicht, im vollen Verliebtseinslauf plötzlich auf den Hosenboden gesetzt zu werden. Aber wer sich in die Idee des Verliebtseins verliebt hat, der kann den Lauf aus eigenem Zutun leider kaum stoppen. Wer sich in eine Idee verliebt, der verliebt sich womöglich in alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Was irgendwie schon passen könnte. Da reicht ein kleiner hingeworfener Brocken Aufmerksamkeit von der anderen Person und schon flattern Herzen bis zur Beklemmung.

Was dahintersteckt

Wir wollen es zunächst nicht wahrhaben, aber meistens stecken ganz einfache Bedürfnisse dahinter. Dass wir nicht mehr allein sein wollen, zum Beispiel. Ganz unabhängig davon, wie zufrieden wir eigentlich sonst mit unserem Singleleben sind. Wir möchten mal wieder, dass sich jemand um uns kümmert. Nicht die Freund*innen, sondern jemand, den*die wir anfassen dürfen. Überall, immer und einfach so. Jemand, der noch mal anruft. Dem wir uns erzählen können. Und der davon auch wissen will. Dinge von früher, Geheimstes und Banalstes. Jemand, der uns unvoreingenommen annimmt, der uns zweifelsfrei will.

Wünsche, die tief sitzen und sich auch deswegen als ganz herausragende Betreiber unseres Kopfkinos eignen. Des Verliebtsein-Kopfkinos. Des Kopfkinos, das, einmal angeworfen, nur mit Gewalt wieder auszuschalten ist. Je länger wir uns einbilden können, dass die Idee-Verliebtheit keine ist, sondern etwas echtes, etwas gegenseitiges hat, desto wundervoller wird der Film, den wir vor uns hin projizieren. Die Idee ist einfach so schön. Das Gefühl fühlt sich so echt an. Dabei ist es die Projektion von etwas: Verliebtsein.

Vom plötzlichem Schmerz

Gefährlich wird das, wenn es weh tut. Wenn sich das Perpetuum Mobile unserer Blitzverliebtheit aufhört zu drehen, weil die geglaubte Gegenseitigkeit, die es angeworfen hat, ans Tageslicht gerät und dort aussieht wie Spucke auf Asphalt. Nicht mehr schön und irgendwie unmotiviert.

Dann kann es helfen, sich die Bedürfnisse, die es aufgeweckt hat, einzugestehen. Bedürfnisse und Wünsche gehen zwar durch Reflexion nicht weg, aber Reflexion kann uns nicht nur unterstützen, die Episode zu verarbeiten, sondern auch, nicht wieder so schnell darauf hineinzufallen.

Eine Idee-Verliebtheit ist nämlich auch informiert von einem Ideal, dem wir uns noch mit dem solidesten Diskursabwehrmechanismus schwer entziehen können. Der Vorstellung, dass es diese eine Person gibt. Diese eine, diese richtige, diese wahre Person. Eine verlockende Idee. Auch eine schöne Idee. Aber eben eine Idee.