Lehrer*in, Elektroniker*in – oder doch Psychotherapeut*in? Auf der Suche nach dem Traumjob scheinen die Möglichkeiten erst mal grenzenlos. Das gilt allerdings längst nicht für alle Menschen. Wer eine psychische Erkrankung hat, ist in der Wahl meist eingeschränkter. Manchmal, weil die Auswirkungen der Krankheit so manchen Job undenkbar machen. Oft aber auch, weil es Betroffenen von der Außenwelt abgesprochen wird.

Leonie ist heute 24 Jahre alt und arbeitet als Sozialarbeiterin. Ihren echten Namen möchte sie nicht verraten, weil es sie ihren Job kosten könnte. Julia, 27 Jahre alt, schult gerade um, weil sie sich nicht stabil genug fühlt für ihren vorherigen Berufswunsch, Therapeutin zu werden. Beide wissen: Auch, wenn man sich mal für einen Beruf entschieden hat, hören die Probleme nicht zwingend auf. In Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgesprächen eine psychische Erkrankung zu erwähnen, fällt nicht leicht. Leonie wurde genau deswegen schon abgesagt. Auch Erzieherin Marie weiß, dass ein offener Umgang mit der Erkrankung die Arbeitssuche nicht gerade leichter macht. Die 29-Jährige bleibt hier deshalb auch anonym. Die drei Frauen haben ze.tt von ihren Erfahrungen bei der Arbeitssuche berichtet.

Leonie, 24, Sozialarbeiterin – "Mit meiner Borderline-Erkrankung arbeiten kann ich nur, weil ich sie verschweige"

Ich wusste schon früh, dass ich Sozialarbeiterin werden möchte. Nach dem Abitur habe ich ein Jahr in einer Inobhutnahme gearbeitet. Das ist ein recht krasses Feld in der Jugendhilfe, dort kommen die Kinder und Jugendlichen hin, die gerade weder zu Hause noch in einer Jugendhilfeeinrichtung wohnen können. Sie werden erst mal in der Inobhutnahme untergebracht, bis man weiß, wie es weitergeht, es gibt dort viel Frust und Aggression. Ich habe während dieser Zeit viele Erfahrungen sammeln können – auch, was das mit mir und meiner Psyche macht, ob ich das überhaupt kann.

Das ist etwas, was ich ständig von Verwandten und Bekannten höre: Ich solle mir noch mal überlegen, ob ich diesen Job wirklich machen will. Ich weiß, dass sie das aus Sorge um mich sagen, aber es hat dazu geführt, dass ich mich selbst oft frage: Kann ich das? Und, die viel schlimmere Frage: Darf ich das? Darf ich mit einer psychischen Erkrankung mit psychisch Kranken arbeiten?

Ich frage mich selbst oft: Kann ich das? Und, die viel schlimmere Frage: Darf ich das?

Heute weiß ich: Ja, ich darf das machen. Letztes Jahr im November habe ich mein Studium abgeschlossen und bin Sozialarbeiterin geworden. Seit knapp einem Jahr arbeite ich jetzt in der Jugendhilfe, in einer therapeutischen Intensivwohngruppe. Ich arbeite dort mit Jungen zusammen, die in ihrem Leben schon eine Menge Scheiße gebaut haben und jetzt lernen sollen, wieder gesellschaftsfähig zu werden.

Ich bin überzeugt davon, dass ich meinen Job nur deshalb bekommen habe, weil ich meine psychische Erkrankung nicht angesprochen habe. Im Bewerbungsgespräch kam die Frage: "Warum haben Sie für Ihr Studium so viel länger gebraucht?" Statt sechs hatte ich neun Semester studiert, so lange brauchen viele andere auch. Da habe ich gesagt, dass es in der Zeit private Probleme gab und ich mich deshalb etwas aus dem Studium zurückgezogen hatte. Ich habe nicht gesagt, dass ich ein Jahr während des Studiums in der Psychiatrie war.

Mit meiner Borderline-Erkrankung arbeiten kann ich nur, weil ich sie verschweige.

Wenn ich mit meiner Borderline-Erkrankung offen umgehen würde, würde ich erfahrungsgemäß im sozialen Bereich gar keinen Job bekommen. Die Diagnose kann bei der Arbeitssuche tatsächlich tödlich sein. Wir hatten das Thema letztens mal unter Kolleg*innen, da hieß es, Menschen mit Borderline seien gefährlich und manipulativ. Es wurde sehr deutlich, dass ich lieber meinen Mund halte. Ich finde mich ständig in Situationen wieder, aus denen ich mich herausreden muss. Das ist das, was belastet: Gar nicht die psychische Erkrankung, sondern diese Ausreden. Ich habe nur einen befristeten Vertrag, der würde dann definitiv auslaufen. Ich habe auch schon mal einen Job während des Studiums verloren, weil das herausgekommen ist. Die Begründung war damals: Mit Borderline-Kranken kann man nicht arbeiten, man könne mich ja nicht auf Kinder loslassen.

Das große Problem auf dem Arbeitsmarkt ist, dass der Mensch nicht als Mensch gesehen wird, sondern als seine Schwächen. Ich bin mehr als eine Borderline-Erkrankung, ich bin mehr als eine Depression, ich bin mehr als eine posttraumatische Belastungsstörung. Nur, weil ich das habe und darunter leide, heißt das nicht, dass ich meinen Job nicht gut machen kann. Ich kann verstehen, dass man keine Borderline-Patient*innen einstellt, die nicht behandelt sind. Weil das wirklich zu Komplikationen führen kann. Aber ich bin gut behandelt, und die Möglichkeit, das zu sagen und zu beweisen, gibt man mir nicht. Dass ich schon ein Jahr in diesem Beruf arbeite, ist nicht Beweis genug.

Man muss mit Bewerber*innen nicht nur über die Erkrankung, sondern auch über die Therapie reden. Es ist schon wichtig, dass psychisch kranke Menschen therapiert werden oder schon sind. Wenn Arbeitgeber*innen das berücksichtigen, dann wird hoffentlich nicht mehr prinzipiell aussortiert, weil jemand psychisch krank ist, sondern mehr auf die Qualitäten des*der Bewerber*in geschaut – wie man es bei jedem anderen auch tut.

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Marie, 29, sucht nach einem Job als Erzieherin – "Psychisch Kranke sind besser für soziale Berufe geeignet"

Lange Zeit wollte ich Lehrerin werden. Nachdem es für das Abitur nicht reichte und ohne kein Lehramtsstudium möglich ist, habe ich mich für die Ausbildung zur Erzieherin entschieden. Als Erzieherin möchte ich heute geben, was ich damals als Kind selbst nicht bekommen habe – auch, weil ich weiß, wie wichtig das ist.

Den Ausbildungsplatz habe ich, mit viel Glück, noch eine Woche nach Ausbildungsbeginn bekommen. Damals, das muss man dazu sagen, war ich noch nicht psychisch krank. Auch nach der Ausbildung musste ich mich nie lange bewerben. Eine Bewerbung hat immer ausgereicht, ich habe nie eine Absage bekommen. Nach meiner dreieinhalbjährigen Arbeitsunfähigkeit änderte sich das.

Jetzt muss ich erklären, warum ich arbeitsunfähig war und seit einem halben Jahr nach einem Job suche, in einem Bereich, in dem akuter Fachkräftemangel herrscht. In den meisten Bewerbungsgesprächen wird sehr offen damit umgegangen, wenn ich über meine psychischen Erkrankungen spreche. Viele empfinden es als sehr positiv, dass ich das sofort sage. Gereicht hat es bisher trotzdem nicht, aber ich hatte zumindest bei den Kitaleitungen nicht das Gefühl, dass meine psychische Erkrankung der Grund der Absage ist, sondern weil ich wirklich nicht leisten kann, was sie brauchen. Das Problem sind aus meiner Sicht auch oft nicht die Kitaleitungen, sondern die Träger der Einrichtungen, die da noch sehr unflexibel sind.

Es wird erwartet, dass ich mit Lösungen und Flexibilität daherkomme. Es wäre schön, das Signal zu bekommen: Wir möchten Sie einstellen, schauen wir doch mal, was wir machen können.

Psychische Erkrankungen müssen für Arbeitgeber*innen kein Nachteil sein: Ich weiß, wo meine Grenzen sind. Ich kann mich melden, wenn etwas ist. Es gibt Therapeut*innen, die immer ein Auge auf mich haben. Ich bin engagiert, weil ich mich beweisen möchte. Aber genau hier wird es schwierig: Gerade, weil ich meine Grenzen kenne und weiß, was ich leisten kann und was nicht, gelte ich schnell als unflexibel. Ich kann keine Spätschichten übernehmen, ich kann keine 100-Prozent-Stelle übernehmen. Es ist schwierig, einen Job zu finden, weil ich mit diesen Bedürfnissen einfach keinen bekomme.

Ich kann nachvollziehen, dass sich diese Bedürfnisse für potenzielle Kolleg*innen unfair anfühlen können. Es ist aber auch mir gegenüber unfair, Dinge von mir zu fordern, die ich nicht leisten kann. Für Arbeitgeber*innen ist das eine schwierige Situation, offene Kommunikation untereinander würde da helfen. Da kommt mir zu wenig von den Arbeitgeber*innen. Es wird erwartet, dass ich das anspreche, dass ich mir etwas überlege und mit Ideen, Lösungen und Flexibilität daherkomme. Es wäre schön, das Signal zu bekommen: Wir möchten Sie gerne einstellen, schauen wir doch mal, wie wir das machen können.

Der Fachkräftemangel wird immer schlimmer. Es fehlt an Empathie, Flexibilität und Wissen von Seiten der Arbeitgeber*innen, um zum Beispiel Menschen mit psychischer Erkrankung mit bestimmten Anforderungen einzustellen. Ich bin der Meinung, dass psychisch kranke Menschen, die therapiert sind oder werden, für soziale Berufe eigentlich viel besser geeignet sind. Wer selbst viel Leid erfahren hat, kann viel empathischer sein.

Wenn zu mir eine Mutter kommt und mir von Depressionen erzählt, kann ich ihr sagen, wo ihr geholfen wird. Ein*e Kolleg*in, die damit noch nie zu tun hatte, muss erst mal googeln, beim Sozialamt anrufen und Informationen zusammentragen. Ich würde mir wünschen, dass das gesehen wird. Wir können etwas leisten, was andere nicht leisten können.

Psychisch kranke Menschen sind eigentlich viel besser für soziale Berufe geeignet.

Julia, 27, bewirbt sich momentan auf Ausbildungsplätze –

Ich hatte schon in der Schule psychische Probleme, es war also ein Thema, das ich bei der Berufswahl immer auf dem Schirm hatte. Meine eigene Erkrankung war auch der Grund, warum ich zunächst Psychologie studiert habe und Psychotherapeutin werden wollte. Mir ist aber schnell aufgefallen, dass das nicht funktionieren würde, weil ich nie stabil genug war, um andere Leute zu therapieren. Ich hatte damals auch einen Professor in Klinischer Psychologie, der oft betont hat, dass man als Psychotherapeut*in nicht psychisch krank sein sollte. Aus meiner Sicht sollte man das nicht so pauschalisieren. Es hängt davon ab, um welche psychische Erkrankung es sich handelt, wie akut sie ist und ob sie therapiert wird. Jemand mit Essstörung hat vermutlich keine Probleme, jemanden mit Angststörung zu therapieren.

Bei mir war das anders, es ging nicht. Als es mir dann psychisch wieder schlechter ging und ich in einer Traumaklinik war, brach ich das Studium nach sechs Jahren endgültig ab. Das war für mich keine leichte Entscheidung, ich bin ehrgeizig und hatte sehr gute Noten. Aber es hat einfach keinen Sinn ergeben, mich für etwas abzurackern, ohne zu wissen, was ich damit machen will.

Jetzt möchte ich eine Ausbildung machen. Das funktioniert für mich glaube ich besser, es ist strukturierter. Bei der Umschulung werde ich von der Arbeitsagentur unterstützt und gefördert, gerade bin ich in einer berufsvorbereitenden Maßnahme. Sie helfen mir bei meiner Bewerbungsmappe und wir üben Bewerbungsgespräche, in denen ich Fragen zum abgebrochenen Studium und zu meinem Assistenzhund beantworten soll. Der Hund hilft mir im Alltag, zum Beispiel, wenn ich Panikattacken habe oder mich unsicher fühle. Wie ein Blindenführhund ist er immer an meiner Seite.

Ich hatte einen Professor in Klinischer Psychologie, der oft betonte, dass man als Psychotherapeut*in nicht psychisch krank sein sollte. Aus meiner Sicht sollte man das nicht so pauschalisieren.

Mittlerweile kann ich meine Erkrankung und die Aufgaben des Assistenzhundes gut erklären. Ich mache das aber, ohne meine Diagnosen zu nennen, auch mit meinem Trauma bin ich sehr vorsichtig. Am Arbeitsplatz ist das aus meiner Sicht auch nicht relevant. Für Arbeitgeber*innen ist ja nur wichtig, ob und wie sich die psychische Erkrankung auf die Arbeit auswirkt. Das muss auch nicht unbedingt negativ sein, psychisch kranke Menschen kennen sich selbst sehr gut und können sich gut organisieren. Das sind Dinge, die man im Bewerbungsgespräch auch positiv darstellen kann.

Dagegen ist es wiederum sehr schwer, die Lücke im Lebenslauf durch das abgebrochene Studium positiv zu formulieren. Da schwingt mit: Es gab irgendein Problem. Offen bleibt für Arbeitgeber*innen, ob dieses Problem jetzt behoben ist oder nicht. Ich habe das Gefühl, ich kann so qualifiziert sein wie ich möchte – es wird glaube ich immer Menschen geben, die jeden Vorteil, den ich mitbringe, dadurch aufwiegen, dass sie nicht behindert sind. Ein "Vorteil", den ich mitbringe: Dass ich von der Agentur für Arbeit gefördert werde und den Arbeitgeber deshalb weniger Geld koste.

Ich möchte mich nicht länger schlecht fühlen, wenn ich in meine Bewerbung schreibe: Ich bin behindert.

Durch den Assistenzhund fallen viele Jobs weg, aber auch durch die psychische Erkrankung an sich. Eigentlich wollte ich Elektronikerin werden, aber wenn ich mit Lötkolben arbeiten muss und Krämpfe in den Händen bekomme, was manchmal passiert, funktioniert das nicht gut. Das heißt, mir bleiben nur trockene Bürojobs, was für mich in Ordnung ist, weil ich das gerne mache. Aktuell bewerbe ich mich auf Ausbildungsstellen zur Industriekauffrau und zur Sozialversicherungsfachangestellten. Ich möchte mich nicht länger schlecht fühlen, wenn ich in meine Bewerbung schreibe: Ich bin behindert.