Neulich war ich mit einer guten Freundin Schnitzel essen. Die Teller kamen und das Essen war nicht unbedingt aufwendig angerichtet: zwei Zitronenscheiben, etwas Salat und Pommes. Meine Freundin zückte ihr Smartphone, rückte die eine Zitronenscheibe noch etwas näher an das Schnitzel heran und machte ein Foto. Nein, eigentlich machte sie drei, denn erst bei dem letzten Foto stimmten die Lichtverhältnisse.

Für sie ist das ein ganz normaler Vorgang, für mich eher befremdlich. Das eigene Essen abzufotografieren und hochzuladen liegt allerdings seit Jahren im Trend. Die schönsten Essensbilder findet man, wie sollte es auch anders sein, in dem schönsten Onlinedienst für Bilder und Videos weltweit: Instagram. Unter den Hashtags #foodporn und #instafood reihen sich hier Guacamole-Burger mit Kürbispommes an Kurzvideos, in denen Eissorbets oder Hochzeitstorten hergestellt werden.

Instagram-Essensbilder sind makellose Schönheiten im Netz und lassen uns an unseren eigenen Kochkünsten verzweifeln, wenn uns beim Anblick von perfekt ausgeleuchteten selbst gemachten Käse-Schinken-Wraps auffällt, dass wir mal wieder nur Tiefkühlpizza im Gefrierfach haben.

Die Reaktionen der Tischpartner*innen dieses jungen Mannes zeigen, wie wichtig uns schöne selbst gemachte Fotos von unserem Essen sind:

Jeder Zehnte von uns ist ein Foodie

Auf Instagram ist ein Bild von Essen nicht einfach nur ein Bild von einem Essen. Es ist etwas Besseres. Ästhetisch inszeniert und perfekt in Szene gesetzt, sagt ein Essensbild nicht nur aus, was wir gerade essen, es sagt etwas über unseren sozialen Status aus. Oder zumindest über den sozialen Status, den wir unserem Umfeld gerne zeigen möchten.

Das abfotografierte Rumpsteak aus dem Steakhaus wird selbstredend ins Netz gestellt, wenn auch nur, um damit zu sagen, dass man gerade in einem teuren Steakhaus ein Steak isst. Ein Essensbild dient als ein Gradmesser für soziale Verhältnisse. Bereits der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach erkannte vor Hunderten von Jahren "Der Mensch ist, was er isst" und sollte damit bis ins digitale Zeitalter recht behalten. So hat sich in den vergangenen Jahren eine Szene entwickelt, für die der Konsum von Lebensmitteln ein neuer Lifestyle ist, den sie gerne öffentlich zelebrieren: die Foodies.

Laut einer Studie der Uni Göttingen ist jede*r Zehnte von uns ein Foodie. Foodies fallen vor allem durch ihre Kochleidenschaft und ein ausgeprägtes Genussempfinden, aber eben auch durch die eigene Selbstdarstellung im Netz auf. Eine Bewegung, die im Netz zu Hause ist und lächelnd Bilder von selbst kreierten (oder zumindest selbst bestellten) Vier-Gänge-Menüs in die Kamera hält und mittlerweile glücklicherweise auf Widerstand stößt.

Das Bild einer hässlichen Reiswaffel als Ventil

Denn dass nicht alles was gekocht wird auch lecker aussieht, zeigen Webauftritte, die Bilder von – sagen wir wie es ist – hässlichem Essen sammeln.

Der Twitteraccount 70s Dinner Party zeigt beispielsweise die grauenhaftesten Dinnerparty-Gerichte unserer Eltern und lässt uns entspannt das Haus verlassen, wenn wir zur WG-Party mal wieder nur eine Tüte Chips mitbringen anstatt ein aufwendig drapiertes Tomaten-Mozzarella-Tablett.

Sehr ansehnlich ist auch der Instagram Account cooking for bae. Hier kann man die*den Partner*in nach einem misslungenen Überraschungsessen damit beruhigen, dass es noch schlimmer geht (und es geht viel schlimmer). Hier der Beweis:

Das Blog Worst of Chefkoch sammelt die hässlichsten Beiträge der Kochplattform chefkoch.de. Bis heute hat die Seite über 110.000 Likes auf Facebook und ist mittlerweile berühmt für Rezeptideen wie etwa gefüllte Schildkröte:

Webauftritte von unappetitlichem Essen haben Follower*innen in zweistelliger Tausenderhöhe. Es scheint also eine gewisse Faszination für Bilder von hässlichem Essen zu geben. Doch woher kommt das? Sind diese Sammelseiten der kulinarischen Vorhölle ein Gegentrend zur sterilen Instagram-Foodie-Welt? ze.tt hat die Gründer von Worst of Chefkoch gefragt. "Man kann wahrscheinlich schon sagen, dass die Leute keinen Bock mehr haben, sich Bilder von überästhetisiertem Essen anzuschauen", sagt Lukas, einer der beiden Gründer. Der Anti-Foodie-Trend würde zudem den Traffic ihrer Seite steigern.

Für Mitgründer Jonathan stellt Worst of Chefkoch eine Art Ventil dar: "Gegen den Druck, der sich auf der eigenen Facebook-Timeline aufbaut, wenn Freunde posten, wie gut sie kochen können, ist das Bild von einer hässlichen Reiswaffel mit Gurke vielleicht das beste Gegenmittel."

Es komme auch vor, so berichten Lukas und Jonathan, dass Besucher*innen der Facebook-Seite sich per Nachricht bei ihnen bedanken, wenn sie sich an einem verkaterten Sonntag Nudeln mit Pesto kochen und dann feststellen, dass ihr Essen im Vergleich zu den gezeigten kulinarischen Experimenten bei Worst of Chefkoch nicht das Allerschlimmste ist, was man in der Küche verbrechen kann. Hässliche Foodblogs als Hoffnungsträger von verkaterten Studierenden, die sich nicht dem Perfektionsdruck einer Foodie-Gesellschaft anpassen wollen, eine nette Analogie in einer Welt, in der vor allem schöne Dinge etwas wert sind.

Ein Gemüseeintopf muss nicht gut aussehen

Auch wenn nicht jede*r von uns unbedingt scharf darauf ist, sich in seiner Freizeit Bilder von hässlichem Essen anzuschauen und lieber bei den Instagram-Originalen bleibt, so ist alleine die Existenz dieser Weblogs von Wert: Worst of Chefkoch, best of 70s Dinner und cooking for bae sind zwar in erster Linie witzig und abgedreht, lassen aber auch Mitmenschen aufatmen, die entweder keine Lust haben, ihr Essen großartig zu präparieren, denen diese Ästhetisierung schlichtweg egal ist oder die einfach nicht kochen können. Aber um ehrlich zu sein: Ein Gemüseeintopf muss nicht gut aussehen, um gut zu schmecken. Wie auch? Blättert mal durch ein Rezeptbuch eurer Großeltern, ihr werdet überrascht sein, wie unästhetisch Mettwürstchen mit Grünkohl fotografisch dort festgehalten sind.

Hässliche Foodblogs stellen somit ein Gegengewicht zur Überästhetisierung von Essen dar und erlösen uns von dem Drang, es den vielfach mit Herzchen versehenen Essensbildern auf Instagram nachzueifern, um mit unseren eigenen Küchenkreationen genauso viele Likes zu sammeln wie ihre Vorbilder.

Sie zeigen uns, dass es vollkommen normal ist, dass die warmgemachte Dose Ravioli am Sonntag eben so aussieht, wie sie nun mal aussieht und dass wir uns keine Vorwürfe machen sollten, immer noch keine Sterne-Köch*innen zu sein. Unter den vielen schönen Urlaubsfotos und leckeren Menügerichten auf unser Facebook-Timeline wirken hässliche Foodblogs wie ein Antidepressivum und lösen mit ihren eher unappetitlichen Gerichten den Perfektionsdruck in einer Gesellschaft, die von Fernsehkochshows und #foodporn-Posts übereinnahmt wird und für die ausschließlich das Schöne im Vordergrund steht.