Was bedeutet Angst? Womöglich für jeden etwas anderes. Während meiner Kindheit war sie vor allem eines: kalter Schweiß, wenn ich das Gefühl hatte, dass mich jemand verfolgt. Meine zitternden Finger, wenn mich der alkoholkranke Nachbar zu lang anstarrte. Ich hatte das Glück, dass ich niemals sexuell missbraucht wurde.

Traumatisiert war ich dennoch; es waren die Erzählungen anderer, die die dunklen Gestalten in mein Leben riefen. Ich kann mich noch genau an sie erinnern, das Mädchen, das ich damals meine beste Freundin nannte. Während der sechsten Klasse ist sie oft im Unterricht zusammengebrochen. Ich kann mich daran erinnern, wie wir beide vor dem Klassenraum standen, sie, mit aufgedunsenem, Tränen übergossenen Gesicht, und ich, hilflos daneben stehend, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Sie erzählte mir von diesem Mann, der sie nachts nackt fotografiert hatte, von ihrem Ekel und einem ungreifbaren Gefühl von Schmerz. Wir waren damals zwölf Jahre alt.

Wenn Freunde oder Angehörige so etwas hören, wissen sie oft nicht, wie sie mit den Opfern umgehen sollen, müssen das Gehörte zunächst selbst verdauen. Falls ihr euch zu ihnen zählt: Seid mutig und bewahrt Ruhe. Hier sind einige Tipps, wie ihr jemandem helft, der sexuell missbraucht wurde:

Veränderungen bemerken

Was auch immer es ist: Wenn jemandem etwas Schreckliches zustößt, hinterlässt dies Wunden. Viele Menschen verändern ihr Verhalten, ziehen sich zurück oder verstummen. Mögliche psychische Folgen sind Angststörungen, Bindungsunfähigkeit oder ein Verlust des Selbstbewusstseins. Einige Opfer leiden unter Waschzwängen oder verletzen sich selbst. Meine damalige Freundin hat zudem eine Angst vor Männern entwickelt, die einige Jahre lang anhielt.

Bleibt stets aufmerksam und geht langsam auf die Person zu, solltet ihr das Gefühl haben, dass sie sich verändert hat oder jemanden braucht.

Gesprächsbereitschaft signalisieren

Auch wenn die Erzählungen von Missbrauchsopfern nur schwer zu verarbeiten sind, müsst ihr Stärke zeigen und der Person Glauben schenken. Ihr solltet dabei die Bereitschaft zeigen, euch belastende Dinge anzuhören. Kommentare wie "Oh, das klingt so schrecklich" könnten das Opfer dazu veranlassen, sich zurückzuziehen, um euch zu schonen.

Ruhe bewahren

Es ist verständlich, dass ihr sexuelle Gewalt möglichst schnell stoppen wollt, sobald ihr davon erfahren habt. Viele Betroffene werden über einen längeren Zeitraum sexuell missbraucht. Allerdings können übereilte Aktionen die Lage verschlechtern.

Bewahrt Ruhe, überdenkt eure Schritte und versucht der Situation mit viel Sensibilität zu begegnen. Da das Leben der Opfer aus den Fugen geraten ist, müsst ihr besonders darauf achten, dass ihr für Stabilität statt Hektik sorgt.

Wer ist der Täter?

Auf keinen Fall dürft ihr das Missbrauchsopfer zu Aussagen drängen! Sicherlich macht der Täter ebenfalls Druck. Entgegen vieler Annahmen sind Sexualstraftäter nur selten fremde Männer, die Schulkinder vom Heimweg abfangen oder sich im Dunkeln verstecken. Sie kommen meist aus dem direkten Umfeld des Opfers und sind Eltern, Onkeln und Tanten, Freunde oder Nachbaren.

Es ist wichtig, dass ihr ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt entwickelt und dem*der Betroffenen Zeit lasst.

Sprechen hilft

Sprecht die Person ruhig auf ihre Gefühle an und versucht, ihr bei der Wortfindung für das Unbeschreibliche zu helfen. Viele Missbrauchsopfer entwickeln Schuldgefühle und Scham, die mit einem mangelnden Selbstbewusstsein einhergehen. Manche fühlen sich beschmutzt und fragen sich, was sie falsch gemacht haben.

Es ist wichtig, an dieser Stelle das Opfer aufzufangen und ihm*ihr zu versichern, dass es keinen Grund zur Scham gibt und es mutig ist, sich Hilfe zu holen.

Autonomie achten!

In jedem Fall müsst ihr die Meinung, Entscheidungen und Gefühle des Opfers respektieren. Seine*ihre Selbstbestimmung wurde während des Missbrauchs massiv verletzt; übereifrige Entscheidungen eurerseits könnten dem Opfer das Gefühl des erneuten Kontrollverlusts geben.

Wichtig: Seht die Person als Gesamtpersönlichkeit und reduziert sie nicht auf die Geschehnisse und ihre Opferrolle.

Beratungsstellen aufsuchen

Beratungsstellen sind nicht nur für Missbrauchsopfer da. Holt euch professionelle Hilfe, sobald der konkrete Verdacht eines sexuellen Missbrauchs besteht. Zudem können euch die Expert*innen über Therapien, Sachverhalte und weitere Schritte, beispielsweise die rechtliche Aufarbeitung (Anzeigenstellung, etc.), aufklären.

Für weitere Hilfestellung und Information könnt ihr in der bundesweiten Datenbank zahlreiche Beratungsangebote in der Region finden.