Zum Schutz der Personen in diesem Beitrag veröffentlichen wir diesen Artikel unter Pseudonym.

Ich saß aufgeregt auf einem der Barhocker in der Küche, mir gegenüber meine Vormieterin – sie hatte mich zum WG-Casting eingeladen. Wir warteten auf Laura, meine potenzielle neue Mitbewohnerin. Die Gedanken in meinem Kopf rasten. Was, wenn wir uns nicht ausstehen können? Ich hörte, wie jemand den Schlüssel im Schloss drehte, meine Hände wurden schwitzig, die Wohnungstür öffnete sich.

Es kam eine große braunhaarige junge Frau herein und grinste mich frech an. Wir umarmten uns zur Begrüßung, unterhielten uns, als würden wir uns lange kennen, und es fühlte sich alles richtig an. Wir hatten uns gefunden, ohne uns gesucht zu haben. Ich bekam die Zusage für das Zimmer, unterschrieb meinen Mietvertrag und zog bei Laura ein. 50 Quadratmeter Platz für sie und mich, ich fühlte mich schon bald sehr wohl.

Unsere Freundschaft wurde sehr intensiv. Wir verbrachten unsere Feierabende zusammen in der Küche, kochten und erzählten uns unsere Lebensgeschichten, die nahezu gleich klangen: schwierige Ex-Freunde, getrennte Eltern und schlechte Noten. Wir verstanden einander rasch ohne Worte, fühlten, was die andere fühlte, vertrauten uns blind und unterstützten uns. Wir hörten uns unsere Probleme an, gaben einander Ratschläge, arbeiteten Vergangenes auf und schmiedeten Pläne, wie wir in Zukunft alles besser machen würden. Es war klar: Was wir haben, ist besonders. Also schworen wir uns: Wir würden immer füreinander da sein und uns niemals verlieren – komme was wolle.

Wir würden immer füreinander da sein und uns niemals verlieren – komme was wolle.

Eines Abends stand Laura aufgeregt neben mir in der Küche. In ihrer SMS vom Nachmittag hatte sie mich vorgewarnt, sie wolle mit mir reden. Es schien, als hätte sie für diesen Moment all ihren Mut zusammengenommen, etwa so wie jemand aus der siebten Klasse, der*die den Schwarm aus einer höheren Stufe ins Kino einladen will. Dann sprudelte es aus ihr heraus: "Marie, ich muss dir was sagen. Ich rauche gern mal einen Joint." Mir fiel ein Stein vom Herzen, ich hatte mit Schlimmerem gerechnet.

Mal einen Joint rauchen, da ist doch nichts dabei – oder?

Was sollte ich schon großartig gegen Gras haben? Ich malte mir eine lustige, entspannte Frauen-WG aus. Mit der Mitbewohnerin einen Joint rauchen? Macht doch jede*r mal, ist doch nichts dabei. So kam es, dass wir den ein oder anderen Abend zusammen mit Süßigkeiten vollgestopft und gackernd vor dem Fernseher verbrachten.

Für mich blieb der Joint die Ausnahme, für Laura war das Kiffen jedoch normal. So cool unsere Abende ab und an auch waren, sah ich mich schnell in einem monotonen Trott gefangen. Laura arbeitete, kiffte, arbeitete, kiffte. Für mich war das nichts. Also seilte ich mich aus unserer kleinen verrauchten Höhle ab, zurück in die Realität. Meine Feierabende verbrachte ich jetzt wieder mit meinen Freund*innen in Bars und Restaurants, im Fitnessstudio oder mit einem guten Buch im Bett. Laura blieb in ihrer vernebelten Welt, auch ohne mich rauchte sie weiter – alleine, täglich. Bis ihr (Ex-)Freund vor unserem Küchenfenster stand.

Laura und Tom waren viele Jahre ein Paar gewesen, jedoch mit Unterbrechungen. Der Grund für ihre Trennungen war immer der gleiche gewesen: Laura klagte, dass sie nichts anderes mit Tom tun könne, als zu kiffen. Mehr wollte ihre Beziehung nicht hergeben. Rauchten die beiden nicht zusammen, kam es zu Streitigkeiten und sie verbrachten weniger bis gar keine Zeit mehr miteinander. Erst wenn jeder dazu bereit war, sich dem gemeinsamen Konsum hinzugeben, flammte ihre Liebe auf. Ihr Glück hing von den Drogen ab. Aber Laura kam einfach nicht von ihm los.

Seit Tom wieder in Lauras und neu in mein Leben getreten war, fing ich an, mir mehr und mehr Sorgen um meine beste Freundin zu machen. Tom klingelte bald täglich bei uns, immer eine Menge Gras dabei, und Lauras Konsum stieg rasant an. Die zwei verschanzten sich in ihrem Zimmer, keine*r von beiden ging mehr vor die Tür. Ich bekam meine Freundin kaum noch zu Gesicht, wurde zur Außenseiterin und fand keinen Zugang mehr zu ihr. Schmerzlich erkannte ich das Ausmaß der Situation: Laura hatte ein Problem.

Du hast dich verändert, ich erkenne dich nicht mehr wieder

In einem der Gespräche, die wir führten, erzählte sie, dass nicht erst seit kurzer Zeit kiffte. In der zehnten Klasse hatte Laura zum ersten Mal an einem Joint gezogen – seitdem griff sie mal mehr, mal weniger konstant zum Gras.

Trotzdem: Eigentlich kannte sie den richtigen Weg, wusste, dass es so nicht ewig weitergehen könne. Wir führten etliche Gespräche, sie suchte eine helfende Hand und ich gab sie ihr. Wenn Laura in ihr Kifferinnenloch fiel, zog ich sie raus. Monologisierend rannte sie dann durch unsere vier Wände und redete sich Mut zu: Das war’s jetzt, diesmal wirklich. Ich nahm sie in den Arm und sagte ihr, dass ich an sie glaube. Dass sie aufhören könne, wenn sie wolle und dass wir diesen Weg gemeinsam gehen werden – egal was passieren würde.

Doch es klappte nicht. Tom blieb, das Gras blieb. Von meiner einstigen Freundin war bald nicht viel übrig. Laura hatte sich verändert, wurde zunehmend vergesslicher und entwickelte Kiffer*innenmarotten.

Am Schlimmsten war: Immer öfter versäumte sie es, ihre Schlüssel einzupacken oder verlor sie unterwegs, nachts stand unsere Wohnungstür auf – sie verbummelte es, diese zu schließen. Ich fühlte mich unwohl und unsicher in meinem eigenen Zuhause. Sie stellte mir ständig die gleichen Fragen, obwohl ich ihr diese schon mehrmals beantwortet hatte.

Es war der Punkt gekommen, an dem ich mir eingestehen musste: Ich hatte Angst vor meiner Freundin bekommen. Dieses Gefühl zerriss mich innerlich, unserer Verhältnis war merkwürdig geworden und Lauras Charakter hatte sich komplett verändert. Bei der jährlichen Rauchmelderkontrolle bekamen wir eine Rechnung über 170 Euro, weil Laura sie abgebaut hatte – man könne uns darüber abhören, lautete ihre Erklärung.

Die Situation überforderte und verängstigte mich, sie war außer Kontrolle geraten.

Wir kommunizierten nur noch das Nötigste per SMS und ich kam ungern nach Hause, übernachtete tagelang bei meinem Freund. Mittlerweile rauchte Laura alleine die gleiche Menge, als wenn sie mit Tom zusammen war. Glücklich waren beide nicht damit. Das Paar verstand es perfekt, sich gegenseitig runterzuziehen und dabei dem*der jeweils anderen die Schuld an der eigenen Situation in die Schuhe zu schieben.

Nur noch Streit

Ich bekam ihre Streits durch die Wand zwischen unseren Zimmer mit. Meistens brüllte Laura auf Tom ein: Das Rauchen müsse ein Ende haben, alles sollte anders werden und zwar sofort. Tom ging selten auf sie ein, er stürmte wutentbrannt aus unserer Wohnung und knallte dabei die Türen.

Ich hatte mich zurückgezogen. Ich wollte nichts mehr mit Laura und Tom zu tun haben, ich hielt ihre Streits nicht mehr aus und plötzlich fühlten sich unsere 50 Quadratmeter beklemmend eng an.

Ich versuchte, mich von Lauras und Toms Problemen zu distanzieren: Misch dich da nicht ein, sagte ich mir, du kannst den beiden nicht helfen und du willst schon gar nicht in deren Streit reingezogen werden – das müssen die miteinander ausmachen. Doch in meiner Klausurenphase hielt ich es nicht mehr aus, mir platzte der Kragen. Ich war gestresst und überarbeitet, hatte Prüfungspanik, fühlte mich zu Hause nicht mehr wohl, mein Leben wuchs mir über den Kopf und aus dem Zimmer gegenüber stank es nach Gras und es wurde ständig gezofft – das war zu viel für mich.

Montag, 11:00 Uhr morgens: Erst mal einen rauchen

Weil ich für meine Klausuren zu Hause lernte, waren Tom und ich nun häufig alleine in unserer Wohnung. Und dann dieser Moment: Eines Morgens gegen 11 Uhr kam ich vom Einkaufen, Laura war bei der Arbeit, Tom saß in Jogginghose verschlafen in unserer Küche. In der Hand Joint und Feuerzeug. Er grinste mich an. Für ihn war das alles so selbstverständlich. Für mich war es nicht mehr auszuhalten.

In diesem Moment wurde mir bewusst: Tom hatte sich in mein Zuhause eingenistet, es zu seinem gemacht und mir meine beste Freundin weggenommen, obwohl sie unter ihm litt und ständig betonte, dass er ihr Problem sei. Jetzt war er auch zu meinem Problem geworden – mein Geduldsfaden war gerissen.

Ich musste gehen, um uns zu retten

Es musste sich dringend etwas ändern. Ich wollte Lauras und meine Freundschaft retten, zumindest das, was noch zu retten war. Alles Reden half nichts, jedes ernste Gespräche blendete Laura aus und ich war zu ausgelaugt, um ihr weiter eine Schulter bieten zu können. Für mich gab es nur noch einen Ausweg: Ich musste gehen. Der Gedanke an einen Auszug trieb mir die Tränen in die Augen, doch ich wusste, es war unausweichlich – um mich zu schützen, Laura wachzurütteln und um unsere Freundschaft zu retten.

Nur wenige Wochen später konnte ich in das WG-Zimmer einer Bekannten umziehen. An dem Abend, an dem ich es Laura sagen musste, saß ich aufgeregt in unserer Küche. Meine Gedanken rasten und meine Hände waren schwitzig – es war wie an unserem ersten Tag, nur dass dies der letzte sein würde.

Laura schrie mich an und sie weinte, es brach mir das Herz.

Laura verstand nicht, warum ich ging. Sie war wütend, sie hatte die Situation anders eingeschätzt. Laura wollte nicht bemerkt haben, wie sehr ich unter der Situation litt. Für sie waren unsere Gespräche, meine Predigten und Ansagen offenbar nicht deutlich genug gewesen. In ihren Augen war nicht das Kiffen der Grund für meinen Rückzug aus unserem WG-Leben und unserer Freundschaft, sondern meine Klausuren und mein Job. Sie warf mir vor, sie hintergangen zu haben, sie im Stich gelassen zu haben und eine berechnende Egoistin zu sein. Sie hatte meine Appelle und meine Hilferufe nicht gehört – vielleicht wollte sie es auch nicht. Noch bevor ich auszog, beendete sie die Freundschaft.

Seit ich ging, haben wir kein Wort mehr miteinander gewechselt oder uns persönlich getroffen. Manchmal schreiben wir uns SMS – Smalltalk, keine freundschaftlichen Gespräche. Unser einstiger Draht zueinander scheint gekappt zu sein. Ich denke fast täglich an sie und will ihr eine gute Freundin sein. Sie hängt noch täglich mit Tom in unserer alten Wohnung rum, das habe ich von meiner Nachmieterin erfahren. Auch sie will sich perspektivisch nach etwas Neuem umsehen.

Ich habe Laura öfter empfohlen, sich Hilfe in einer Beratungsstelle zu suchen, ich hätte sie begleitet. Aber nicht sie brauche die Hilfe, sondern Tom – meint Laura. Es ist ein Chaos, in dem ich mich hilflos fühle. Was wir hatten, war eine besondere Verbindung. Glaubten wir. Doch das Kiffen schaffte es, uns zu trennen.