Reisen mit Behinderung ist oft nicht einfach – aber nicht unmöglich. Unsere Autorin Andrea ist kleinwüchsig und hat ein Jahr als Austauschstudentin in Italien studiert.

Ein Auslandssemester ist nichts Besonderes mehr – ganz anders sieht die Situation für Studierende mit Behinderung aus. Gibt es ohnehin schon genügend Hürden beim Studieren in Deutschland, legen viele Unis Studierenden mit Behinderung gefühlt extra Steine in den Weg, wenn es um ein Auslandssemester geht.

"Das geht einfach nicht!" "Wer soll das finanzieren?" "Das ist zu viel Aufwand!" Gängige Antworten einiger Universitäten in Deutschland, wenn Studierende mit Behinderung ein Semester im Ausland studieren wollen.

Bürokratie über Bürokratie

Daher suchte ich mir von Anfang an einen Studiengang mit einem Pflichtauslandssemester. Mein Traum war ein Auslandssemester in Italien mit dem Erasmus-Programm und niemand konnte mich von meinen Plänen abbringen. Zu meinem Glück unterstützte die Universität meine Pläne und nahm mit meiner Wunschuniversität dort Kontakt auf. Selbst meiner Verlängerung auf zwei Auslandssemester begegneten beide Universitäten stets wohlwollend. 

Bei allen organisatorischen Fragen rund ums Studium mit Behinderung half mir ein spezieller Service der Universität Bologna. Es folgten einige E-Mails und am Ende hatte ich ein barrierefreies Zimmer – ich bin kleinwüchsig – in einem Studentenwohnheim in Aussicht. Um alles organisieren zu können, musste ich frühzeitig beginnen. Gute Italienischkenntnisse waren erst recht gefragt, damit es zu keinen Missverständnissen kam.

Dafür waren die bürokratischen Hindernisse in Deutschland riesig. Ich habe es nicht für möglich gehalten: Keine deutsche Auslandskrankenversicherung wollte mich nehmen. Ständig kamen Fragen, ob ich mich denn in Italien operieren lassen möchte. Nein, ich wollte lediglich in Italien studieren, dachte ich. Mein Studentenwerk unterstützte mich und kam sogar bis zum Bildungsministerium durch. Als Antwort kam: Das Problem sei in der Politik bereits bekannt, aber eine Lösung gäbe es dennoch nicht. Ohne Auslandskrankenversicherung gibt's aber kein Auslandsstudium. In letzter Minute wäre mein Traum fast geplatzt. Aber ich fand letztlich doch noch eine Versicherung – allerdings eine französische.

Um Mehrkosten für die Unterkunft oder beim Reisen auszugleichen gibt es vom Erasmus-Programm zusätzliche Gelder, die auch für mich sehr hilfreich waren. Ohne die Finanzspritze wäre beispielsweise meine Osterreise nach Rom wohl nicht möglich gewesen.

Wie ich in Italien angekommen bin

Bevor mein Auslandsstudium richtig begann, habe ich erst mal einen Sprachkurs in Bologna gemacht. Leider war die Sprachschule nicht barrierefrei und ich fand auch kein barrierefreies Apartment in der Innenstadt – aber ich lernte sofort die Flexibilität der Italiener*innen kennen. Ich wohnte in einem barrierefreien Apartment auf dem Campingplatz und fuhr jeden Morgen mit dem Taxi zur Sprachschule.

An einem Tag traf ich bestimmt so viele Menschen mit Behinderung in Bologna wie in Deutschland durchschnittlich in einem Monat.“

In der Sprachschule trugen Angestellte mein Rad, während ich mit dem zu kleinen Aufzug in den ersten Stock zur Sprachschule gefahren bin. Meine Behinderung wurde nie als ein Ärgernis gesehen und ich fühlte mich sehr wohl. Nachmittags erkundete ich die Stadt und staunte. An einem Tag traf ich bestimmt so viele Menschen mit Behinderung in Bologna wie in Deutschland durchschnittlich in einem Monat. Die Menschen starrten mich wegen meines Kleinwuchses auch nicht so penetrant an wie leider oft in Deutschland.

Wo ich in Forlì gewohnt habe

Mein Start ins Studium in Forlì war etwas holprig. Die vielen Eindrücke, die fremde Umgebung und insbesondere die italienische Sprache überforderten mich etwas. Gleich an meinem ersten Unitag stand ich dann vor mehreren Angestellten der Universität und sollte genau erklären, welche Hilfen ich das Jahr über benötigen werde. Da dies immer situationsabhängig ist und ich die Stadt erst drei Tage lang kannte, war ich sehr überfordert. Am Ende wohnte ich dann mit einer italienischen Studentin im Rollstuhl in einem Apartment.

Zu meinem Unmut war das Apartment aber nur für Rollstuhlfahrer*innen angepasst und ich konnte immer noch nicht ohne Hocker kochen. Viele Möbelstücke waren ebenfalls viel zu hoch. Ohne Hocker kam ich nicht einmal in mein Bett. Über die Wochen gewöhnte ich mich aber daran.

Die Uniräume brachten mich erneut zum Staunen. Hier war im Gegensatz zu meiner Uni in Deutschland alles barrierefrei. In den Vorlesungssälen gab es sogar ausgesparte Plätze für Studierende im Rollstuhl mit passendem Tisch. In jedem Stockwerk eine Behindertentoilette. Mehrmals kamen mir Studierende im Elektro-Rollstuhl entgegen. An meiner Universität in Deutschland war ich dagegen lange die Einzige mit einer Behinderung. Zum ersten Mal fiel meine Behinderung im Unileben nicht auf.

Dafür war mein Weg vom Studentenwohnheim zur Uni mit zwei Kilometer allerdings weiter als der von den meisten meiner Freund*innen. Und die Räume einer Studierendenorganisation waren nur durch eine Treppe zugänglich – Hilfe nahte meist schnell.

La dolce vita inklusiv(e)

Das italienische dolce vita kam bei mir nicht zu kurz. Ganz egal ob Aperitivi, Partys oder Entdeckungstouren rund in Italien. Ich war überall dabei. Die meisten Cafés in Forlì waren sowieso barrierefrei oder es gab eine Klingel mit Sprechanlage mit einem großen Rollstuhlfahrer-Symbol, um eigenständig nach Hilfe zu fragen. Einmal beobachtete ich in einem Cafè, dass Gäste für einen Gast mit Behinderung ihren Tisch räumen mussten, weil dieser mit Rollstuhl besser zugänglich war.

Viele waren unsicher wie sie mit mir umgehen sollten, trauten sich nicht, mich zu fragen.“

Am Anfang tat ich mich etwas schwer, Freund*innen zu finden. In einem Auslandsstudium sind sich alle fremd und haben oftmals schon genug mit sich zu tun. Da werden Freund*innen schon auch aus pragmatischen Gründen gesucht.

Dazu gehörte ich mit Behinderung aber nicht. Viele waren unsicher wie sie mit mir umgehen sollten, trauten sich nicht, mich zu fragen. Und mir fiel es anfangs schwer, alles so in einer fremden Sprache auszudrücken, dass sie mich verstehen konnten.

Reisen, was das Zeug hält

Meine Leidenschaft zu reisen konnte ich stillen. Am Anfang nahm ich an Reisen von Organisationen der Uni für Austauschstudierende teil. Dort waren die Organisator*innen mit meiner Behinderung etwas überfordert, aber haben sich sehr bemüht. Eine weitere Organisation lehnte es sogar ab, mich nach einem Ausflug noch bei weiteren Reisen mitzunehmen. Die dritte Organisation bot einen Jahresausflug an und war bereit, mir im Notfall auch zu helfen.

Ansonsten hoben meine Freund*innen mein Rad in den Zug und passten sich meinem Tempo an. Nach Mailand und Rom bin ich alleine gereist, das war etwas stressig, aber nie unmöglich. Für Zugfahrten gibt es in den meisten Städten den sogenannten Sala Blu, der Einstiegshilfen für Reisende mit Behinderung organisiert. Im Gegensatz zur Deutschen Bahn ist der Service deutlich flexibler und funktioniert einwandfrei. In Mailand haben mich mehrere Hotels wegen meiner Behinderung abgelehnt, in Rom haben mir dagegen die Angestellten in einem Hostel sofort geholfen.

Bevor ich nach Italien kam, stellte ich viele Erlebnisse mit meinem Kleinwuchs in Deutschland nicht so sehr infrage. Das hat sich nach meiner Rückkehr geändert. Plötzlich fielen mir die Blicke von Passant*innen viel mehr auf. Kinder berührten mich im Zug ungefragt und die Mutter daneben sagte nicht einmal etwas. Das frustriert mich selbst nach einem halben Jahr, in dem ich nun wieder in Deutschland lebe, immer noch sehr. In Italien habe ich solche Situationen nicht erlebt und bin es nicht mehr gewohnt.

Der Weg zur Inklusion wird hierzulande wohl noch länger dauern. In Italien sind die Menschen gefühlt mehr an Menschen mit Behinderung gewöhnt. Ich schätze, das liegt vor allem daran, dass Italien das weltweit inklusivste Schulsystem hat. 1978 wurden alle Behindertenschulen geschlossen, in Deutschland habe ich erst 2009 durch die UN-Behindertenrechtskonvention überhaupt das Recht bekommen, auf eine Regelschule zu gehen.

In Italien lernen die Kinder von klein auf mit Menschen mit Behinderung umzugehen. Und das zeigt sich auch in der Gesellschaft.