Ende August verdunkelte sich der Himmel über São Paulo. Dicke Rauchschwaden zogen durch die Straßen und sorgten mitten am Tag für eine apokalyptische Szenerie. Die Bilder davon gingen um die Welt und zogen die Millionenmetropole in den Mittelpunkt einer längst überfälligen globalen Klimadebatte. Der Grund für die Dunkelheit: die großen Waldbrände im Tausende Kilometer entfernten Amazonasbecken.

Als sich der Himmel zuzog, saß Carlos gerade in einem Bürogebäude im Zentrum São Paulos bei der Arbeit. Ungläubig blickte er aus dem Fenster. Er hatte so etwas zuvor noch nie gesehen. In diesem Moment wusste er aber, dass er etwas unternehmen muss. Die Dunkelheit stand für ihn sinnbildlich für die Zukunft Brasiliens, die nun mehr als je zuvor auf dem Spiel zu stehen scheint.

Ich schäme mich für das Bild, das Brasilien derzeit in der Welt abgibt.
Carlos, Künstler und Klimaaktivist

Der 30-Jährige gehört zu einer Gruppe von Aktivist*innen, die sich in Brasilien für den Umweltschutz und gegen die Politik des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro engagieren. Seit Januar ist die Zahl der Feuer und Brandrodungen in dem Land im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 77 Prozent gestiegen, auf mehr als 83.000 Brände. Diese Angaben stammen von der brasilianischen Weltraumagentur INPE. Immer größere Waldflächen werden gerodet und abgebrannt, um Platz für die Landwirtschaft zu machen. Bolsonaro wird vorgeworfen, nicht genug gegen die schweren Brände zu tun. Der Präsident gilt als Freund der Agrarlobby und äußerte immer wieder Zweifel daran, dass der Klimawandel durch den Menschen ausgelöst worden ist.

"Ich schäme mich für das Bild, das Brasilien derzeit in der Welt abgibt", sagt Carlos im Gespräch mit ze.tt. Für ihn bedeute die konservative Politik Bolsonaros einen Rückschritt für das Land, das lange als Musterbeispiel für Demokratie und wirtschaftlichen Aufschwung in Südamerika gestanden hatte. Noch nie zuvor hat sich Carlos so große Sorgen um die Zukunft Brasiliens gemacht, wie seit dem Amtsantritt Bolsonaros im Januar und den Bränden im Amazonasbecken. Sie sind es, über die sich auch die Menschen im Rest der Welt sorgen machen sollten. Im Amazonasbecken befindet sich der weltweit größte Regenwald, dessen Existenz wichtig für die Bekämpfung der Klimaerwärmung ist und der zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tierarten beheimatet.

Die Jugend greift ein, wo der Präsident versagt

Um auf die verheerenden Konsequenzen, die die Brände mit sich bringen, aufmerksam zu machen, kreierte Carlos gemeinsam mit seinem Freund Matheus das Kunstprojekt Futuro Real – ein Stempel, mit dem sie die Banknoten der brasilianischen Landeswährung Real brandmarken. Auf der Rückseite der Scheine sind Motive aus der brasilianischen Tierwelt abgebildet. Auf dem 20-Real-Schein etwa ist das Bild des Goldenen Löwenäffchens zu erkennen. Diese Affenart ist vor allem im Atlantischen Regenwald beheimatet und steht als Symbol für den Kampf gegen das Aussterben bedrohter Tierarten in Brasilien. Mit den Stempeln, erklären die Künstler*innen, soll in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Bedrohung im Amazonas geschaffen werden. Die Geldscheine sollen dabei helfen, indem sie sich verbreiten und so viele Menschen wie möglich erreichen.

Auf die Unterstützung des Präsidenten könne die Jugend nicht zählen, ist sich Carlos sicher. Umso wichtiger sei es daher, dass sie sich aktiver in die Politik einmische und auf die Bedrohungen aufmerksam mache. "Wir stellen bei den jungen Brasilianer*innen gerade fest, dass sie sich stärker mit Themen befassen, die von den Machthabenden ignoriert werden", sagt er. Unter dem Hashtag #PrayForAmazon formierte sich zunächst Protest im Netz, der nun immer häufiger auf den Straßen fortgesetzt wird. Die Jugend befasst sich dabei nicht nur mit Themen, die den Umweltschutz betreffen, sondern auch mit Menschenrechten, wie die der brasilianischen LGBTQ-Community oder der indigenen Bevölkerung, die sich unter Bolsonaro in ihrer Existenz bedroht sieht. 

"In den nächsten drei Jahren werden wir uns mit großen Schwierigkeiten konfrontiert sehen", sagt Carlos. Er ist aber zuversichtlich, dass die Bevölkerung realisiert, dass ein Wandel unter Jair Bolsonaro nicht möglich ist. 2022 stehen in Brasilien die nächsten Präsidentschaftswahlen an. Für ihn steht fest, dass es bis dahin an der Jugend ist, für die Grundprinzipien der Menschlichkeit einzustehen.