Nadjas Gesicht hat ein bemerkenswertes Rot angenommen. Die Sorte von Rot, mit der manche Menschen von Sex erzählen. Sex von der Es-war-richtig-gut-Sorte. Nadja hat mit Christoph geschlafen. Und das ist deswegen bemerkenswert, weil Christoph nicht irgendwer, sondern einer ihrer engsten Freund*innen ist.

Ein Freund von der Wir-kennen-uns-echt-schon-so-lange-Sorte. Die beiden haben schon so viel miteinander erlebt, sie könnten sich tagelang gegenseitig Erinnerungen erzählen. Sie haben auch schon über Intimstes gesprochen. Liebe, und oft auch über Sex. Und jetzt haben sie miteinander geschlafen.

Friends with benefits

Nadja hat irgendwo im Hinterstübchen abgespeichert, dass das vielleicht nicht ganz okay war. Heikel, irgendwie. Eine verbotene Frucht. Denn Sex mit einem*r engen Freund*in kann Gefühle der anderen Art hervorrufen. Romantische Gefühle. Daher glauben auch so viele, dass Sex mit Freund*innen nicht gut gehen kann: Es gibt Freund*innen und es gibt Partner*innen. Entweder oder.

Sex zwischen Freund*innen kann gut gehen

"Ich mag Christoph einfach wahnsinnig gerne", erklärt Nadja, "Und ich hab auch oft genug gedacht, dass wir eigentlich perfekt zusammen passen würden als Paar. Aber da war nie was zwischen uns." Und daher war sie auch überrascht, als dann doch etwas passierte: "Wir wollten uns nur verabschieden und, keine Ahnung, auf einmal haben wir geknutscht. Und ich hab mich noch kurz gefragt, ob das eine gute Idee ist, aber dann sind wir einfach zu ihm."

Und die beiden haben miteinander geschlafen. Ganz vertraut, wie Nadja meint. Am nächsten Morgen mussten beide lachen, haben rumgewitzelt. Nur bei der Verabschiedung, da sei Christoph noch mal ernst geworden und hätte Nadjas Gesicht zwischen seine Hände genommen: "Ach, Nadja. Ich bin doch nicht verliebt in dich." Nadja hätte gelacht und gemeint: "Und da musste ich schon wieder so grinsen, auch aus Erleichterung. ,Ich doch auch nicht in dich!'" Und dann hätten sie, wie zur Besiegelung des Nicht-Verliebt-Seins, noch mal geknutscht.

Klingt irgendwie schön, wie Nadja davon erzählt. Klingt auch irgendwie gesund. Klingt nach gutem Sex mit ausgeglichenem Gewissen. Und es klingt nicht danach, als müsste man sich um ihre Freundschaft sorgen. Also sowohl-als-auch statt entweder-oder. Oder machen sich die beiden etwas vor?

Die Psychologin Christine Geschke wiegelt ab. Sex zwischen Freund*innen könne durchaus ohne Kollateralschäden funktionieren. Schließlich sei das, was zwischen den beiden passiert ist, auch naheliegend. Denn ganz grundsätzlich könne jemand, der aktuell keine Liebesbeziehung habe, aber trotzdem Lust auf Sex, mit einer*m guten Freund*in schlafen: "Denn der ist einem vertraut und die freundschaftliche Beziehung war zumindest bislang verlässlich. Man geht davon aus, dass die Freundschaft solche ,Eskapaden' schon vertragen wird."

Vertrauen öffnet Türen für besseren Sex

"Man kennt sich gut und traut sich, so ein heikles Thema unterzubringen. Und traut sich dann vielleicht auch in der Sexualität, mutig Dinge zu benennen und Wünsche zu kommunizieren, die man sonst nicht aussprechen würde", meint Christine Geschke.

Klingt doch ziemlich perfekt, könnte man also an diesen speziellen Freundschaftsdienst eigentlich einen Haken dran machen: Unproblematisch, also macht ruhig weiter! Aber es gibt eben auch immer wieder Fälle, in denen es nicht funktioniert.

Bei kurzfristigen Freundschaften fehlt die Basis

Ben und Lena kannten sich zwar noch nicht so lange, waren aber gut befreundet, sie fühlten sich einander nah. So nah, dass es, wie Ben sich erinnert, fast zwangsläufig passierte. Sie schliefen miteinander. Das ging erst eine Zeit lang gut, aber dann ziemlich in die Hose. Die beiden hatten sich zwar auf den Sex als Ausnahmeerscheinung geeinigt, aber wie das so ist: Man kann für alles mögliche Regeln beschließen, nicht aber für Gefühle.

Freundschaften müssen nicht kaputt gehen.

Ben wollte mehr. Erst ließ er Lena den Freiraum, auf den sie sich geeinigt hatten. Doch dann wurde es ihm zu viel. Er wollte Lena, und zwar schon lange, nicht mehr nur als Freundin. Und Lena, die sich auf das Arrangement mehr oder weniger gutgläubig eingelassen hatte, musste die Reißleine ziehen: Die Freundschaft kühlte ab. Es ging nicht anders.

Christine Geschke erklärt, dass solche Arrangements eben vor allem für Freundschaften funktionieren, die schon länger Bestand haben: "Freundschaften müssen nicht kaputt gehen. Das ist auch über Studien erwiesen. Alte Freundschaften finden oft in die alte Form zurück. Weil die Freundschaft so eine Qualität hat, dass sie einen ,Störfaktor' auch überlebt. Man findet wieder auf der vorherigen, bekannten Ebene zusammen." Bei kurzfristigen Freundschaften hingegen fehle oft die gemeinsame Basis.

Wer sich trotzdem auf Sex im Freundeskreis einlassen will, sollte daher vorher bestenfalls ein paar Punkte beachten: "Ein offenes Gespräch wäre ratsam, wenn man es nicht dem Zufall überlassen will. Dass vorher jeder mal seine Gedanken äußert und sagt, was okay ist und was nicht. Dass man auch vorher thematisiert, was man tut, wenn einer sich verliebt. Je transparenter die Absprachen, desto besser kann es gelingen", meint Christine Geschke. 

Aus Freundschaft wird Liebe

Apropos verlieben. Dass das beiderseitig passiert, ist nicht ausgeschlossen. Es kann gut sein, so Geschke, dass man eine*n Freund*in insgeheim sowieso attraktiv findet: "Das passiert auch unbewusst beziehungsweise knapp unter der Bewusstseinsgrenze. Man fühlt sich hingezogen, realisiert aber noch nicht, dass es keine rein freundschaftliche Anziehung mehr ist."

Oft sind Beziehungen mit dem Fundament Freundschaft unglaublich haltbar.

Wenn dieses Gefühl dann zutage tritt und auf Gegenliebe stößt, hat die Beziehung sogar richtig gute Chancen: "Oft sind Beziehungen mit dem Fundament Freundschaft unglaublich haltbar."

Aber es ist eben wichtig, sich auf emotionaler Augenhöhe zu begegnen. Wie Nadja und Christoph. Die beiden haben die Enttäuschungsfalle elegant umschifft, indem sie ihre eigenen und die Gefühle des*der anderen gut genug eingeschätzt haben. Ihr letzter Sex ist nun auch schon ein paar Monate her. Ihrer Freundschaft, da sind sich beide sicher, hat das keinen Abbruch getan. "Ich merke das schon daran", meint Nadja, "dass ich überhaupt nicht eifersüchtig bin. Christoph hat vor Kurzem eine Frau kennengelernt und ich freue mich aufrichtig für ihn."