Jedes Jahr am 9. August ist der Tag der indigenen Bevölkerungen der Vereinten Nationen (UN). Heute steht er unter dem Motto: "Migration und Bewegung indigener Völker". Er soll auf das Leben, die Probleme und das Wirken von Millionen Menschen, die in indigenen Völkern und Stämmen leben, aufmerksam machen.

Wir nehmen das zum Anlass, die wichtigsten Fragen zu behandeln:

Was sind indigene Völker?

Wer von indigenen Völkern spricht, meint heute meist die Nachfahren der Erstbewohner*innen einer Region. Diese Völker haben oft eine besonders enge Bindung an die Region und die Natur, in der sie leben. Eine völkerrechtlich verbindliche Definition gibt es laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) aber nicht.

Indigene Völker unterscheiden sich aufgrund vieler kultureller Besonderheiten von der sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Ein Beispiel sind ihre vielen, unterschiedlichen Sprachen. Von den 7000 gesprochenen Sprachen auf der Welt werden mehr als 4000 von indigenen Völkern gesprochen. Auch hinsichtlich Religion oder der Gesellschaftsorganisation gibt es gewaltige Unterschiede: Bis auf wenige Ausnahmen wurde Wissen mündlich von Generation zu Generation in lokalen Gemeinschaften weitergegeben, wodurch sich viele eigenständige Religionen, Mythen und Weltanschauungen entwickeln konnten. Dabei gibt es weder heilige Schriften noch Religionsstifter – fast nirgends wird an allmächtige Götter geglaubt oder an einer monotheistischen Vorstellung festgehalten. Der Glauben bezieht sich stattdessen häufig auf Spirituelles und die Natur.

Diese kulturellen Besonderheiten bewahren sich indigene Völker. Das zeigt auch ihre Selbstdefinition. Sie sehen sich meist als indigen und als sich "von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidende Gruppe" an. Der Begriff "indigene Völker" löste frühere Bezeichnungen wie etwa "Ureinwohner" ab. Das geht auf den UN-Sonderberichterstatter José Martínez-Cobo zurück, der den neutralen Begriff 1986 prägte, um einer sprachlichen Diskriminierung entgegenzuwirken.

Wo und wie leben indigene Völker?

Die UN gehen davon aus, dass weltweit etwa 370 Millionen Indigene mit 5000 verschiedenen Kulturen in etwa 60 Staaten leben. Sie machen fünf Prozent der Weltbevölkerung aus. Die weltweit größte Gruppe bilden mit mehr als 100 Millionen Menschen die in Indien lebenden Adivasi, das ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene indigene Völker. Eine weitere große Gruppe sind die Amazigh (Berber) mit rund 12 Millionen, die in Algerien, Marokko und Tunesien ansässig sind. Die wohl bekanntesten indigenen Völker sind die Uiguren in China, die Aborigines in Australien, die Maori in Neuseeland oder die nordamerikanischen Cheyenne, Cree und Shoshonen.

Bis heute leben viele indigene Völker laut bpb politisch, wirtschaftlich und sozial abgeschieden und "am Rande der Gesellschaft". Auch geografisch betrachtet: Indigene Völker leben etwa in der afrikanischen Wüste, in Gebirgen, in Polarregionen oder in Waldgebieten des Amazonas. Sie ernähren sich dort von allem, was die Umwelt ihnen zur Verfügung stellt. Wer auf die folgende Karte klickt, gelangt zu einer interaktiven Übersichtskarte der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen:

Über einhundert Völker weltweit lehnen den Kontakt mit Außenstehenden ab. Sie werden von der Organisation Survival International, die sich ausschließlich mit den Rechten indigener Völker beschäftigt, "Unkontaktierte" genannt und zu den verletzlichsten Völkern auf dem Planeten gezählt.

Was können andere Bevölkerungsgruppen von indigenen Völkern lernen?

Wenn es bei all den Unterschieden eine große Gemeinsamkeit unter indigenen Völkern gibt, dann ist es der starke, intrinsische Respekt vor der Natur und allem, was in ihr lebt. Sie gelten als "Verwalter der biologischen Vielfalt". Über die Jahrhunderte entwickelten die verschiedenen Völker herausragende Methoden, um im Einklang mit der Natur zu leben, wie etwa der Autor Gunter Spritzig in seinem Buch Die Weisheit der Ureinwohner beschreibt.

In der Lebensrealität der Menschen, die in indigenen Völkern leben, ist Naturschutz alternativlos. Das kommt nicht von ungefähr: Indigene Völker sind zum Überleben auf Wald, Savanne und Flüsse angewiesen. Ihnen werden daher unter anderem kluger Pragmatismus und Kreativität nachgesagt; sie gelten als Problemlöser*innen für alles, was die Umwelt betrifft. Nirgends sind Verständnis und Kenntnisse um die Eigenheiten der Wildnis so tiefgreifend und stark ausgeprägt wie unter indigenen Völkern. Jagd, Fischen, Koordinationssinn, Navigation, clevere Anbausysteme, natürliche Medikamente: indigene Völker gelten als Profis auf diesen Gebieten.

Sie prägten in vielen Regionen entscheidend mit, was heute als Grundnahrungsmittel gilt, so etwa in Afrika oder Südamerika. Das berühmteste Nahrungsmittel, das von indigenen Völkern kultiviert wurde: die Kartoffel.

Mit welchen Problemen haben indigene Völker heute zu kämpfen?

Das enge Verhältnis zur Natur macht indigene Völker besonders verletzlich. Der Klimawandel verändert die Lebensumstände indigener Völker – einige müssen flüchten. Doch die meisten Gefahren für indigene Völker gehen direkt von Menschen aus. Viele Kulturen wurden in den vergangenen Jahrhunderten durch Eingriffe in ihre Lebensräume, die mit einer Störung des Ökosystems einhergehen, oder durch gewaltvolle Verfolgung ausgelöscht. Die Situation für indigene Völker verschärft sich zunehmend. Das Interesse an neuen Quellen für natürliche Ressourcen wie Öl oder Gas steigt, was in der massenhaften kommerziellen Abholzung und weiteren starken Umweltbelastungen gipfelt, die Einfluss auf Nahrung und Lebensgrundlagen nehmen.

Große Teile indigener Völker sind außerdem immer noch starker Diskriminierung ausgesetzt, weil sie sich oft in Interessenskonflikten mit der anderen Bevölkerung befinden. Amnesty International berichtet von Menschenrechtsverletzungen durch Vertreibung und Umsiedlung. Indigenen Menschen fehlt laut bpb oft das Recht, ihre Sprachen im Alltag, etwa bei Behördengängen, zu nutzen oder sie in der Schule zu sprechen und zu erlernen. Viele sind daher gefährdet: Von den etwa 4000 Sprachen der indigenen Völker sind laut UN 2680 vom Aussterben bedroht.

Ein recht aktuelles Problem ist laut bpb auch das der sogenannten Biopiraterie: "Konzerne machen sich das spezielle Wissen der Indigenen um die Naturvorkommen zu eigen, um auf dieser Grundlage patentierte Kosmetika oder Medikamente zu produzieren – ohne dabei die Indigenen an den Umsätzen zu beteiligen." Das soll künftig besser kontrolliert werden. Indigene Menschen sollen einbezogen werden. 2014 veranlassten die UN, dass das Nagoya-Protokoll in Kraft tritt. Es ist ein Übereinkommen über die biologische Vielfalt und deren ausgewogene und gerechte Aufteilung. Deutschland ist dem internationalen Abkommen 2016 beigetreten.

Indigene Völker haben prinzipiell kaum international verbriefte Rechte, um ihren Lebensraum gegenüber staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren zu verteidigen. Das ändert sich nur langsam. Indigene Völker auf der ganzen Welt versuchen mit Unterstützung internationaler Organisationen etwa, ihr Land und ihre Ressourcen umfassend zu kartieren. Laut Survival International ist das für sie ein Weg, Forderungen nach ihrem Land auszusprechen. Es könnte laut der Organisation ein wirkungsvolles Werkzeug sein, indigene Völker zu schützen.