Ich weiß, dass ich an etwas Schuld trage. Ich habe in der Vergangenheit Menschen mit meinem Verhalten verletzt und sie danach damit alleine gelassen. Ich habe schnelle Lösungen gesucht und bin vor Problemen geflohen. Ich habe ein großes Problem mit dieser Erkenntnis, weil das nicht mehr zu meinem jetzigen Ich passt.

Schuld ist wie ein Geist, der immer an unserer Seite ist. Haben wir sie uns einmal aufgeladen, verfolgt sie uns womöglich das ganze Leben lang. Nicht selten hegen wir immer dann, wenn wir von ihr träumen, uns an sie erinnern, Groll gegen uns, vielleicht sogar Abneigung. Wie konnte ich nur so sein? Warum habe ich mich nicht besser verhalten?

Die Bewältigung unserer Vergangenheit ist einer der schwersten Steine, der auf unserem Weg liegt. Gelingt es uns aber nicht, Schuldgefühle abzulegen, werden nicht nur wir selbst stagnieren, es erschwert auch unsere Beziehungen zu anderen Menschen.

Wie entstehen Schuldgefühle?

Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Und den Gedanken: Fehler sind schlecht. Wir bekommen das in der Schule beigebracht, im Elternhaus, durch unser Justizsystem. Wer einen Fehler begeht, muss bestraft werden. Strafe tilgt Schuld, so haben wir das verinnerlicht. Also bestrafen wir uns selbst – mit Schuldgefühlen.

Und so kommen sie, nachdem wir anderen Unrecht taten, großen Schaden anrichteten oder wichtige Dinge versäumten. Sie können auch auftreten, wenn wir uns entgegen unserer Persönlichkeit verhalten – oder unserer Vorstellung davon. Wer von Schuldgefühlen geplagt ist, betrachtet etwas, das er*sie getan hat, als falsch und verurteilt sich dafür als Mensch.

Oft geht das einher mit einem endlosen Konjunktiv-Bingo: hätte ich doch, wäre ich doch, könnte ich doch. Wie die Psychologin Doris Wolf schreibt, ist ein Schuldgefühl gar kein echtes Gefühl – es ist lediglich eine Schlussfolgerung und Bewertung unserer Taten.

Schuldgefühle haben unterschiedliche Auslöser und kommen auch unterschiedlich stark vor. Das Spektrum ist groß. Ein Extrembeispiel, das ich bewusst ohne Wertung lasse: Ich habe in meinem Bekanntenkreis einen Menschen, der vor Jahren einen Autounfall verschuldete, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. Er führte lange ein Leben mit einer für ihn nicht wieder gut zu machenden Schuld – und in der Folge mit einem Kreislauf aus Selbstzweifeln. Er hatte es schwer, Ruhe zu finden, weil er sich immer infrage stellte: Habe ich als Mensch mein Recht aufs Leben verspielt? Darf ich lachen – oder wäre das respektlos den Opfern gegenüber? Bei ihm können wir diese Schuldgefühle sicher gut nachvollziehen. Ganz anders als bei diesem Beispiel: Jemand stellt sich in einem Gespräch unbeholfen an, sagt unter Alkoholeinfluss etwas Falsches und fühlt sich daraufhin tagelang schuldig – in dem Glauben, den anderen Menschen verletzt zu haben.

Obwohl das im Vergleich wie eine Lappalie wirkt, haben beide Menschen schlimme Gewissensbisse und fühlen sich lange Zeit wie in ihnen gefangen. Die Schwere der Schuld bei beiden wirkt unterschiedlich – die Schuldgefühle aber funktionieren nach demselben Muster. Und auch wenn das nicht möglich erscheint: Dieses Muster lässt sich durchbrechen.

Wie man sich selbst verzeiht

Warum auch immer sie auftreten, wir sollten laut Psychologin Wolf eines verinnerlichen: Schuldgefühle bringen nichts. Die Zweifel, mit denen wir uns selbst bestrafen, machen weder unsere Taten ungeschehen, noch vermeiden sie künftige Fehler, noch machen sie es wieder gut. Ganz im Gegenteil: Starke Schuldgefühle sind ungesund, sie beeinflussen unser Leben und unserer Beziehungen negativ. Sie reißen die Wunde täglich neu auf, bringen uns nicht nach vorne, werfen uns in einen Kreislauf des Grübelns. Wir stellen immer uns selbst und unsere Schuld in den Fokus und machen uns obendrein manipulierbar, weil wir uns selbst nicht mehr achten.

Das Problem beim Prozess der Selbstvergebung sei somit nicht die Schuld an sich, wie die Psychoanalytikerin und Trauma-Expertin Luise Reddemann sagt, sondern die Schuldgefühle. Wer sich in ihnen fallen lasse, hänge in der Vergangenheit fest, halte sich nicht für wert, ein gutes Leben zu führen, suche nach ständiger Selbstbestrafung. Das abzustreifen falle besonders schwer, weil wir uns eingestehen müssten, dass wir als Mensch ein begrenztes Wesen sind, das Fehler macht. "Aus meiner Erfahrung ist es das, was uns Menschen am allerschwersten fällt, die eigene Ohnmacht zu akzeptieren", sagt Reddemann. Wir sollten laut der Expertin den Blick wenden und die Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit aufgeben.

Genau das ist allerdings der Knackpunkt: Nur wenn wir unsere Fehlbarkeit akzeptieren und begreifen, dass der Fehler ein Resultat vieler Umstände und unser vermeintliches Unvermögen nur ein Teil davon war, können wir einen vernünftigen Umgang mit unserer Schuld finden. Indem wir aufrichtige Reue zeigen.

Denn wer Reue zeigt, übernimmt Verantwortung. Wer Reue zeigt, erkennt ein Verhalten als falsch an und bedauert es zwar, aber verzeiht sich selbst. Wer Reue zeigt, verlässt die Vergangenheit, kommt ins Hier und Jetzt und sucht aktiv nach Möglichkeiten der Korrektur oder zumindest nach Wegen, seinen Fehler in Zukunft zu vermeiden.

Um uns selbst zu verzeihen, bedarf es zunächst aufrichtiger Reflexion und einer Reise in uns selbst, dahin, wo es wirklich wehtut: in unsere eigene Vergangenheit. Denn unsere Art, mit Schuld umzugehen, hängt stark mit unserem Selbstbild und Selbstwertgefühl zusammen. Gerade unseren Umgang mit Leistung und Fehlern nehmen wir aus der Kindheit mit – und auch den Drang, uns selbst weniger zu schätzen, wenn wir Fehler machen.

Der Autor und Blogger Stephan Wiessler gibt eine klare Anleitung in fünf Schritten:

  1. Den Fehler eingestehen: Statt sich zu verurteilen, das Problem erkennen und akzeptieren.
  2. Auch die eigenen guten Seiten sehen: Sich selbst als Ganzes sehen. Unsere Taten, unser Verhalten und Fehler in vergangenen Situationen definieren nicht unsere Persönlichkeit. Wir haben Stärken und die gilt es nicht vor sich selbst zu verheimlichen.
  3. Sich selbst einen Brief schreiben: Dieser Prozess kann auch schriftlich festgehalten werden. Das vereinfacht die Aufarbeitung.
  4. Gut zu sich sein: Es ist nicht abwegig, sich selbst so zu trösten, als würde man Freund*innen trösten.
  5. In der Gegenwart ankommen: Loslassen, im Jetzt ankommen und daran arbeiten, wie man das Beste aus dem Leben machen kann.

Wer die Fähigkeit trainiert, sich mit dem Menschen in sich selbst gut zu stellen und versucht, sich selbst ein*e Freund*in zu sein, der*die auch mal lobt, wird sich neu kennenlernen und leichter vergeben. Denn auch laut Psychologin Wolf ist es wichtig, die positiven Aspekte unserer Persönlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Dann nämlich können wir uns sagen: Ich weiß, dass ich an etwas Schuld trage, doch ich habe mir meinen Fehler vergeben. Jetzt sorge ich dafür, dass ich ihn nicht noch einmal mache.

In unserer Reihe "Wie du zu dir findest" beschäftigen wir uns damit, wie in dieser schnelllebigen Welt zurechtkommen. Wie werde ich zufriedener? Wie werde ich schädliche Denkmuster los? Für die Tricks und Kniffe – wir nennen sie Psychohacks – beschäftigen wir uns mit gängigen Studien und Methoden und befragen Expert*innen.