Beginnen wir ganz am Anfang. Wer ist dieser junge Politiker in Österreich, der sich selbst ständig als der Sebastian vorstellt?

Als Sebastian Kurz vor vier Jahren Außenminister wurde, sahen viele Menschen in ihm eine neue politische Hoffnung. Er war der jüngste Außenminister der ganzen Europäischen Union, er wirkte diszipliniert und bedacht. Dieser Mann schien auf seine Berater zu hören, von den Erfahrenen lernen zu wollen. Die FAZ beschrieb ihn als höchst eloquent, prägnant und um keine Antwort verlegen. Auch ich dachte mir damals, er ist zwar konservativ, aber doch irgendwie ansprechend. Schwer einzuordnen und darum interessant.

Ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster, aber Sebastian Kurz hatte einen Hauch von Justin Trudeaus oder Emmanuel Macrons Coolness. Nahe am Volk, ständig schüttelte er Hände, hielt Kinder auf dem Arm und vermarktete sich erfolgreich auf den Social-Media-Kanälen. Dieses Selbstdarstellung sollte uns vor allem eines zeigen: Dieser Mann verkörpert Bewegung. Ein starkes Bild für ein Land wie Österreich, in dem sich seit Jahren alles nur um den Stillstand in der Regierung dreht.

Türkis statt Schwarz, sonst alles beim Alten?

Im Juli 2017 wurde Kurz mit 30 Jahren zum Vorsitzenden seiner Partei, der ÖVP, gewählt. Dazu muss man wissen, dass die ÖVP, eine der zwei großen Volksparteien in Österreich, schlichtweg nichts mehr zu verlieren hatte. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten kam ihr Kandidat nicht mal in die Stichwahl und auch bei den Wahlen zuvor schnitt die konservative Partei schlecht ab. Um bei der Nationalratswahl im Herbst eine Chance zu haben, mussten sie sich neu aufstellen. Darum bestimmte sie Sebastian Kurz mit 98,7 Prozent zum neuen Obmann.

Zeitungen bezeichneten ihn daraufhin als den Messias, den Shootingstar der Konservativen. Kurz gab er der Partei eine neue Farbe, statt schwarz war nun alles türkis, den Namen änderte er von ÖVP zur Neuen Volkspartei und führte eine Liste ein.

Er stand lange für nichts – und trotzdem rechts."

Kritiker*innen warnten, dass nur das Gesicht und die Farbe der Partei sich änderten, sonst nichts. Stimmt das? Bis heute ist Sebastian Kurz sparsam mit politischen Inhalten, obwohl bereits am 15. Oktober in Österreich die Nationalratswahl stattfindet. Auch für das Streitgespräch diese Woche mit Bundeskanzler Christian Kern ließ sich Kurz entschuldigen. Offiziell wegen seiner außenpolitischen Pflichten, inoffiziell werfen ihm viele vor, zu kneifen.

Grundsätzlich gibt Sebastian Kurz keine Interviews, die ihm nicht passen. Er nennt Themen und Stichwörter, aber keine konkreten Pläne. Er stand lange für nichts – und trotzdem rechts. Seine Politik bezog sich bisher ausschließlich auf Migration sowie einen harten Kurs gegen die Türkei. Seinen Namen als starker Mann in Österreich machte er sich international vor allem durch die Schließung der Balkanroute. Der linke Publizist Robert Misik bezeichneten ihn sogar als Desintegrationsminister.

Nur die Leistung zählt

Diese Woche präsentierte die ÖVP nun den ersten Teil ihres Parteiprogramms. Darin folgt sie vier Prinzipien:

  1. Wer arbeitet und Leistung erbringt, darf nicht der Dumme sein.
  2. Wer Leistungen beziehen will, muss zuerst Leistungen erbringen.
  3. Wem eine Leistung zusteht, der soll sie auch unbürokratisch bekommen.
  4. Wer sich selbst nicht helfen kann, dem muss geholfen werden.

Das Programm verspricht auch Milliarden an Entlastungen für Besserverdiener*innen und Unternehmer*innen. Wie das genau finanziert werden soll, bleibt offen.

Was diese vier Prinzipien in der Realität bedeuten können, erläuterte Kurz am vergangenen Montag in einer Sendung im öffentlichen Rundfunk: "Unser Ziel ist es, dass jemand, der neu in Österreich ist und noch nie einbezahlt hat, nicht ab dem ersten Tag mit dem positiven Asylbescheid die volle Mindestsicherung beziehen kann." Österreich brauche eine Art reduzierte Mindestsicherung. Eine Hilfe mit Abstufungen sozusagen.

Dieser Plan bricht mit allem, was es in Österreich bisher gab. Nicht Elend soll die Voraussetzung für Hilfe sein, sondern die Leistung, die eine Person davor für die Gemeinschaft erbracht hat. "Konsequent würde das bedeuten: Wenn ein Unwetter das Haus eines Langzeitarbeitslosen zerstört, dürfte er keine Entschädigung bekommen. Wenn ein normaler Arbeiter eine teure Operation bräuchte, die er niemals selbst mit seiner Beitragszahlung erarbeiten könnte, dürfte er nicht behandelt werden. Wenn ein Mensch mit Behinderung nicht arbeiten könnte, bekäme er keine Pflege", analysiert Christoph Schattleitner für VICE Austria.

Auch wenn Sebastian Kurz es vermutlich gerne anders hätte, wird er sich bis zur Wahl am 15. Oktober noch einigen Diskussionen und Fragen stellen müssen. Er wird sich nicht jedes Mal mit außenpolitischen Pflichten entschuldigen können. So wird hoffentlich klarer, für welche Politik der Sebastian steht, nämlich eine rechte.