Früher, als es in Deutschland noch weiße Weihnachten gab und die Sahara noch nicht weiß angezuckert war, war Schnee noch fester Bestandteil eines jeden Winters. Zumindest in Mittel- und Nordeuropa, wo er pünktlich mit den kalten Temperaturen vom Himmel fiel. Die Alpendörfchen freuten sich auf die unzähligen Wintertourist*innen, die regelmäßig hohe Summen Geld daließen. Skifahrer*innen und Snowboarder*innen sausten die dick bedeckten Pisten runter, Kinder bauten Schneemänner und bewarfen sich mit Schneebällen.

Heute ist das anders. Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, in der Wintersaison Schnee zu Gesicht zu bekommen. Auf den Weihnachtsmärkten reicht ein dicker Pulli, der Skiurlaub wird besser zum Thermenaufenthalt umgebucht und für die Schneeballschlacht gibt es keine Munition. Schade eigentlich. Denn uns entgeht damit nicht nur eine Menge Spaß, sondern auch eine Menge Kunst. Der weiße Schnee, der so urtypisch für den Winter steht, besteht nämlich aus unzählbar vielen symmetrischen Schneekristallen. Man muss nur nahe genug ranzoomen.

Viele Schneekristalle bilden eine Schneeflocke

Ein Schneekristall hat in der Regel sechs Arme, auch sechseckiger Dendrit genannt. Damit sich ein Schneekristall bilden kann, braucht es zwei Dinge: richtig niedrige Temperaturen in den Wolken, am besten zwischen -4 und -20 Grad Celsius. Und einen Keim, an dem Wassermoleküle andocken können. Das ist meist ein Staubkorn oder ein gefrorenes Wassertröpfchen. Je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit kann dieser verschiedene Ausformungen annehmen und von schlichten Prismen zu pompösen sechsarmigen Skulpturen reichen. Sie alle sind aufgrund der bestimmten elektrischen Ladung eines Wassermoleküls ausschließlich auf 60°- beziehungsweise 120°-Winkeln aufgebaut. Wegen der endlosen Möglichkeiten, wie sich die Wassermoleküle während der Kristallbildung aneinanderlagern können, geht man davon aus, dass jeder Kristall einzigartig ist.

Diese Einzigartigkeit hat den Hobbyfotografen Alexey Kljatov aus Moskau fasziniert. Er wird selbst nach zehn Wintern und Tausenden Schneeflocken nicht müde, Makroaufnahmen von einzelnen Schneekristallen zu machen: "Ich bewundere die unglaublich detaillierte Schönheit und Vielfalt, die Schneekristalle annehmen können", sagt er.

Kljatov fotografiert auf dem Balkon seiner Wohnung in Moskau. Schneit es, legt er entweder eine Glasplatte oder einen dunklen Stoff aus Wolle aus, je nachdem, auf welchen Hintergrund er die Kristalle einfangen möchte. "Ich mag den wollenen Hintergrund, weil die Kristalle für mich noch beeindruckender aussehen. Fast wie Juwelen in einem Schmuckladen", sagt Kljatov. Die einzelnen Fasern, die von der Wolle wegstehen, fangen die Kristalle auf und halten sie fest in der Luft. Da sie so die Oberfläche nur an ein paar Stellen berühren, schmelzen sie nicht so schnell und Kljatov hat mehr Zeit, ein Foto zu schießen.

Ich mag den wollenen Hintergrund, weil die Kristalle für mich noch beeindruckender aussehen. Fast wie Juwelen in einem Schmuckladen.

Bei seinen Makroaufnahmen sieht man, dass Schneekristalle eigentliche transparent sind. Sie erscheinen uns bloß aufgrund der Streuung des einfallenden Lichts weiß. Die vielen verzweigten Plättchen, Sterne, Prismen und Stäbchen werfen das Licht in unterschiedliche Richtungen zurück. Durch die Überlagerung dieser Reflexionen erscheint Schnee weiß, genau wie ungefiltertes Sonnenlicht.

Geduld, Glück und Zahnstocher

Für so ein Juwel ist allerdings eine Menge Geduld und Glück notwendig. "Jeder Schneefall ist anders. Obwohl es oft schneit, muss ich manchmal Wochen oder Monate auf den perfekten Schneefall mit schönen Kristallen warten", sagt Kljatov. Fällt zufällig ein schönes Exemplar auf seine vorbereitete Fläche, richtet er es mit einem gekühlten Zahnstocher in eine passende Position. "Ich hebe sie weiter an, um sie vom Woll-Hintergrund abzugrenzen, entferne störende Faser und verändere den Winkel. Schneekristalle sind überraschend kräftig", sagt der Fotograf. Manchmal würde er sogar einzelne Kristalle aus einer Schneeflocke separieren.

Der Anteil an Fotos mit schlechter Qualität sei dabei ziemlich hoch. Viele Fotos seien verschwommen oder Eis-Ablagerungen würden die Symmetrie des Kristalls zerstören. Darüber hinaus sind die Arbeitsbedingungen nicht unbedingt angenehm. Nicht nur schmilzt der Schnee auf seinem überdachten Balkon recht schnell, auch Kljatov selbst kann nicht allzu lange bei konstanten Minustemperaturen ausharren. Schnelles Arbeiten ist demnach nicht nur notwendig für gute Fotos, sondern auch im Sinne von Kljatov selbst.