Bei "Sex" und "Sprache" schießen uns gleich Dinge wie Dirty Talk oder Sexting in den Kopf. Situationen, in denen man völlig scharf aufeinander ist und in der Trickkiste seines vulgärsten Wortschatzes gräbt. Der Humanbiologe und Experte im Bereich Sexualtherapie Michael Petery sagt jedoch: "Dies ist kein Sprechen über den Sex, es ist Teil davon."

Das, was der Fachmann als Verbalerotik bezeichnet, mag reizend, sexy und auch spaßig sein, es bringt allerdings nicht wirklich gemeinsame Leidenschaften hervor, so wie ein richtiges Gespräch es tun würde.

In Bezug auf Sex klammern wir uns oft zu sehr an gesellschaftliche Normen. Keine*r möchte sich danach schuldig fühlen oder sich dreckig vorkommen. Auch das Dreckig-Sein selbst spielt sich meist in einem festgelegten Rahmen von Pornorealitäten und Hollywoodsex-Dimensionen ab. Wir meinen, bestimmte Dinge im Bett geil finden zu müssen und ausgewählte Praktiken als Geschenk mitzuliefern.

Einfach von der Norm abweichen

Der Experte kritisiert unser Norm-Sex-Verhalten: Der Mann dringt in die Frau ein, der Sex dauert etwa drei bis fünfzehn Minuten, dann bekommt die Frau ihren Orgasmus, danach der Mann und fertig. "Das funktioniert jedoch bei den wenigsten Paaren. Viele Männer und Frauen kommen beim Koitus gar nicht zum Höhepunkt." warum also nichtmal kreativer sein? "Warum nimmt man nicht den Koitus als Vorspiel und verschafft einander danach einen Orgasmus? Das bedeutet in keinem Fall weniger Zärtlichkeit, nur mehr Zufriedenheit."

Guter Sex ist dann gut, wenn jeder Teilnehmer voll auf seine Kosten kommt.
Michael Petery, Sexualtherapeut

Je weiter wir uns vom Normsex-Konzept in unseren Köpfen entfernen, desto logischer wird es, dass wir über Wünsche und Fantasien im Bett sprechen. "Guter Sex ist dann gut, wenn jeder Teilnehmer voll auf seine Kosten kommt. Und das bedeutet, dass auf einen eingegangen wird", sagt Petery.

Gerade beim ersten Sex mit einer oder einem neuen Partner*in hat man riesige Erwartungen. "Das liegt daran, dass wir unsere eigenen Fantasien und Ideale auf den Partner projizieren und meinen, wir hätten unser optimales sexuelles Gegenstück gefunden." Solche Erwartungen führen aber häufig zu einer ziemlichen Enttäuschung.

Nicht nur eine Beziehung verändert sich, jeder Mensch entwickelt täglich neue Wünsche und Ideen, die ihn anmachen. "Die sexuelle Identität eines Menschen ist durch genetische Faktoren, persönliche Erfahrungen und kulturelle Hintergründe bedingt", sagt Petery. "Es ist nur logisch, dass sich die Vorstellungen und Bedürfnisse eines Menschen in sexueller Hinsicht ständig erweitern und verändern."

Deshalb sei es in jeder Art von Beziehung wichtig, mit der Zeit zu gehen und darüber zu sprechen, was man sich aktuell wünscht und wovon man träumt. "Viele meiner Klient*innen wissen auch nach jahrelangem Zusammenleben nicht, wovon der oder die Partner*in fantasiert und was er oder sie im Bett will", sagt Petery.

Die Art und Weise, das Thema zu besprechen, ist vielfältig und individuell. Der Experte wirft jedoch ein, dass es schlau ist, kein Ja-Nein-Spiel daraus zu machen. Es sei vorteilhaft, dem oder der Partner*in in einer Situation davon zu erzählen, in der nicht gleich eine direkte Umsetzung erwartet werden würde.

"Man kann auf einem Spaziergang einfach mal anfangen, seine sexuellen Wünsche auszudrücken und dem oder der Partner*in so offen lassen, ob er oder sie sich darauf einlassen will", erläutert der Sexualtherapeut. "Wenn man wissen will, ob jemandem Fetischkleidung oder Toys im Bett gefallen oder ob BDSM eine Option wäre, braucht derjenige sicherlich etwas Bedenkzeit. Und das lässt sich im Gespräch einfach besser herausfinden als durch den Überraschungsangriff mit Handschellen und Peitsche im Schlafzimmer", sagt Petery.

Man kann auf einem Spaziergang einfach mal anfangen, seine sexuellen Wünsche auszudrücken.

Wir haben vier Personen gefunden, die ihre sexuellen Wünsche und Fantasien mit ihren Sexpartnern und Sexpartnerinnen offen besprechen und sie gefragt, wie sie dabei vorgehen, warum das so wichtig für sie ist und was ihnen dabei hilft.

Keine falsche Scham haben

Georgie (28, schwul)

Ich bin seit eineinhalb Jahren Single und genieße das sehr. Derzeit habe ich eine Affäre mit einem Mann, die ich auch schon vor meiner letzten Beziehung hatte. Er hat mich in sexueller Hinsicht extrem bereichert. Da in unserer Beziehung der Sex im Vordergrund steht, reden wir viel über das, was uns im Bett gefällt und fantasieren über Dinge, die wir beide gern mal ausprobieren würden.

Ich habe durch ihn gemerkt, dass ich masochistisch veranlagt bin. Das hat angefangen mit Anspucken, Würgen und stärkeren Schlägen. Wir sprechen über Dinge und probieren es einfach aus. Neulich habe ich ihm eine Sprachnachricht geschickt, in der man meinen Vibrator hören konnte. Daraus hat sich ein Gespräch ergeben, in dem wir über den Einsatz von Toys beim Sex fantasiert haben. Das nächste Mal haben wir es gleich ausprobiert und es war geil.

Es ist wichtig, sich zu nehmen, was man sich wünscht.

Es ist wichtig, sich zu nehmen, was man sich wünscht. Mit One-Night-Stands würde ich nicht direkt auf die SM-Schiene gehen, weil das schon Vertrauen braucht. Aber auch bei einmaligen Geschichten sage ich vorher klar an, wie und wo ich gerne geleckt werde oder wie ich komme. Und er soll es mir auch sagen. Sex ist einfach zu gut, um schlecht zu sein. Deshalb ist mein Motto: Keine falsche Scham und pack in Worte, was du magst!

Zeit lassen und Rücksicht nehmen

Yannick (25, heterosexuell) und Marina (24, heterosexuell)

Wir sind mittlerweile seit zehn Jahren zusammen. Wir haben uns in der Schule kennengelernt und hatten unser erstes Mal nach etwa einem Jahr. Gerade im Vergleich zu früher reden wir heute deutlich lockerer über den Sex und haben auch überhaupt keine Hemmungen zu besprechen, worauf wir Bock haben. Aber obwohl das Vertrauen da ist, müssen wir schon schauen, dass wir Kompromisse machen und Rücksicht aufeinander nehmen. Ich kann Marina nicht einfach kommentarlos ein Krankenschwester-Outfit aufs Bett knallen und hoffen, dass sie es anzieht.

Man ist ja auch nicht nur daran interessiert, selbst Spaß am Sex zu haben, sondern das ist was Gemeinsames. Wenn ich ihr in einem Gespräch den Gedanken schmackhaft mache, mich zu verarzten, dann geht sie ja auch deutlich mehr in der Rolle auf. Wir sehen das so: Den perfekten Sex gibt es nicht. Aber richtig, richtig guten. Und wenn das mal nicht so ist, weil der eine gerade von der Uni oder von zu Hause gestresst ist, dann muss man das auch mal hinnehmen. Wenn es jedoch Redebedarf gibt oder eine Fantasie im Kopf herumschwirrt, dann immer raus damit! Einfach nichts zwanghaft angehen, keinen Fetisch suchen, nur um einen zu haben und sich Zeit lassen mit allem, sodass sich beide Seiten wohlfühlen.

Mal was wagen und einfach ausprobieren

Laureen (24, lesbisch) und Julia (38, lesbisch)

Wir haben uns vor über drei Jahren auf einem Lesben-Festival kennengelernt. Dort war es so was wie Sex auf den ersten Blick. Wir haben einen unfassbar schönen Abend und eine ganz tolle Nacht miteinander verbracht. Leider ist der Kontakt abgebrochen. Drei Jahre später treffe ich Julia hier in Hamburg in einer Bar wieder und der Blick war direkt wieder der gleiche. Bei unserem ersten Date waren wir dann in einer Bar was trinken. Mitten im Gespräch sagte sie mir ganz zusammenhangslos einfach, dass sie gerade unglaublich gerne mit dir schlafen würde, jeden Zentimeter meiner Haut spüren und mich einfach nur schmecken will. Jetzt haben wir seit drei Monaten eine Affäre und treffen uns etwa zweimal die Woche zum Sex.

Ich möchte gerade unglaublich gerne mit dir schlafen, jeden Zentimeter deiner Haut spüren und dich einfach nur schmecken.

In unserem Fall können wir wirklich sagen, dass wir von Anfang an ganz offen über unsere Bedürfnisse gesprochen haben und wir halten das auch für wichtig. Häufig werden Anregungen in einer Beziehung als Kritik empfunden, in einer Affäre jedoch als netter Denkanstoß, sämtliche Freiheiten eines ungezwungenen Miteinanders zu nutzen. Manchmal habe ich persönlich ein paar Schwierigkeiten. Ich stehe zwar auf ältere Frauen, dennoch ist es mir bewusst, dass mein Gegenüber mehr Erfahrung hat und viele Sachen schon probiert hat. Aber auch über so was lässt sich reden.

Als ich zum dritten Mal bei ihr war, bemerkte ich plötzlich Haken an ihrem Bett. Ich habe mir dann schon gedacht, dass die für Bondage genutzt werden. Bei den ersten beiden Malen waren die garantiert nicht da. Das hätte ich schwören können. Beim Sex in der Nacht hat sie mich dann darauf angesprochen: "Ich glaube, du hast die Haken schon bemerkt. Hast du Lust?" Und ich habe einfach gesagt: "Lass es uns machen." Ich habe ihr vertraut, fand es unglaublich spannend und wollte einfach mal was anderes ausprobieren.

Klar und deutlich kommunizieren

Marie und Max (beide 24 und heterosexuell)

Wir sind seit fünf Jahren zusammen, und was das Sprechen über Sex angeht, hat sich gerade im Vergleich zu früheren Beziehungen, aber auch im Laufe der Zeit einiges geändert. An einem Tag hat man Bock auf romantisches Liebemachen und am nächsten auf richtig harten Sex. Das kommt immer auf die Tagesform an, und da sprechen wir dann vorher auch normal drüber. Dann halten wir das Vorspiel mal länger oder überspringen es und treiben es im Treppenhaus.

Das alles hat sich definitiv nicht daraus entwickelt, dass einer plötzlich Gedanken lesen konnte, sondern daraus, dass man einfach gesagt hat: "Und wie sieht’s aus, kannst du dir das vorstellen?" Was aber auch wichtig ist, ist sich keinen Stress zu machen. Wenn man mal einen Tag hat, wo man überhaupt nicht will, dann sollte man das sagen und nichts über sich ergehen lassen, um dem anderen einen Gefallen zu tun. Gerade dabei ist es wichtig, die Kommunikation sehr klar zu halten. Für uns ist das nicht unsexy, es macht den Rest nur viel schöner und angenehmer.

Klar ist: Das Reden über den Sex lohnt sich. Dr. Michael Petery fügt hinzu: "Es führt bei meinen Klient*innen zu einer großen Erleichterung und zu viel mehr Freiheit, Lebensqualität und besserem Sex." Wie man das Ganze im Endeffekt anstellt und ob man sich darüber erst mal bei WhatsApp, nach dem Sex oder während eines Drinks in der Bar unterhält, kommt ganz darauf an, wer man ist und was für eine Art von Beziehung man miteinander führt.