Im September 2016 unterzeichneten die Farc-Guerilla und die kolumbianische Regierung ein Friedensabkommen, das den jahrzehntelangen, bewaffneten Konflikt in dem südamerikanischen Land beenden sollte. Seither verläuft die Umsetzung schleppend. Zwar sanken die Zahlen der getöteten und entführten Menschen deutlich – ganz gestoppt wurde die Gewalt bislang jedoch nicht.

Der frisch gewählte rechtskonservative Präsident Iván Duque gilt als Feind des Friedensabkommens. Er kündigte an, den Vertrag in wesentlichen Punkten ändern zu wollen. Kritiker*innen fürchten daher um den Friedensprozess. Gerade junge Kolumbianer*innen wollen ein Scheitern jedoch nicht hinnehmen und mobilisieren für den Frieden. Wir haben mit vier von ihnen gesprochen.

Esteban Guerrero, 24, studiert Jura und beteiligt sich an verschiedenen Initiativen für den Frieden

"Wir wurden unser ganzes Leben von Politikern regiert, die unsere politische Linie nicht teilen. Daher sind wir gewohnt, für unsere Rechte auf die Straße zu gehen. Aber ich glaube, dass sich die Situation in Kolumbien in den vergangenen Jahren deutlich geändert hat.

Wir, die junge Generation, haben nicht den gesamten bewaffneten Konflikt erlebt. Aber wir haben ein Bewusstsein darüber entwickelt, was er bedeutet hat. Und uns ist klar: Wir wollen unser Leben nicht mehr von der Gewalt bestimmen lassen, so wie es unsere Eltern und Großeltern mussten.

Ich war schon ziemlich früh in der Studentenvereinigung aktiv, die sich unter anderem für den Friedensprozess eingesetzt hat. Vor zwei Jahren haben wir an der Uni eine Gruppe mit dem Namen Sprechen wir über den Frieden gegründet.

Nachdem im September 2016 das Referendum über den Friedensprozess scheiterte, gingen wir massiv auf die Straße. Wir glauben an ein besseres Kolumbien, an Frieden und Versöhnung. Also haben wir Reisen in die Gebiete veranstaltet, in denen sich die Farc-Rebellen für ihre Entwaffnung sammelten. Wir wollten uns mit den ehemaligen Rebellen austauschen und ihre Version der Geschichte kennenlernen. Aus diesen Treffen sind tiefe Verbindungen und sogar Freundschaften entstanden."

María Fernanda Carrascal, 28, Politologin und Aktivistin

"Ich bin seit etwa zehn Jahren Aktivistin. Zuerst in der studentischen Vertretung meiner Uni, später bei Demonstrationen für ein besseres Bildungssystem und gegen die Korruption. Richtig aktiv wurde ich aber erst während dem Friedensprozess mit der Farc-Guerilla.

Ich hatte den Eindruck, dass sich viele Menschen von dem Friedensprozess nicht betroffen fühlten. Das wollte ich ändern. Also gründete ich die Initiative Por Colombia Sí, um den Leuten vor dem Referendum die Angst vor einem "Ja" zum Frieden zu nehmen. Wir hüllten etwa Statuen überall im Land in weiße Flaggen als Symbol für den Frieden.

Ich glaube fest daran, dass wir die Gesellschaft von unten ändern können. Das hat auch damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin. Mein Vater war in den 1980er Jahren Aktivist im Norden Kolumbiens und setzte sich für die Rechte von Bauern und Opfern des Konfliktes ein. Als immer mehr seiner Mitstreiter ermordet wurden, musste er nach Bogotá fliehen. Der Aktivismus wurde mir also quasi in die Wiege gelegt – und die Erkenntnis, dass wir immer noch für die gleichen, eigentlich ziemlich grundlegenden Dinge streiten wie mein Vater in den 80ern, motiviert mich, weiterzumachen.

Vor den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr habe ich deswegen die Kampagne #ElPaísPrimero gegründet, die vor allem in den sozialen Medien aktiv ist. Wir wollen uns für eine gesellschaftliche Alternative einsetzen. Wir wollen nicht, dass weiter junge Menschen in den Krieg geschickt werden und dort sterben."

Sebastián Lanz, 24, studiert Anthropologie und gründete mit seinem Bruder Alejandro die Nichtregierungsorganisation Temblores

"Ich glaube, was mich am meisten motiviert, ist die Angst: Die Angst vor einem Wandel, der schiefgeht. Die Angst, dass der Konflikt erneut mit aller Härte ausbricht und wieder tausende Menschen sterben. Damit das nicht passiert und damit der Frieden irgendwann Wirklichkeit wird, haben mein Bruder Alejandro und ich vor rund einem Jahr die Organisation Temblores gegründet. Temblores steht für das Beben, das die Gesellschaft durchziehen und zum Umdenken bewegen soll.

Wir konzentrieren unsere Arbeit auf drei Bereiche: Sex, Drogen und Frieden. Alle drei sind eng miteinander verwoben. Unter Sex fassen wir Themen wie die Rechte von Frauen und der LGBTI-Gemeinschaft zusammen, die in Kolumbien häufig unsichtbar gemacht werden. Drogen sind so etwas wie der Motor des Konfliktes.

Unsere Organisation will ein Katalysator zwischen marginalisierten Bevölkerungsgruppen und dem Staat sein. Wir wollen denen, die oft übersehen werden, zu ihrem Recht verhelfen. Parallel wollen wir mit Studien nachweisen, dass zum Beispiel die LGBTI-Gemeinschaft häufig von der Polizei kriminalisiert wird – einfach deswegen, weil wir sind, wie wir sind.

Der Frieden hat so weder Hand noch Fuß. Er muss aber für alle spürbar sein."

Alejandro Lanz, 30, Jurist und Mitgründer von Temblores

"Ich will durch meinen Aktivismus neue Räume für Debatten, vor allem aber für den Frieden, schaffen. Dazu zählt zum Beispiel die notwendige Debatte über die Entkriminalisierung von Drogen. Die illegalen Strukturen rund um die Kokaproduktion und den Kokainhandel sind die Basis des Konfliktes. Ohne sie hätten wir schon lange Frieden. Der Konflikt wird auf dem Rücken der schwächsten Glieder der Kette ausgetragen: auf dem der Bauern, die Koka auf ihren Feldern anbauen und meist keine andere Möglichkeit haben, um zu überleben. Sei es, weil sie bedroht werden oder weil sich andere Anbauprodukte schlicht nicht lohnen. Und auf dem der Konsumenten, die einer konstanten Kriminalisierung ausgesetzt sind – aber keine wirkliche Hilfe erhalten.

Deswegen arbeiten wir unter anderem mit Menschen zusammen, die wegen Drogendelikten im Gefängnis sitzen. Wir wollen nachweisen, dass vor allem die Menschen bestraft werden, die eh am Rande der Gesellschaft stehen.

Das Gleiche gilt beispielsweise auch für den Wehrdienst: Da man sich in Kolumbien von der Wehrpflicht freikaufen kann, müssen vor allem arme Menschen in den Krieg.

Wenn wir die schwächsten Glieder der Gesellschaft weiter benachteiligen und kriminalisieren, werden wir keinen nachhaltigen Frieden erreichen. Daran müssen wir arbeiten."