Im englischsprachigen Raum haben sie zum Teil Hunderttausende Follower*innen: sogenannte Therapy Influencer. In Deutschland gibt es das Phänomen ebenso. Aber die Hilfe stößt auch an ihre Grenzen.

Auf Instagram kann man vieles. Yoga machen, Bananenbrotrezepte finden, Interior-Inspiration bekommen. Oder sich über Anpassungsstörungen schlau machen. 

Denn zunehmend finden sich auf der Plattform nicht nur Expert*innen für Mode, Sport und Lifestyle, sondern auch für unsere Psyche, und alles, was damit zusammenhängt. In den USA werden diese Accounts Therapy Influencer genannt: Lisa Olivera, Jenn Hardy und Whitney Goodman Imft posten zu den Themen Grenzen ziehen, Verletzlichkeit und Depressionen. 

In der New York Times heißt es, diese Accounts würden die richtige Ansprache für die "Generation Therapie" finden. Aber auch hierzulande gibt es einen Bedarf an leicht zugänglichem Expert*innenwissen zu psychologischen Themen. Ein Wissen, das den Erklärhorizont von Selbstliebe-Zitatkacheln übersteigt, aber dennoch niedrigschwellig zu bekommen ist.

Wie wenig viele Menschen über psychische Erkrankungen wissen, hat Dinah schon in ihrem eigenen Umfeld bemerkt. Sie betreibt ihren Instagram-Account @erklaerungsnot seit einem guten halben Jahr und hat ihn nach der Erklärungsnot benannt, die sie selbst verspürte, als ein ehemaliger Kollege ihr sagte, er wäre mal zwei Wochen ans Meer gefahren und dann wäre es ihm besser gegangen. Doch Dinah war nicht schlecht drauf, sie hatte eine Depression. Und so will sie aufklären, damit andere Betroffene sich nicht mehr Sätze der Kategorie "Fahr doch mal in den Urlaub" oder "Ich hab' gelesen, dunkle Schokolade soll helfen" anhören müssen.

Wo verläuft die Grenze zwischen psychischem Erleben und Depressionen?

Was ist "normal"? Brauche ich professionelle Hilfe? Diese Fragen stellen sich wohl viele Menschen, die extreme Gefühle erleben. Doch es gibt einen Unterschied zwischen normalem psychischem Erleben und einer Depression, sagt Psychologiestudentin Dinah. Auch diese Unterschiede will sie mit ihren Posts erklären helfen.

Entstigmatisierung, Aufklärung, Ängste nehmen.

Anke Glaßmeyer ist ebenfalls Therapie-Influencerin und betreibt eine eigene Praxis als Psychotherapeutin. Glaßmeyer treibt eine ganz ähnliche Motivation wie Dinah an. Gefragt, warum sie ihren Account betreibe, sagt sie bestimmt

: "Entstigmatisierung, Aufklärung, Ängste nehmen." Dazu gehören nicht nur erklärende Posts zu psychischen Erkrankungen wie dissoziative Störungen oder Phobien, sondern auch Tipps zum ersten Anruf bei einem Therapeut oder einer Therapeutin und Fragen zur Therapie wie: "Darf ich meinem Therapeuten etwas schenken?"

Aufklären wollen beide, aber auch motivieren, sich professionelle Hilfe zu suchen. Beide sehen die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen dabei als einen wichtigen Schritt, Betroffenen zu helfen. Dazu gehört auch, dass beide sehr offen über ihre eigenen psychischen Probleme sprechen und sie auf ihren Accounts thematisieren.

Vorsicht vor Betrüger*innen

Aufklärung und Entstigmatisierung klingen erst mal toll, aber es gibt auch Schattenseiten beim Thema Psyche und Instagram. So finden sich dort nämlich auch unseriöse Accounts der Sorte "In zehn Wochen bist du deine Depression los". "Pseudo-Psycholog*innen", wie Dinah sie nennt.

Auch Anke Glaßmeyer sagt: "Was ich da teilweise sehe, ist schlimm. Es gibt so viele Leute, die Unfug treiben. Man sollte immer schauen, ob es ausgebildete Psycholog*innen sind. Alles andere ist gefährlich."

Wie aber kann man sich als hilfesuchender Mensch vor Betrüger*innen schützen? "Ganz generell: Wenn jemand Heilsversprechen äußert. Oder wenn etwas enorm viel Geld kostet. Auch wenn nicht klar ist, welche Ausbildung die Person hat. Dann sollte man auf jeden Fall nach der Qualifikation fragen", sagt Dinah.

Social Media kann eine Therapie nicht ersetzen

Gefährdung durch unseriöse Heilsversprechen ist die eine Sache. Die andere ist, dass auch die Ressourcen von sachkundigen Therapie-Influencer*innen begrenzt sind. Doch das kann schon mal übersehen werden, wenn sich ein verzweifelter Mensch per Instagram-Direktnachricht Soforthilfe holen will. Sowohl Dinah als auch Anke Glaßmeyer haben schon entsprechende Hilferufe bekommen.

"Das ist erschreckend. Ich lasse mich dann aber nicht auf ein Gespräch ein, ich bin ja auch noch keine ausgebildete Psychotherapeutin und verweise dann auf Beratungsstellen", sagt Dinah. Auch Glaßmeyer als ausgebildete Psychotherapeutin kann und will in psychischen Notfällen keine Hilfe per Instagram leisten und verweist in ihren Story-Highlights auf Beratungsstellen und Hilfenummern.

Instagram kann persönliche psychologische Hilfe nicht ersetzen – nicht zuletzt deswegen, weil viele Social-Media-Plattformen datenschutzrechtlich bedenklich sind. Nichtsdestotrotz bietet die Plattform einen Raum, in dem Menschen sehr niedrigschwellig in Kontakt mit Informationen über psychische Erkrankungen kommen können. Und das ist nicht nur für direkt Betroffene von Nutzen, die sich dadurch ein Stück weit gesehener fühlen können, sondern auch für alle anderen.

Denn wie Studien zeigen, hat das Wissen um und über psychische Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung zwar in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, aber Vorbehalte gegenüber psychisch Erkrankten bleiben. Mehr Psychoedukation ist also nach wie vor nötig. "Wir lernen in der Schule oder in der Ausbildung nichts zu psychischen Erkrankungen, dass da Vorurteile herrschen ist also total menschlich. Deshalb ist Aufklärung so wichtig", betont Anke Glaßmeyer.

Hier findet ihr die im Artikel erwähnten Accounts von Dinah und Anke Glaßmeyer. Weitere Accounts zum Thema Psyche findet ihr von der Psychotherapeutin und Buchautorin (Psyche? Hat doch jeder!) Lena Kuhlmann, der Psychologin Julia Neumann oder der Paartherapeutin Anna Wilitzki.

Und hier eine weitere kleine Auswahl an englischsprachigen Accounts: Whitney Godman Imft (viele erklärende Posts und Fokus auf Beziehungen), Nedar Glover Tawwab (Fokus auf Beziehungen, Co-Abhängigkeit und Tipps zu Social Distancing), Lisa Olivera (weniger Erklärungen, mehr Ratschläge), Allyson Dinneen (Familientherapeutin), Sonalee (Body Positivity, Sex) und Nicole LePera (Fokus auf Selbstheilung).

Hilfe holen

Falls du unter Depressionen leidest und dich Suizidgedanken plagen, findest du bei der Telefonseelsorge online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 rund um die Uhr Hilfe. Du kannst dich dort anonym und vertraulich beraten lassen.

Angehörige, die eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, können sich an den AGUS-Verein wenden. Der Verein bietet Beratung und Informationen an und organisiert bundesweite Selbsthilfegruppen.