Unsere Vornamen haben für uns große Bedeutung: Wir nutzen sie täglich, wir ärgern uns, wenn uns jemand mit dem falschen Namen anspricht, und wir reagieren auf Kevin anders als auf Alexander. Aussuchen können sich die meisten ihre Namen aber nicht – außer sie sind transsexuell und müssen sich entscheiden, wie sie zukünftig genannt werden wollen. Die Mainzer Sprachwissenschaftlerin Miriam Schmidt-Jüngst hat für ihre Doktorarbeit Transpersonen gefragt, wie sie diese Entscheidung treffen.

ze.tt: Wie suchen Transmenschen ihre neuen Namen aus?

Miriam Schmidt-Jüngst: Das ist natürlich sehr individuell, aber ich habe ein überwiegendes Motiv gefunden: Die allermeisten suchen sich einen Namen aus, der möglichst normal ist.

Was heißt normal?

Dass der Name zum Alter passt, zur Herkunft, in die Familiengeschichte.

Gibt es Unterschiede zwischen Transmännern und -frauen?

Das ist sehr ähnlich zur Gesamtbevölkerung. Transmänner wählen, ähnlich wie Eltern von Jungen, eher traditionelle Namen. Da ist es wichtiger, einen Familiennamen weiterzugeben, und auch die Eltern und Großeltern in die Namenswahl einzubeziehen. Transfrauen wählen Namen eher nach dem Klang und nach hübschen Assoziationen – genau wie Eltern von Mädchen. Mädchennamen sollen schmückender sein. Da gibt es praktisch keine Unterschiede zwischen der Trans*- und der Cis-Bevölkerung.

Ich vermute mal, das ist historisch bedingt, dass Männer die Familientradition weitertragen, wie beim Nachnamen auch?

Das hängt sicher auch damit zusammen. Die Männer sind ja historisch die Stammeshalter. Und generell ist bei Mädchen das Aussehen wichtiger, sie sollen hübsch sein. Das überträgt sich dann auch auf die Namen, der soll weiblich klingen, aber nicht überfeminisiert wie bei einer Dragqueen.

Was macht einen Namen weiblich?

Das hängt an der Lautstruktur. Weiblich klingen vor allem Namen, die auf Vokale enden, die melodisch und weich klingen. Dazu kommen individuelle Assoziationen, dass man sich zum Beispiel benennt nach Figuren aus dem eigenen Leben oder aus Büchern, bei denen man sagt: So wollte ich schon immer sein! Gerade Transfrauen haben mir häufig erzählt, dass sie sich nach Mädchen aus ihrer Kindheit und Jugend nachbenannt haben, mit denen sie sich damals identifiziert haben.

Tragen viele ihren Wunschnamen schon seit der Kindheit mit sich herum?

Ganz viele, ja. Gerade diejenigen, die schon lange wissen, dass sie transgeschlechtlich sind, aber trotzdem warten. Je wichtiger einem der Name ist, desto länger hat man in der Regel darüber nachgedacht.

Zu welchem Zeitpunkt entscheiden sich die meisten, ihre Namen zu ändern?

Es geht letztendlich darum, wann man seinem Umfeld von seiner Transgeschlechtlichkeit erzählt: Man kann das ja nicht mitteilen, ohne auch den Namen mitzuteilen. Das Timing ist wahnsinnig wichtig. Das Ziel ist immer, möglichst einheitlich zu erscheinen. Wenn ich noch einen Bart trage ist es schwierig, von anderen einzufordern, Anna genannt zu werden.

Vor allem die Eltern und Großeltern tun sich sehr schwer damit, die Transition anzuerkennen und die Namen zu verwenden.
Sprachwissenschaftlerin Miriam Schmidt-Jüngst

Was passiert, wenn Namen und Aussehen nicht zusammenpassen?

Dann wird das Umfeld misstrauisch und glaubt den Namen nicht. Man hat ja leider selbst sehr wenig Kontrolle darüber, ob andere den Namen auch wirklich verwenden.

Würden Sie sagen, Trans*sein ist in Deutschland inzwischen sonst recht akzeptiert?

Von den jungen Teilnehmer*innen meiner Studie habe ich viele positive Geschichten gehört, die älteren berichten noch mehr von Anfeindungen. Es geht also in eine gute Richtung. Aber gerade in der Familie ist es noch schwer. Vor allem die Eltern und Großeltern tun sich sehr schwer damit, die Transition anzuerkennen und die Namen zu verwenden.

Woran liegt das?

Die Eltern sind ja in aller Regel diejenigen, die den früheren Namen ausgesucht haben. Wenn da das Kind kommt und sagt, es will einen anderen Namen, dann ist das für Eltern oft eine Verletzung. Sie fühlen sich zurückgewiesen. Dadurch gibt es auch viele Transpersonen, die ihre Eltern um Rat fragen: Wie hättet ihr mich denn genannt, wenn ich gleich als Junge auf die Welt gekommen wäre? Oder: Wie würdet ihr mich jetzt nennen? Sie versuchen ihre Eltern wieder so in die Benennung einzubeziehen, wie es auch bei der Geburt der Fall war.

Gibt es auch Fälle, in denen Leute geoutet sind als trans*, aber ihre alten Namen behalten?

Das ist praktisch unmöglich, vor allem dann, wenn man gesetzlich sein Geschlecht ändern will. Das deutsche Namengesetz ist recht strikt: Ich darf keinen gegen-geschlechtlichen Namen tragen.

Wie schwer ist es in Deutschland, seinen Vornamen zu ändern?

Extrem schwer. In kaum einem anderen Land in Europa sind die Vorgaben so streng wie bei uns. Das Gesetz sieht vor, dass entweder schwerwiegende Gründe vorliegen müssen, zum Beispiel dass der Name traumatisierend ist oder zu Spott und Hohn führt. Also wenn man Hitler oder Pumuckl heißt. Ansonsten gibt es für Transpersonen die Extra-Rechtssprechung, wonach sie ihren Namen ändern können – allerdings gilt da genauso wie für eine Operation oder eine Hormonbehandlung, dass man dafür zwei Gutachten von Psychologen oder Psychiatern braucht.

Ist es schwierig, diese Gutachten zu bekommen?

Ja, das ist langwierig und kostet viel Geld. Nur für den Namenswechsel und das dazugehörige Gutachten gibt man mal gut 1.500 Euro aus.

In dem Gesetz steht auch, man muss mindestens "drei Jahre unter dem Zwang" gelebt haben, bevor man sein Geschlecht offiziell ändern darf. Was bedeutet das?

Das ist auch so eine schöne Formulierung. Das Gesetz ist sehr alt, das stammt aus dem Jahr 1981. Damals wurde Transsexualität als psychische Krankheit verstanden. Das heißt es galt als Zwang, sich als das andere Geschlecht zu sehen – wie bei einer Wahnvorstellung. Das musste diagnostiziert werden, durch einen Psychiater oder Psychologen.

Wie läuft so ein Test ab?

Das Verfahren dauert in aller Regel zwei Jahre. Häufig gab es außerdem den Alltagstest, das heißt, die Personen mussten in ihrem wahren Geschlecht leben: ohne OP, aber in der entsprechenden Kleidung, sich mit dem neuen Namen vorstellen et cetera, um zu beweisen, dass sie es ernst meinen. Mit dem zusammen kamen oft drei Jahre zusammen.

Gibt es zur Zeit Versuche, das Gesetz zu ändern?

Ja, die gibt es schon sehr lange. Im Moment ist das Transsexuellen-Gesetz ein Flickenteppich. In den letzten Jahren haben immer wieder Menschen geklagt und das Bundesverfassungsgericht hat ihnen Recht gegeben. Also zum Beispiel bei der Klage, dass Ehen nicht automatisch geschieden werden müssen, damit einer der Partner sein Geschlecht ändern darf. Einzelne Absätze wurden so geändert. Verschiedene Gruppen haben immer wieder Vorschläge für ein ganz neues Gesetz gemacht, die aber alle ignoriert wurden. Schon unter der Regierung Schröder gab es Versprechen, dass es überarbeitet wird, das ist aber nie passiert. Letztes Jahr hat eine Arbeitsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin im Auftrag vom Familienministerium ein Gutachten und einen Reformvorschlag erarbeitet, der der Regierung vorgelegt und im Bundestag entschieden werden soll. Das ist aber bisher nicht passiert.

Was steht in dem Vorschlag?

Falls der durchkäme, wäre er sehr radikal. Das würde einen Namenswechsel und eine Änderung des Geschlechts im Pass ohne Gutachten möglich machen. Dann könnte man einfach zum Standesamt oder zu einem Notar gehen und sagen: Ich erkläre hiermit, dass ich männlich bin und von jetzt an Paul heißen möchte.

Wie optimistisch sind Sie denn, dass der Vorschlag durchkommt?

Da habe ich wenig Hoffnung. Wir haben eine konservative Regierung. Man sieht das ganz gut an der Entscheidung im November letzten Jahres vom Bundesverfassungsgericht. Das Gericht hat entschieden, dass es ein drittes Geschlecht im Pass geben muss, bis 2018. Da hatten viele die Hoffnung, dass die Option sich als drittes Geschlecht zu verstehen, allen Menschen unabhängig von einer medizinische Diagnose offen stehen wird.

Was ist dann wirklich passiert?

Vor einigen Wochen ist der erste Vorschlag für einen Gesetzestext veröffentlicht worden, und der ist sehr sehr konservativ und an eine sehr enge, medizinische Definition gebunden. Daran sieht man, dass unsere derzeitige Regierung kein Interesse hat, da liberaler zu werden – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wo zurzeit sehr viel passiert. Deutschland hinkt in dieser Frage hinterher.