Ein enger Vertrauter von Bernie Sanders sei ein "verdammter Lügner", schrieb die Parteichefin der US-Demokraten, Debbie Wasserman Schultz, in einer Mail. Ein Ausrutscher? Ein Affekt? Vielleicht.

Problematisch ist die Mail dennoch, die mit 20.000 weiteren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Denn den Nachrichten von Wasserman Schultz ist zu entnehmen, dass ein möglicher US-Präsidentschaftskandidat, in diesem Fall Sanders, systematisch benachteiligt wurde. Man solle ihn öffentlich zu seinem Glauben befragen, empfahl Wasserman Schultz etwa als Ratschlag in einer der Nachrichten, kurz vor den Vorwahlen in Kentucky und West Virginia Mitte Mai. Sanders ist Jude – und konservative US-Amerikaner*innen stimmen ungern für jemanden mit einem anderen Glauben als dem ihren.

Interne Machtspielereien, gegenseitiges Ausboten, kalkulierte Provokationen: das ist sonst nur der Stoff, aus dem TV-Serien wie "House of Cards" gemacht sind. Die jetzt veröffentlichten Mails beweisen einmal mehr, dass die Parteien im US-Wahlkampf tatsächlich auf diese Weise mit Prozentpunkten jonglieren. Brisant ist das vor allem, weil man diese Art der Diffamierung zwar gegen eine Oppositionspartei erwartet – aber nicht, dass es solche Diskreditierungsversuche auch innerhalb einer Partei gibt. Als Folge kündigte Debbie Wasserman Schultz ihren Rücktritt als Parteichefin an.

Diesen unverblümten Blick auf die politischen Spiele verdanken wir, wie so oft, der Plattform Wikileaks. Und da ist es wieder – das faszinierende, wenn auch flüchtige Gefühl, in der Plattform einen wirkmächtigen Verbündeten zu haben. Einen, der uns mit all diesen Informationen versorgt, die wir eigentlich nicht bekommen hätten dürfen. Einen, der dafür sorgen kann, dass die Mächtigen ihre Macht verlieren.

Stammtisch für Whistleblower

Die Plattform bietet freien Zugang zu allerlei Informationen, darunter tausende sensible Daten, die nie für eine Veröffentlichung bestimmt waren. Klar, dass sie sich damit nicht nur Freunde machen: Die Gründer*innen sagen, Regierungen und deren Geheimdienste unternehmen seit Eröffnung des Portals im Jahr 2006 immer neue Versuche, Wikileaks zu eliminieren. Damit liefert die Plattform immer wieder spannenden Erzählstoff. Einige Bücher und Filme sind bereits über Wikileaks und dessen Co-Gründer, Julian Assange, entstanden.

Auch Kritik kocht ab und an hoch: Die Transparenz, welche die Betreiber*innen propagiere, halte sie selbst nicht ein – im Gegenteil: Wikileaks sei ein Projekt, von dem niemand genau wisse, wie es funktioniert.

Wie Wikileaks arbeitet

Viel weiß man wirklich nicht. Angeblich lebt die Organisation allein von Spendengeldern, mehr als 600.000 US-Dollar kommen jährlich zusammen. Die Mitarbeiter*innen sind Ehrenamtliche, die dezentral von zuhause aus arbeiten.

2010 seien aber erstmals Gehälter an sieben Personen bezahlt worden – die Höhe habe sich an dem von Greenpeace ausbezahlten Betrag orientiert, 5.500 US-Dollar monatlich. Der größte Faktor neben Serverkosten sind die Gerichtskosten – Wikileaks ist in zahlreiche Gerichtsverhandlungen entwickelt.

Die bereitgestellten Informationen recherchiert die Plattform nicht selbst: Sie werden ihr zugespielt. Dafür gibt es ein Uploadformular auf der Website. Die Dokumente werden dann geprüft, Informantennamen geschwärzt – anschließend werden die Daten veröffentlicht.

Dahinter steckt komplexe Sicherheitstechnik: Die Haupt-Server stehen in Schweden, weitere sind überall auf der Welt verteilt. Die Server selbst speichern allerdings keine Information über ihren Standort, sprich: Sie wissen selbst nicht, wo sie stehen. Dazu kommt ein komplexes Verschlüsselungssystem, Wikileaks speichert keine Logs – niemand weiß, wer die Seite besucht und wer Dokumente hochlädt. Der Informantenschutz hat hohe Priorität.

"Da ist doch was im Busch!"

Diesem Organisationskonstrukt fehle die Kontrolle, meinen Kritiker. Sie stellen auch immer wieder die Moral des Portals in Frage: Müssen wir wirklich immer alles wissen? Was macht das mit uns, wenn wir Zugriff auf solche Daten haben?

Wer so fragt, hat nie verstanden, worum es bei Wikileaks eigentlich geht. Die Frage ist nicht, was die Veröffentlichung sensibler Daten mit uns macht. Wichtig ist zunächst einmal, dass sie etwas mit uns macht.

Ein Beispiel: Als wir beispielsweise im Mai 2015 davon lesen konnten, man "plane" militärisch Interventionen gegen Schlepperboote, hatten alle 28 EU-Mitgliedsstaaten eigentlich schon längst per Unterschrift entschieden, dass man sie im Mittelmeer versenken wird – das zeigen Dokumente, die Wikileaks vorliegen.

Das war nur eine der wichtigen Veröffentlichungen. Womöglich rauschen an vielen von uns solche Meldungen vorbei. Sehr wahrscheinlich greift nur ein kleiner Teil von uns selbst auf das Wikileaks-Rohmaterial zu. Und trotzdem gelingt es der Plattform auch aus der Ferne, uns einen kritischen Geist anzutrainieren. Einfach dadurch, dass die Organisation seit zehn Jahren ihre Arbeit macht.

Allein die Existenz dieser Organisation vermittelt uns, dass offenbar was im Busch ist in der Welt. Wikileaks rüttelt uns wach und schärft unser politisches Bewusstsein.

Und dabei ist es erst mal egal, ob Julian Assange wirklich so arrogant ist, wie er gemeinhin gilt. Es ist erst mal egal, ob die Organisation transparenter sein muss. Und es ist sogar okay, dass Wikileaks Fehler macht und in manchen Datensätzen Quellen stümperhaft schwärzt. Solange die Plattform aus diesen Fehlern lernt – und verbessert weiterarbeitet.

Wikileaks zeigt uns laufend, dass hinter den uns verschlossenen Türen viel mehr vorgeht, als man uns glauben lassen möchte.