Ich habe einen Feind: innere Unruhe, Stress. Er überkommt mich, vermeintlich unabwendbar, immer dann, wenn ich mich emotional belastet fühle, durch Schicksalsschläge, die Arbeit, Geld oder Zwischenmenschliches. In der Folge grüble ich. Das ist dann ein Gedankenkreislauf ohne Lösungen. Das blockiert mich, mir geht's nicht gut dabei und ich kann nicht mal benennen, warum.

Ich frage mich dann immer wieder, wieso mir das passiert, wieso gerade ich durch diesen Sumpf gehen muss, wieso ich offenbar nicht in der Lage bin, pragmatischer zu sein. Nun weiß ich aber auch, dass all das keinen Sinn macht, ich stecke ja ohnehin schon drin. Die Frage muss viel eher lauten: Wieso belastet mich die Situation so sehr?

Denn eine schwere Situation ist nur so belastend, wie wir selbst es zulassen. Allein dieses Wissen half mir bereits dabei, gelassener zu werden, auch in schwierigen Momenten.

Unsere Art, auf psychische Belastungen zu reagieren, funktioniert nach klaren Mustern

Der Psychologe Richard Lazarus beschrieb in seinem Stressmodell, dass unser Stress nicht durch eine Belastung an sich entsteht, sondern durch unsere subjektive Bewertung der Belastung.

Wir nehmen eine Situation wahr und kategorisieren sie sofort in positiv, irrelevant oder gefährlich, sprich stressend. Erleben wir sie als stressend, gibt es wiederum drei Stufen. Entweder wir nehmen die Situation als Herausforderung wahr, wenn sie uns als bewältigbar erscheint, als Bedrohung, wenn wir Schaden durch sie erwarten oder als Verlust, wenn ein Schaden bereits eingetreten ist.

Wir prüfen dann innerlich, ob wir das Problem selbstständig lösen können. Falls ja, gehen wir in ein gesundes Bewältigungsmanagement über, der Fachbegriff dafür lautet coping. Falls nein, entsteht Stress, der uns verfolgen kann, blockieren, der uns grübeln lässt und nebenbei höchst ungesund für uns ist, wenn wir ihn nicht in den Griff bekommen.

Umgekehrt bedeutet das aber auch, wir können das Problem aus der Welt schaffen – oder unseren Bezug zu diesem Problem ändern, es innerlich anders bewerten. Lazarus nannte das emotionsorientiertes coping: Plagen uns etwa Geldsorgen, können wir anderen Aspekten unseres Lebens wie etwa einer freundschaftlichen Beziehung mehr Bedeutung beimessen, um die finanzielle Belastung zumindest innerlich nicht mehr so hoch zu gewichten.

Übertragen wir das auf andere Lebensbereiche und verschieben sukzessive unsere Achtsamkeit, können wir uns so etliches Grübeln und Stress sparen.

Ein nächster Schritt könnte sein, die Ursache zu ergründen, warum uns eine Situation so belastet hat. Ein Beispiel: Der lapidare Fehler, den wir bei der Arbeit machten, verfolgt uns bis in die Nacht und ängstigt uns so, dass wir Kündigungssorgen entwickeln. Daraus könnten wir schließen, dass wir unseren Job etwas zu hoch gewichten. Das wiederum können wir auf unseren Bezug zu Leistung zurückführen: Vielleicht haben wir uns in unserem bisherigen Lebensverlauf antrainiert, dass wir im Job erfolgreich sein müssen, um uns als Mensch wertvoll zu fühlen? Vielleicht ließen unsere Eltern uns erst dann Wertschätzung zukommen, wenn wir eine gute Note nach Hause brachten?

Ja, da muss man sich erst mal durch das emotionale Bergwerk ackern und holt vielleicht Erinnerungen und Erkenntnisse ans Tageslicht, an denen man knabbern muss. Aber so kann nach und nach ein tieferes Gespür für unsere eigene Seele entstehen. Wie funktioniere ich? Und warum funktioniere ich so? Wir beginnen zu verstehen: unser Kopf, die Seele, der Stress durch eine emotionale Belastung, all das folgt einem Schema, das man zurückverfolgen kann. Wie bei einer Erkältung: Wir haben Schnupfen, Reizhusten, Kopfschmerzen, weil wir uns mit einem Virus ansteckten, und das wiederum meist, weil wir nachlässig waren, etwa mit nassen Haaren aus dem Haus gingen.

Probleme wirken dadurch nicht mehr so groß

Das ist übrigens, wie einige Psychotherapeut*innen arbeiten: Sie versuchen, destruktive Schemas und Denkmuster zu erkennen und uns das aufzuzeigen, einen Hallo-wach-Effekt hervorzurufen. Die Psychotherapie gibt uns unter anderem das Rüstzeug an die Hand, innere Probleme eigenmächtig zu bearbeiten. Es gibt sogar Listen über solche Schemas, etwa die des US-amerikanischen Psychotherapeuten Jeffrey Young. Es ist spannend, sich da hineinzulesen. Die Schematherapie geht davon aus, dass wir in der Kindheit und im Verlauf unseres Lebens Muster aus Erfahrungen, Erinnerungen, Emotionen und Körperempfindungen entwickeln, die maßgeblich unser Verhalten steuern.

Hin und wieder bemerken wir Verhaltensweisen, die eigentlich gar nicht zu unserer Persönlichkeit passen. Das Phänomen heißt Ich-Dystonie. Wenn wir aus heiterem Himmel Wut oder Jähzorn entwickeln, obwohl es unserem Naturell komplett widerspricht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass wir uns das früher so antrainiert haben, etwa indem wir Bezugspersonen dabei beobachteten. Es gilt: Für jede Verhaltensweise gibt es einen Grund. Und wenn wir ein bestimmtes Verhalten gelernt haben, dann können wir es auch wieder verlernen.

Der positive Lerneffekt daraus ist zumindest für mich, dass alles, was ich sonst als unüberwindbar mystisches Unheil betrachtete, nicht mehr so hoch stellen muss, weil es das eben nicht ist. Wenn ich mit mir hadere, dann ist das kein Hokuspokus, sondern folgt den Gesetzen der Logik.

Mir persönlich hilft diese Erkenntnis ungemein, weil ich emotionale Belastungen so innerlich mehr von mir ablösen und als normal akzeptieren kann. Es macht sie greifbarer, ich kann sie in vorbeiziehende Gedankenwolken packen und hin und her schieben, wie es mir gerade passt. Der Umgang mit den inneren Problemen wird so weniger alles überschattend. Durch diesen beinahe spielerischen Umgang fällt Last ab, und damit auch Wut oder Groll gegen mich selbst. Und seitdem ich Stress nicht mehr als Feind wahrnehme, verschwindet er schneller. Ich habe diesem Vorgang für mich selbst einen Namen gegeben: Emotionspragmatismus.

In unserer Reihe Wie du zu dir findest beschäftigen wir uns damit, wie wir in dieser schnelllebigen Welt zurechtkommen. Wie werde ich zufriedener? Wie werde ich schädliche Denkmuster los? Für die Tricks und Kniffe – wir nennen sie Psychohacks – beschäftigen wir uns mit gängigen Studien und Methoden und befragen Expert*innen.