Als Rebecca* und ich vor zwei Jahren das erste Mal miteinander schliefen, haben wir – während wir danach sehr glücklich in meinem Bett lagen – ein Selfie gemacht. Wenn ich mir das Foto heute anschaue, grinsen wir darauf wie frisch Verliebte. Es hatte gleich gefunkt zwischen uns.

Wir merkten beide schnell, dass wir vieles gemeinsam haben und sahen uns nach kurzer Zeit fast täglich. Für uns war es wichtig, uns gegenseitig zu unterstützen. 

Wir kommunizierten offen miteinander über unsere Bedürfnisse. Rebecca hat Morbus Crohn, eine chronische Darmkrankheit. Das war jeden Tag Thema. Ich musste lernen, damit umzugehen; sie mit meinen Depressionen. Ich baute mir gerade mein Leben neu auf. In der Beziehung spielte das für mich eine große Rolle. Nie wieder werde ich emotional von jemandem abhängig sein, schwor ich mir.

Zuerst kam die Abschottung ...

Da wir beide dominante Persönlichkeiten und leidenschaftlich sind, konnten Stunden vergehen, in denen wir uns etwa über das Label unserer Beziehung stritten. Rebecca wollte eins, ich nicht. Eine andere Diskussion war, ob die Beziehung nur unter uns beiden stattfinden sollte oder wir sie offen halten wollen. Irgendwann sahen wir ein, dass wir wohl eine typisch monogame Beziehung führen würden und ich mich emotionalen Abhängigkeiten wohl nicht gänzlich entziehen kann.

Wir bestritten einen Großteil unseres Alltags zusammen. Wir arbeiteten am selben Ort, besuchten ähnliche Veranstaltungen und politische Demonstrationen. Zu unseren Hobbys zählten daneben vor allem Kochen, Quatschen, Netflix und Sex. Alles davon war gut, aber der Sex war schon sehr besonders. Oft habe ich mit meinen Partnerinnen viel Zeit gebraucht, damit wir uns aufeinander einstellen. Mit Rebecca lief alles direkt wie am Schnürchen.

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... dann kam die Trennung

Ein Jahr verging, bis mir meine Gefühle immer mehr abhanden kamen und ich zeitgleich vor der Frage stand, wie ich aus einem depressiven Loch heraus kommen sollte, das mich gegen Ende des Winters ereilt hatte. Ich fühlte mich nicht mehr unabhängig, weil ich auf Rebeccas Unterstützung zu sehr angewiesen war. Rebecca wurde unglücklicher. In der Folge sprach ich kaum noch mit ihr über meine Probleme. Wir verbrachten kaum noch Zeit miteinander, erst recht keine schöne. Meine neue Liebe waren mein Bett und meine Playstation.

Weil ich Rebeccas Bedürfnisse nicht mehr befriedigen konnte, schlug ich vor, die Beziehung zu öffnen. In dem Moment eine einfachere Lösung, als die Beziehung zu beenden. Rebecca suchte nach neuen Partner*innen, aber während bei mir die Gefühle rapide abnahmen, war Rebecca noch verliebt in mich. Schließlich kam doch die Trennung – und damit vorläufig ein Cut in unsere zwischenmenschliche Beziehung. Es war keine Trennung im Streit, eher in Trauer. Mir war bewusst, dass ein schönes Stück meines Lebens zu Ende gegangen war und dass sich so was auch nicht einfach wiederholen lässt.

Ich gehe nicht weg, hat sie mir versprochen.

In der Beziehung hatten wir uns versprochen, befreundet sein zu wollen, wenn es auseinander ginge. "Ich gehe nicht weg", hat Rebecca immer zu mir gesagt. Der Satz hat sich in mein Hirn eingebrannt wie kein zweiter. Rebecca hielt, was sie versprach.

Was es braucht, damit man erfolgreich befreundet bleibt

Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Bei den meisten Paaren funktioniert das später nicht, erklärt die

Diplom-Psychologin und Paartherapeutin Alexandra Costa aus Hamburg.

 Sie hat sich auf Paarberatung und Einzeltherapie spezialisiert. Sie ist häufig mit Klient*innen beschäftigt, die – wie ich – Kommunikationsprobleme haben.

Aus Sicht der Psychologin gibt es für eine erfolgreiche Freundschaft nach der Beziehung viele verschiedene Kritierien. "Es hängt sehr davon ab, wie das Wesen der Beziehung ist", sagt Costa. Einerseits gebe es da die von Leidenschaft geprägten Beziehungen: "Da gibt es viele Probleme im Alltag, zum Beispiel, dass die Leidenschaft und der Alltag nicht zusammen finden können." Viel Wert legen die Paare demnach auf absolute Treue, aber auch darauf, dass die Beziehung leidenschaftlich bleibe. "Das sind Beziehungen, in denen es weniger gute Chancen gibt, dass man am Ende befreundet bleibt", sagt die Psychologin.

Beziehungen, die aus Freundschaften entstanden sind, haben bessere Chancen, wieder zu einer zu werden
Alexandra Costa, Psychologin

Es gebe aber auch Beziehungen, die zum Beispiel aus Freundschaften heraus entstehen, wo Menschen merken, dass sie ein gutes Team sind, ähnliche Interessen haben, sich gegenseitig stark unterstützen. "Diese Beziehung haben bessere Chancen, später wieder zu einer Freundschaft zu führen", meint Costa. Dabei handele es sich natürlich um zwei Beispiele, die sich eher gegenüber stehen. Es gibt aber auch Grautöne, die nicht so eindeutig sind: "Dazwischen liegen natürlich viele verschiedene Beziehungsformen", sagt sie.

Unsere Beziehung lag irgendwo dazwischen. Wir waren ziemlich vertraut miteinander, wobei ich mich in unserer Beziehung nie ganz öffnen konnte. Die Leidenschaft kam zum Vorschein, wenn wir die gefühlt hundertste Grundsatzdiskussion darüber geführt hatten, wie und ob wir dem Kapitalismus und Patriarchat nun entkommen können oder nicht. Oder wenn wir die ganze Nacht Sex miteinander hatten und am nächsten Morgen völlig vermatscht arbeiten mussten, aber glücklich waren. Unterstützung leisteten wir uns ohnehin meistens, ob es nun beim Putzen war oder wenn es darum ging, den letzten Streit mit einer ihrer Freund*innen oder meinem Mitbewohner zu verarbeiten.

Wichtig ist auch, wie man sich trennt

Ein wichtiger Punkt ist die Art, wie man sich trennt und danach miteinander umgeht, sagt die Psychologin: "Manche Paare stellen fest, dass sich die Beziehung auseinander gelebt hat." Wichtig sei, ob es Betrug oder Illoyalität gegeben hat. Ist das nicht der Fall, dann hat die Beziehung laut Costa grundsätzlich eine gute Chance, freundschaftlich weiter geführt werden zu können.

Da Rebecca und ich schon zur Zeit unserer Beziehung ein großes Vertrauensverhältnis hatten, war das eine Frage, die wir mit Ja beantwortet haben.

Es ist wichtig, sich gegenseitig das Gefühl zu geben, dass es in Ordnung ist, verletzt zu sein
Alexandra Costa, Psychologin

Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht beide verletzt waren, nachdem es vorbei war. Wir hatten uns in der Folge viel Raum gegeben, um uns voneinander zu erholen und Abstand zu unserer Beziehung zu gewinnen. "Wut, Verärgerung und Verletztlichkeit, das sind menschliche Gefühle", sagt die Psychologin. Es sei wichtig, sich gegenseitig das Gefühl zu geben, dass es in Ordnung ist, verletzt zu sein. "So kann eine Signalwirkung entstehen", erklärt Costa. Umso wichtiger ist es, den Willen beider Personen zu respektieren und dann herauszufinden, an welchem Punkt man jeweils steht.

"Es hängt sehr von der Persönlichkeit ab, wie das dann ausgeht und ob man ein gutes, abschließendes Gespräch geführt hat", sagt die Psychologin. Rebecca und ich hatten viele Gespräche miteinander, über unsere Beziehung, aber auch über das, was danach kommen könnte. Wir waren uns in unserer Beziehung einig darüber, befreundet bleiben zu wollen. Dafür brauchte Rebecca aber einen harten Cut, um überhaupt eine andere Beziehung zu mir aufbauen zu können. Über einige Monate hörte ich von ihr gar nichts mehr. Das machte mir Sorgen.So ein Cut kann nach Einschätzung von Psychologin Costa sinnvoll sein: "Nach der Beziehung sollten Sie erst einmal wenig Kontakt miteinander haben, sodass jeder zur Ruhe kommen und sich für sich Gedanken machen kann", sagt sie. Im Mittelpunkt muss dabei stehen, was in der Zukunft anders werden soll im eigenen Leben. Für mich war schnell klar, dass ich aus meiner depressiven Episode herauskommen und Fortschritte im Journalismus machen wollte. Auch ein gut funktionierendes soziales Umfeld habe ich mir gewünscht. Rebecca wollte sich auf ihren neuen Job konzentrieren und mal länger single bleiben, denn sie hatte sich von einer Beziehung in die nächste gehangelt. Außerdem war ihr wichtig, wieder mehr Kontakt zu ihren Freund*innen zu haben.

Beide müssen eine Freundschaft wollen – und an ihr arbeiten

Als sich Rebecca dann wieder bei mir gemeldet hat, war ich ziemlich happy. Über uns beide hatten wir uns in der Zwischenzeit auch Gedanken gemacht. Wir wollten weniger streiten, mehr Wertschätzung füreinander aufbauen, uns weiterhin unterstützen, aber auch die Unabhängigkeit wahren. Daran arbeiten wir bis heute. Vieles ist schon besser geworden. Das haben wir vor allem über unsere offenen Gespräche erreicht. Die Psychologin Costa rät dazu, vorher genau zu überprüfen, ob wirklich eine Freundschaft von beiden gewollt ist. Entscheidet man sich dafür, ist es wichtig, sich zu fragen: "Sind wir in der Lage, freundschaftlich miteinander zu bleiben? Können wir das beide aushalten?"

Für uns war das nicht so schwer. Am Anfang war alles noch etwas ungewohnt. Viel Körperkontakt zum Beispiel war von meiner Seite aus erst mal nicht erwünscht. Wir trafen uns wieder zum gemeinsamen Arbeiten, aber hingen auch gemeinsam im Café rum und haben Kuchen in uns hinein gefuttert. Sexuelle Gedanken an Rebecca hatte ich schon länger keine mehr. Costa wundert das nicht. Findet man den*die Ex-Partner*in zum Beispiel immer noch hübsch, heißt dass nicht, dass noch sexuelle Anziehungskraft da ist. "Die Beziehung hat dann einfach eine andere Basis", erklärt sie.

Costa führt das in ihrer Argumentation immer wieder auf die Gespräche zurück und die gemeinsame Verarbeitung. So steigere sich das Wohlbefinden. "Schlussendlich rückt die Sexualität, die man geteilt hat, in den Hintergrund." Wenn ein neues Vertrauensverhältnis entsteht, kann man sich später mit dem*r Expartner*in sowohl über andere Partnerschaften unterhalten, als auch über Intimität. "Es gibt dann kaum noch eine Verbindung zu den sexuellen Gefühlen von früher. Beide wissen, was gelaufen ist", sagt die Psychologin.

Wir kommunizieren das in neuen Liebesbeziehungen offen

Eine coole Erfahrung ist außerdem, dass ich mich vor Rebecca heute wie damals nicht verstellen muss. Sie kennt mich schon ziemlich gut. Durch unsere Freundschaft haben wir uns noch viel näher kennengelernt und wohnen heute sogar zusammen in einer WG. Die Psychologin kann das gut verstehen. "Es bleibt lebendig und das ist ein Gefühl, das Menschen sehr gerne haben", sagt Costa. Der*die Expartner*in sei auch Zeug*in der eigenen und gemeinsamen Geschichte. Viele Gespräche verlaufen dann eher nach dem Motto: "Mein Ex wird das gut verstehen, der kennt mich sehr gut. Ich muss mir dann keine soziale Maske aufsetzen", erklärt sie.

In meinem Freund*innen- und Arbeitskreis war das zudem kaum ein Gesprächsthema, dass wir befreundet sind und auch zusammenwohnen. Bei Rebecca schon. Viele ihrer Freund*innen fragen sie heute verwundert, wie das wohl funktionieren kann, da die meisten keinen Kontakt mehr zu ihren Expartner*innen haben. Neuen Liebesbeziehungen machen Rebecca und ich unser Verhältnis transparent. Der erste Satz, den wir sagen ist nicht, dass wir Expartner*innen sind, sondern Freund*innen. Rebecca hat mittlerweile auch eine neue romantische Beziehung, ich bin single.

Ihr neuer Freund hat damit kein Problem, er ist selbst mit einer Exfreundin befreundet. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Karten offen auf dem Tisch liegen. Meistens nimmt das neuen Partner*innen Angst und auch Eifersucht. Ein Allheilmittel gibt es dafür aber natürlich nicht. Das ist eben genauso individuell, wie die Beziehung und Persönlichkeiten selbst auch sind. Angst, dass Rebecca mir einmal den Rücken deshalb kehrt, habe ich jedenfalls nicht.

* Name geändert