In der Artikelreihe "Wie reden wir eigentlich miteinander?" beschäftigen wir uns mit verschiedenen Formen und Theorien der Kommunikation. Viele dieser Methoden werden in der Psychologie gelehrt – oft sind sie so simpel wie logisch. Sie lassen sich ohne Aufwand in unser tägliches Leben integrieren. Wir von ze.tt denken, dass eine vernünftige Debattenkultur wichtig für unser Miteinander ist.

"Die meisten Menschen wollen lieber durch Lob ruiniert, als durch Kritik gerettet werden", das ist eine US-amerikanische Redewendung, der viel Wahrheit innewohnt. Ich weiß das, weil ich selbst zu den Menschen gehöre, die ungern kritisiert werden.

Die Alltagsweisheit beschreibt das Kernproblem der Kritik: Niemand ist gerne fehlbar. Für einige Menschen wirkt Kritik härter als für andere, kann sie regelrecht aus der Bahn werfen. Es gibt mittlerweile Psychotherapeut*innen, die sich vorwiegend mit der sogenannten Kritikangst beschäftigen.

Ich kann das nachvollziehen. Wenig lässt mich so sehr an mir selbst zweifeln, so impulsiv reagieren und so unbeholfen agieren wie persönliche Kritik. Das gilt vor allem dann, wenn ich in einer Tonalität kritisiert werde, die mir unverhältnismäßig erscheint. Ich fühle mich in die Defensive gedrängt und denke, ich müsste mich rechtfertigen, übe aktiv Gegenkritik aus oder bin wie gelähmt.

Ich mache damit so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann: Ich lehne die womöglich oft berechtigte Kritik quasi ab und beschäftige mich nicht mit ihr. In der Folge bin auch ich selbst nicht wirklich gut darin, Kritik zu äußern. Warum fällt es mir so schwer, Kritik als Verbesserungsvorschlag zu verstehen – oder als Symbol der Wertschätzung?

Es ist nur deren Meinung, es ist nur deren Meinung, es ist nur deren Meinung ...

Grundsätzlich ist die Idee, durch Kritik ein besseres Zusammenleben herbeizuführen, ja einleuchtend. Schließlich hilft es nichts, wenn man im Restaurant die Pizza lobt, nachdem der*die Kellner*in fragt, ob es geschmeckt hätte – obwohl der Teig nicht durchgebacken war. Die Pizzabäcker*innen werden es beim nächsten Mal genauso machen, die Kund*innen deshalb irgendwann ausbleiben, das Lokal an Umsatz einbüßen und so weiter.

Wenn ich mich in meinem Umfeld umhöre, stelle ich fest, dass Kritik fast immer als lästig wahrgenommen wird. Gerade dann, wenn sie ungefragt kommt. Und wenn sie dann als Vorwurf verpackt ist, wird sie gleich gar nicht wahrgenommen.

"Kritik schmerzt besonders stark, wenn sie als Angriff auf die Person wahrgenommen wird", schreibt die Psychotherapeutin und Autorin Doris Wolf. Sie veröffentlicht regelmäßig Ratgeber zum Umgang mit Kritik und entwarf einen Fragebogen, um den eigenen Umgang mir ihr hinterfragen zu können. Was sie bei ihrer Arbeit bislang feststellte: Je geringer das Selbstwertgefühl, desto mehr verletzt uns Kritik. Anfällige Menschen neigten auch dazu, selbst kaum oder gar nicht zu kritisieren, was dazu führe, dass sie etwa schlechtes Verhalten nicht ansprechen und das Unverständnis darüber lieber in sich hineinfressen. Dass angestauter Unmut nicht gesund ist und schon gar keine Situation verbessert, steht außer Frage; Wut und Ärger sind ein direkter Weg in die Depression.

Wie durchbricht man aber diesen Teufelskreis? Weil Menschen andere nun mal kritisieren – zwar selten gut, aber dazu später mehr – ist es zunächst von Vorteil, sich komplett von der romantischen Vorstellung an eine Welt ohne Kritik zu lösen. Kritik kann wichtig sein und sich positiv auswirken, weil wir aus ihr für uns selbst lernen können. Es wird immer jemanden geben, der etwas an einem auszusetzen hat, egal ob im Beruf oder privat, egal wie gut man ist, egal was man geleistet hat.

Um Kritik zu vermeiden: Tu nichts, sag nichts, sei nichts.
Elbert Hubbard, Schriftsteller

Wolf plädiert dafür, zunächst an unserer Selbstachtung zu arbeiten, also daran, uns eigene Defizite zu verzeihen. Verletzt und gekränkt reagierten wir nämlich nur dann auf die Kritik anderer, wenn diese uns auf Fehler und Schwächen aufmerksam machen, für die wir uns selbst ablehnen. "Wenn wir uns unserer Fähigkeiten und Werte nicht bewusst oder überzeugt sind, ist jede Kritik eine Waffe, die uns leicht und schnell verletzen kann", schreibt die Expertin.

Personen, die sich durch Kritik schnell angegriffen fühlen, tun das also deshalb, weil sie sich ihrer selbst nicht sicher sind, ein weniger dickes Fell haben und dadurch genau an diesem wunden Punkt getroffen werden. Das ist keine böse Absicht, sondern Automatismus, der wie so vieles durch eine Mischung aus Erlebnissen, Erfahrungen und den Lebensumständen entsteht.

Kritik als Chance sehen

Was diese sich antrainieren müssen, ist eine vernünftige Kritikfähigkeit. Dazu hilft es, sich zuerst eine radikale Schranke im Kopf zu errichten. Sobald man künftig merkt, dass jetzt gleich Kritik folgt, kann man sofort umschalten und sich als Mantra einreden: Das ist nur eine Meinung. Das ist nur eine Meinung. Das ist nur eine Meinung.

So blockieren wir, dass wir unsere ganze Person in der Schusslinie sehen und geben der Kritik nicht mehr Bedeutung, als sie wirklich hat. Letztlich ist sie ja nur das, eine Meinung, ein Verbesserungswunsch oder ein Vorschlag, auch wenn der Tonfall etwas unglücklich ist. "Wenn wir kritisiert werden, ist es wichtig, sich klarzumachen, dass das eine Sichtweise ist. Es gibt auch andere," schreibt Wolf.
Wir sollten auf Kritik nicht reagieren mit:

  • ... Ablehnung.
  • ... Gegenkritik.
  • ... Gekränktsein.
  • ... Rechtfertigung.

Sondern so:

  • Zuhören, ohne Unterbrechung und Rechtfertigungen. Einfach zuhören.
  • Innerlich die Selbstwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung abgleichen, sich nicht von den Emotionen des Gegenübers ablenken lassen, versuchen, kühl und pragmatisch zu bleiben.
  • Wenn der Tonfall zu schrill ist oder die Kritik zu unkonkret, bitten, ausführlicher zu kritisieren.
  • Den Kritisierenden dort zustimmen, wo sie recht haben ...
  • ... und ihnen dort, wo sie unrecht haben oder die Kritik unangebracht und unfair ist, sagen, dass man in diesem Punkt anderer Meinung ist.

Dieses Vorgehen hilft, Kritik ihres negativen Beigeschmacks zu berauben – und sie künftig positiver, etwa als Feedback oder Chance zu sehen.

Wie äußert man Kritik, ohne andere zu verletzen?

Wer nun weiß, was es mit Menschen machen kann, wenn sie kritisiert werden, weiß auch: Kritik zu äußern, das ist womöglich die Königsdisziplin der Kommunikation. Wer sie fahrlässig äußert, die falsche Tonalität oder falsche Worte wählt, wird darin scheitern. Und das Gegenüber vielleicht sogar schwer verletzen.

Ein Beispiel: Nehmen wir an, in der Beziehung saugen immer nur wir selbst Staub. Es fällt uns dann natürlich leicht, unseren Partner*innen irgendwann die Meinung darüber zu geigen: "Nie nimmst du den Staubsauger in die Hand, immer bleibt das an mir hängen, übernimm halt auch mal Verantwortung." Was werden die Partner*innen aus dieser Art der Kritik mitnehmen? Richtig: gar nichts. Im Gegenteil: Sie fühlen sich lediglich als Person abgewertet und verletzt. Wer sagt denn, dass sie nicht einfach einen anderen Anspruch an Sauberkeit haben? Einen anderen Putzrhythmus, generell einfach Prioritäten anders setzen oder dass für sie das Saugen von Staub nichts mit Verantwortung übernehmen zu tun hat? Angenommen, sie würden nach solch einem plumpen Vorwurf den Sauger tatsächlich öfter in die Hand nehmen, wird das künftig mit Sicherheit von einem negativen Beigeschmack begleitet sein.

Dabei geht es natürlich ganz leicht auch anders. Denn hätten wir uns in diesem einfach nur etwas mehr Mühe mit der Kritik gegeben und die Emotionalität rausgenommen, wäre dieser Vorschlag entstanden: "Hey, ich weiß, du hast immer viel um die Ohren und ich bin da vielleicht etwas eigen, aber mir ist es ein Anliegen, dass es immer sauber ist bei uns. Ich würde mir wünschen, dass du mich hin und wieder dabei unterstützt. Es muss ja nicht saugen sein, aber vielleicht können wir ja irgendeinen Kompromiss finden?" Das klingt doch so, als könnte man darauf einen vernünftigen Konsens aufbauen, der zielführend ist und das Miteinander nicht schädigt – oder in Machtspielchen ausufern lässt.

In dem Maße, wie der Wille und die Fähigkeit zur Selbstkritik steigen, hebt sich auch das Niveau der Kritik an anderen.
Christian Morgenstern, Dichter

Die beschriebene Vorgehensweise lässt sich übrigens auf jede beliebige Situation im Alltag anwenden, auch im Job. Es gilt, sich das wirklich bewusst zu machen: Wer andere kritisieren möchte, trägt eine besondere Verantwortung für die Stimmung und die Beziehung untereinander. Eine besonnene Kritik gelingt daher nur denen, die sich gut in andere hineinfühlen können.

Wer diese Regeln beachtet, dessen Kritik wird künftig nicht mehr ins Leere verlaufen:

  • Weg mit den Emotionen: Erst mal durchatmen, bevor wir Kritik äußern. Die Lage analysieren, hinterfragen, abgleichen und dann ganz sachlich, kühl und pragmatisch bleiben. Auch im Ton. Das hilft dabei, dass es kein Schnellschuss oder sinnloses Genörgel wird.
  • Ich-Botschaften und keine Verallgemeinerungen: Immer mit "ich denke", "ich fühle mich" oder "ich wünsche mir, dass" einsteigen. Keine Verallgemeinerungen wie "du hörst nie zu" – das ist schlicht Unfug und Destruktiv. Auch Floskeln und absolute Formulierungen wie "immer", "nie", "jedes Mal" vermeiden.
  • Konkret bleiben und Verständnis zeigen: Die Kritik sollte sich an eine Sache oder einer ganz expliziten Verhaltensweise richten, nicht an die Person oder eine Situation als Ganzes. Es hilft, Empathie zu zeigen: "Ich weiß, dass dir das wichtig ist, aber vielleicht sollten wir uns überlegen ..." So fühlt sich das Gegenüber nicht abgelehnt.
  • Kritik positiv verpacken und loben: Am Anfang einer jeden guten Kritik steht ein Lob. Sie wird noch besser ankommen, wenn sie positiv verpackt wurde: "Ich bin wirklich dankbar, dass du das immer für mich machst. Trotzdem würde ich vorschlagen, dass wir ..."
  • Nie den Zweck der Kritik aus den Augen verlieren und direkt Lösungen anbieten: Nichts ist schlimmer als eine Kritik, aber kein Lösungsvorschlag dazu. Das Ziel ist es doch, die Situation zu verbessern. Wer also kritisieren möchte, sollte sich vorher Alternativen und Lösungsvorschläge überlegen, anhand derer man dann einen Konsens finden kann.

Natürlich gilt das nicht um jeden Preis. "Es gibt Mitmenschen, mit denen man nicht diskutieren kann, weil sie nicht zuhören und lieber intellektuelles Armdrücken spielen wollen. Da hilft dann nur eines: Abbruch", schreibt der Kommunikationsexperte und Autor Jochen Mai.

Ich selbst jedenfalls teste mich derzeit darin, Kritik leichter anzunehmen und auch bewusster zu äußern. Ich kann noch nicht wirklich besser mit ihr umgehen. Gerade weil ich Kritik als so ein starkes Instrument einschätze, fällt es mir schwer, sie zu beherrschen. Ich denke, ich bin auf einem guten Weg; das bedarf einfach Übung und Routine.

Kritik ist wichtig für unser Wohlbefinden und das der anderen. Doch müssen wir uns ihrer Macht bewusst sein: weil man nie wissen kann, wie andere sie aufnehmen werden. Wir tun uns und unseren Mitmenschen einen großen Gefallen, wenn wir uns künftig gut überlegen, ob wir sie kritisieren – und vor allem wie. Denn das Letzte, was wir durch Kritik erreichen wollen, sollte doch sein, andere zu verletzen.