Als Person, die journalistisch arbeitet, bekomme auch ich ihn gelegentlich ab, den Hass im Netz. Wenn ich unter Kommentaren, Glossen und anderen Texten, in denen ich meine subjektive Meinung zu einem Thema, einer Debatte oder einem Sachverhalt formuliere, die Kommentarspalten lese, schnürt sich mir bei dem ein oder anderen Statement zugegebenermaßen die Kehle zu. Persönliche Beleidigungen, die auf mein Aussehen abzielen, Diffamierungen als gezielte Verleumdung, Boshaftigkeiten, die weder Hand noch Fuß haben, oder Unterstellungen, die Aussagen aus dem Kontext reißen – ich frage mich: Wo kommt dieser Hass her?

Verhaltenstherapeut Thomas Grischko erklärt mir: "Das hat nicht viel mit Hass zu tun, sondern eher mit einer ungeheuren Respektlosigkeit." Klickt man sich durch gängige soziale Netzwerke wie Facebook oder YouTube, stolpert man immer wieder über wüste Anschuldigungen oder begegnet erschreckenden Schimpftiraden, oft gegen eine bestimmt Person gerichtet, die sprachlos machen. Die Beleidigungen sind zum Teil so hart, dass man sie wahrscheinlich niemals im echten Leben, offline, von Angesicht zu Angesicht verwenden würde. Respektlos ist das allemal, ich werde in diesem Text dennoch von Hass als ein Gefühl starker Ablehnung sprechen.

Bei den Personen, die online hassen, muss zwischen Trolls und Nicht-Trolls unterschieden werden: Ein Troll ist laut Duden ein "Internetnutzer, der die Teilnehmer einer Online-Community […] durch regelwidriges, antisoziales Verhalten […] gezielt provoziert, um eine entsprechende Reaktion hervorzurufen". Er möchte aufregen und seine Mitmenschen in Wut, in Rage, in Trauer versetzen. Ingrid Brodnig, Journalistin und Autorin des Buches Hass im Netz, erklärte ze.tt: "Ein Troll ist meist unideologisch. Ihn treibt die Schadenfreude."

Die Glaubenskrieger

Und dann gibt es noch die anderen User*innen, die Nicht-Trolls, die sich respektlos verhalten, ihre Mitmenschen angehen, beleidigen, niedermachen. Brodnig spricht bei besonders vehement auftretenden, aggressiven Nutzer*innen von Glaubenskrieger*innen: Sie glauben so sehr an eine, an ihre Wahrheit, dass sie mit großer Härte gegen Andersdenkende vorgehen. Sie erläutert: "Diese User sind von einer Wahrheit eingenommen. Dadurch wird es für sie angemessen, so zu reagieren." Faktoren, die Menschen dazu bringen, sich online so zu verhalten, können laut Brodnig ganz unterschiedlich sein: "Die User*innen haben eine unbeirrbare Überzeugung. Sie glauben zum Beispiel fest an eine Bedrohung, etwa die 'Umvolkung' des eigenen Landes. Und weil sie so fest an diese Bedrohung glauben, scheint es für sie auch angemessen, so hart und empathielos gegenüber Andersdenkenden aufzutreten. Schließlich kämpfen sie ihrer Ansicht nach für ein wichtiges Ziel."

Doch warum scheint es Menschen im Netz so viel leichter zu fallen, Beleidigungen vom Stapel zu lassen, Mitmenschen zu erniedrigen, sie bloßzustellen, herabzusetzen? Tanja Laub arbeitet seit vielen Jahren als Beraterin für digitale Kommunikation mit dem Schwerpunkt Community Managment und fasst ihre Erfahrungen rückblickend zusammen: "Der Ton ist rauer geworden. Dadurch, dass das Ganze oft anonym ist, gehen Leute schneller unter die Gürtellinie." Viele User*innen würden denken, man könne online machen, was man wolle. Oft entstehe die Respektlosigkeit auch aus einer Überreaktion heraus. Auslöser können banal sein, schon Kleinigkeiten reichen aus: "Sie würden sich wundern, wie die Leute sich wegen des Rezeptes für den besten Schichtsalat angiften und weit über die Grenze gehen!"

Fehlende Konsequenzen

Die Autorin Ingrid Brodnig sieht neben der online vorherrschenden Anonymität Enthemmung als einen der Gründe für die niedrige Schwelle zur Hasskultur im Netz: Online sei es sehr einfach, konsequenzlos hart zu sein, erklärt sie. "Vergleichen Sie das doch mal mit einem Kaffeehaus: Sie sehen, wie ein Mann zu einem Tisch geht und der dort sitzenden Frau sagt, wie hässlich sie ist. Und dann geht er zum nächsten Tisch. Wie lange würde man warten, bis jemand einschreitet?", fragt sie und erklärt, dass fehlende Konsequenzen ein wichtiger und ausschlaggebender Aspekt sind. Denn auch wenn der deutsche Bundestag vergangenes Jahr ein von verschiedenen Seiten kritisiertes Gesetz beschloss, das Betreiber von sozialen Netzwerken dazu verpflichtet, strafbare Inhalte zu löschen oder zu sperren, sind diese Konsequenzen doch kaum spürbar. Der Umgang mit diesen Inhalten ist schwierig. Soll man sich dem Drang beugen und auf die Beleidigungen und auf die zum Teil falschen Unterstellungen eingehen? Brodnig gibt zu bedenken: "Eines wird nicht passieren: Ich antworte und werde damit die Welt des anderen ändern. Man wird Andersdenkende nicht immer zum Umdenken bewegen, aber vielleicht die Menschen dazwischen."

Helen Fares weiß gut, wovon Ingrid Brodnig spricht. Sie arbeitet als Journalistin und Moderatorin, steht folglich auch häufig mit ihrem Namen und ihrem Gesicht in der Öffentlichkeit. Der Hass im Netz ist ihr bekannt: "Da waren schon miese, beleidigende Kommentare dabei, wie zum Beispiel 'Scheiß Hackfresse' oder 'dummes Kanackenweib'. Das tut schon etwas weh, wenn man das liest. Ich frag mich dann einfach: 'Warum machen die das?'" Obwohl sie das Bedürfnis habe, darauf zu antworten, sich zu verteidigen, gibt sie diesem Bedürfnis nicht nach. "Du gibst der Person dann auf einmal eine Stimme", erklärt sie. "Wenn die Person aber in den leeren Raum ruft, dann hört das auch niemand."

Wir müssen lernen, uns schneller zu distanzieren." – Thomas Grischko, Verhaltenstherapeut

Sie selbst lese keine Kommentare mehr. Irgendwann war ihr das zu viel. Der Verhaltenstherapeut Grischko pflichtet ihr bei. Er ist der Meinung, dass es nichts bringe, nach üblen Provokationen in eine scheinbar inhaltliche Auseinandersetzung zu gehen. Er erklärt: "Wir müssen lernen, uns schneller zu distanzieren." Doch wie lernt man den richtigen Umgang mit dieser Respektlosigkeit, mit dem Hass im Netz?

Die Beraterin für digitale Kommunikation, Tanja Laub, hat dafür eine einfache, aber wirkungsvolle goldene Regel: "Ein User sollte sich wie im wahren Leben verhalten: Behandele andere so, wie du selbst behandelt werden willst." Da das natürlich manchmal leichter gesagt als getan ist, rät Ingrid Brodnig, dass man zunächst einmal nicht alleine bleiben solle. Es sei oft hilfreich, mit der*dem Partner*in, mit Freund*innen zu sprechen, die dabei helfen, die Situation einzuordnen und sich solidarisch zeigen. "Wenn ich Solidarität erlebe, dann merke ich, das liegt nicht an mir", erklärt die Autorin. Außerdem gebe es kein Recht auf eine sofortige Antwort und es sei manchmal hilfreich, sich Zeit zu nehmen. Denn aus eigener Erfahrung weiß man ja bekanntlich, dass es nur selten zu etwas führt, wenn man Wut mit Wut, Hass mit Hass begegnet. Wenn eine Person jedoch selbst gerade mitten in einem Shitstorm steckt, sei es, so Brodnig, oft eine Entlastung, wenn eine weitere Person vorübergehend den Account übernehme. Denn dann muss man sich nicht selbst durch all den Hass und die Beleidigungen kämpfen. Geht der Konflikt jedoch in Richtung Bedrohung, rät sie, sich juristische Unterstützung zu holen.

Und wir?

Fragen wir uns an dieser Stelle auch mal: Wann greifen wir online ein? Wann schreiben wir: "Hey, das ist kein angemessenes Verhalten" oder springen einer Person bei? Ich kann nur für mich sprechen, muss aber gestehen: Ich tue das relativ selten. Woran das liegt, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist es eine Abgestumpftheit. Man sieht es ständig, überfliegt die Kommentare nur noch. Schon wieder ein "Hure", noch ein "Schwuchtel" oder ein "Halt die Fresse und geh' sterben!" Grischko ist der Meinung, man erlebe das nicht mehr wirklich als schlimm: "Die Mehrheit ist still, man hört sie nicht so wirklich." Er fordert: "Man muss das wieder zu einem Thema machen." Dann gehöre ich selbst wahrscheinlich zu der Mehrheit. Und dabei weiß ich ja, wie verletzend das sein kann. Ich weiß, wie man sich vornimmt, die Kommentare unter denen eigenen Texten diesmal nicht zu lesen, und wenn doch, sie dann wenigstens zu ignorieren. Letztlich klicke ich doch immer wieder drauf und nehme mir das, was da steht, zu Herzen. Grischko hat auch hier einen Rat: "Der erste Impuls ist oft: Das ist gegen mich gerichtet – aber eigentlich wird nur ein Teil des Verhaltens kritisiert, nicht ich als Person."

Das mag in Einzelfällen stimmen, doch es fällt einem nun mal nicht leicht, persönliche Beleidigungen nicht als gegen eine Person gerichtete, respektlose Kritik zu verstehen. Deshalb ruft die Autorin Ingrid Brodnig zu digitaler Zivilcourage und zu gegenseitiger Unterstützung auf: "Man kann ruhig schreiben: 'Ich finde es nicht fair, wie hier gesprochen wird.' Wir müssen lernen, zu schreiben: ‚XY hat meine Solidarität.‘"

Warum muss ich das aushalten?" – Ingrid Brodnig, Autorin

Bin ich vielleicht auch einfach zu sensibel? Was kümmert mich das, was Personen, die ich nicht kenne, denen ich im echten Leben wahrscheinlich noch nie begegnet bin, mir an den Kopf werfen? Die kennen mich doch gar nicht. Die kennen nur das, was ich schreibe, meine Arbeit. Selten mehr, selten weniger. Doch ich darf mir das zu Herzen nehmen, ich darf mich davon beleidigt, angegriffen fühlen. Die Tatsache, dass das Ganze online und nicht face to face stattfindet, macht es nicht besser, nicht erträglicher. Brodnig gibt zu verstehen: "Es wird sich gern lächerlich gemacht. Leute sagen: 'Haha, alles Mimosen! Ihr müsst das aushalten!' Ich frage aber: Warum? Warum muss ich das aushalten? Warum muss ich das online aushalten, wenn ich es offline, in normalen Situationen außerhalb des Netzes, nicht aushalten muss? Warum soll ich es als Frau aushalten, als Schlampe bezeichnet zu werden? Warum soll ich es als homosexueller Mann aushalten, als Drecksschwuchtel bezeichnet zu werden?"

Nein, das sollten wir nicht aushalten. Vielleicht müssen wir uns alle ein bisschen mehr anstrengen, öfter einschreiten, öfter sagen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Und so seltsam und einfach das klingen mag: Manchmal hilft es, Hass mit Nettigkeit zu begegnen. Unter zig beleidigenden Kommentaren sind es manchmal ein paar nette Worte, die helfen, eine Situation wieder einzuordnen und zu verstehen, dass diese Menschen, die da gegen einen wettern, die um sich schlagen, mich eigentlich gar nicht kennen.