"Mei Wien is ned deppert", sagte Wiens ehemaliger Bürgermeister Michael Häupl nach der Nationalratswahl im Herbst 2017, bei der in Wien die Sozialdemokrat*innen Zugewinne verzeichneten, während der Rest des Landes nach rechts driftete. Seine Aussage erreichte innerhalb kürzester Zeit Kultstatus. Denn nicht nur in politischer Hinsicht hatte Michael Häupl damit recht: Wien ist nicht gleich Österreich. Genauso wie Berlin wenig typisch Deutsches an sich hat, ist Wien so ganz anders als der Rest der Alpenrepublik – und genau darum liebe ich diese Stadt so sehr.

Aber beginnen wir mit den Fakten. Denn nicht nur ich habe ein Faible für Wien. Die österreichische Bundeshauptstadt wurde nun laut der Rangliste des Nachrichtenmagazins The Economist zur lebenswertesten Metropole der Welt ernannt. Damit hat die Stadt nach sieben Jahren die australische Millionenmetropole Melbourne von der Spitze verdrängt. Wien profitiere im Vergleich vor allem von seiner niedrigen Kriminalitätsrate sowie der in den vergangenen Monaten gesunkenen Bedrohung durch Terrorismus in Europa. Insgesamt wurden für das Ranking 140 Großstädte in den Kategorien Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsversorgung, Stabilität sowie Kultur und Umwelt miteinander verglichen.

Was hat also Wien, was andere Städte nicht haben?

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Wien ist unglaublich schön. Die Straßen, die Gebäude, ihre Architektur. Manchmal gehe ich durch einsame Gassen und fühle mich wie in einem Filmset. Fast zu kitschig, um wahr zu sein, sind einige Ecken Wiens. Dazu gibt es einen Fluss, die Donau, in dem man baden kann (liebes Berlin, nimmt dir gerne mal ein Beispiel daran). Zudem ist der öffentliche Verkehr extrem gut ausgebaut. Nicht ohne Grund bekam Wien im Ranking die maximale Punktzahl für Infrastruktur. In Wien kann man mit dem Jahresticket für nur einen Euro pro Tag die Öffis nutzen. Eine Errungenschaft der rot-grünen Koalition.

Kommen wir zum nächsten Charakteristikum der Stadt, dem Wiener Schmäh. Laut Wikipedia soll das die "charakteristisch wienerische Art des Humors in der Kommunikation" darstellen. Für mich hat es mehr mit der Mentalität zu tun. Denn die Wiener*innen granteln gerne. Sie sudern über alles und jede*n. Und darum gehört diese Art der Kommunikation auch zur Kaffeehauskultur dazu. Während in Wien längst Verlängerter bestellt wurde, trank man in unseren Nachbarländern noch verwässerten Filterkaffee. Und nicht nur darauf sind die Wiener*innen sehr stolz und verhalten sich dementsprechend auch im Service, besonders im Kaffeehaus, arrogant. Wenn wir schon beim Thema sind, natürlich nicht zu vergessen sind auch all die typischen Süßspeisen: Sachertorte, Apfelstrudel, Manner Waffeln und Mozartkugeln.

Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später
Gustav Mahler

"Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später", soll der österreichische Komponist Gustav Mahler einst gesagt haben. Wien wäre gerne hipper, angesagter und in Sachen Popkultur und Clubszene international vorne dabei.

Doch die Stadt will zeitgleich auch weiterhin sehr sauber, gediegen und leise sein. Wenn in Berlin unter meinem Balkon in Kreuzberg wieder einmal ein spontaner Rave startet, muss ich immer schmunzeln, denn in Wien würde es nicht länger als eine Minute dauern, bis jemand hinunter brüllen würde: "Sofort Ruhe! Sonst ruf ich die Polizei!" Diese Spießigkeit gehört aber auch zum Charme der Stadt. Und trotzdem verschlägt es immer mehr Hipster, Jungfamilien und Bobos in die Stadt. Bobos ist ein in Österreich gängiger Begriff für Bourgeois Bohémien und man meint meist gut verdienende junge Akademiker*innen damit, die vorzugsweise ihr Design-Rennrad oder ihren Design-Kinderwagen durch Wien schieben.

Noch vor etwas mehr als einem Jahr zählte ich zu den Menschen, die sich laut über das verstaubte, träge Wien aufregten, wo alles viel zu langsam passiert. Ich sang laut Falco-Songs mit und wünschte mir, dass sich in Wien endlich mehr bewegt.

Wien, du bist so leiwand!

Mittlerweile lebe ich in Berlin und muss mir selbst widersprechen. Ich vermisse nun des Öfteren Wiens Spießigkeit. Die sauberen Bürgersteige, dass man sich nachts allein auf der Straße selten Sorgen machen muss, die, zumindest meistens, klimatisierten Öffis, den Kaffee und dass Leute montagmorgens auf dem Weg zur Arbeit nicht alle gerade aus dem Club rausstolpern.

Wien ist für mich mein Ruhepol geworden. Zu Recht wurde sie nun als die lebenswerteste Stadt ausgezeichnet. In diesem Sinne möchte ich nochmal den ehemaligen Bürgermeister Wiens mit seinen Lieblingsworten zitieren: "Man bringe den Spritzwein!" Denn heute feiern wir Wien!

Dieser Artikel entstand, als die Studie Wien zum neunten Mal zur lebenswertesten Stadt kürte. Den Titel bekam Wien jetzt zum zehnten Mal.