Wenn man am wenigsten damit rechnet, trifft es einen am heftigsten. Und damit meine ich ausnahmsweise nicht Wahlergebnisse, sondern die Liebe.

Ich lernte ihn vor ein paar Jahren auf dem Geburtstag einer Freundin im Sommer kennen, wir wurden einander vorgestellt mit den Worten: "Guck mal, das ist Jan – er ist auch geschieden." Wir sahen uns erst ungläubig an und lachten dann, denn in unserem Alter waren wir die einzigen, die das gemeinsam hatten. Aber nicht nur das. Wir redeten stundenlang – zuerst in der Bar, dann in seinem VW-Bus, den wir vor die Bar gefahren hatten und in dem wir mit geöffneten Türen Musik hörten, weil uns die Playlist des DJs nicht gefallen hatte. Wir starteten unsere eigene Party, headbangten zu Metallica, tanzten auf der Straße zu Prince, küssten uns zu Helge Schneiders "Es gibt Reis, Baby"... Ich schüttelte mein Haar für ihn und spürte: Der könnte jemand sein.

Es gab nur ein Problem. Vier Wochen später wollte er auf eine Weltreise gehen. Und zwar mindestens ein ganzes Jahr.

Wenn es nicht anders geht

Ich entschied mich, diese vier Wochen trotz allem – oder gerade deshalb – so intensiv wie möglich zu genießen und dafür auch den unvermeidlichen Trennungsschmerz später in Kauf zu nehmen; es war einfach zu schön. Wir fuhren an einen See, tranken Wodka-Mate und zählten Sternschnuppen, gingen ins Kino, wir kochten zusammen, er zog quasi bei mir ein. Und jedes Mal, wenn ich ihn verstohlen von der Seite ansah, war ich glücklich mit einer Spur von Traurigkeit.

Ich ahnte, dass es nach diesen vier Wochen keine Zukunft für uns geben würde. Ein Jahr ist eine verdammt lange Zeit, eine Weltreise zu Selbstfindungszwecken ein Abenteuer, das man allein bestehen muss und ich wollte ihn nicht aufhalten. Denn auch ich hatte noch einiges mit mir und meinem Leben zu erledigen.

Kurz gesagt: Es war einfach katastrophales Timing.

Ausrede oder nicht?

So etwas habe ich selbst oder auch in meinem Umfeld immer wieder erlebt, ausgedrückt in Sätzen wie "Der Zeitpunkt stimmt nicht", "Es  passt gerade einfach nicht"; "Sie will was anderes als ich"; "Ich bin noch nicht bereit." Ein Mensch trifft also einen anderen, mit dem alles schön ist und trotzdem wird keine feste Beziehung daraus, weil die Lebensumstände und -wünsche es nicht zulassen.

Das ist schlicht grausam. Und längst nicht immer bloß eine Ausrede.

"Hinderliches Timing für die Liebe kann es tatsächlich geben. So gerne man möchte, es passt einfach nicht in die Leben der beiden", erklärt Diplom-Psychologin und Beziehungs-Expertin Lisa Fischbach. Natürlich gibt es auch Leute, die das als Ausrede benutzen, weil es in Wahrheit nicht falsches Timing, sondern der falsche Mensch ist. Aber häufig genug liegt es nicht am Willen, sondern tatsächlich an den Umständen.

Auch Paartherapeutin und Buchautorin Andrea Bräu erklärt: "Wenn einer will oder sogar beide, aber nicht können oder glauben, nicht zu können – das sind tierische Schmerzen."

Aber warum tut genau das so weh?

"Das Gefühl zu wollen, weil es perfekt passen könnte, aber aus einem anderen Grund nicht zu können, ist spannungsgeladen und höchst tragisch. Das ist der Stoff für Romane und Opern", meint Beziehungs-Expertin Fischbach. Die Liebe als Tragödie, ein uraltes Motiv.

Leichter ist es, jemand anderem die Schuld geben zu können. Wenn man betrogen oder verlassen wird, kann man seine Wut und seinen Schmerz kanalisieren – ob berechtigt oder nicht, jemand oder etwas anderes trägt die Verantwortung. "Das erspart einem den Kampf mit sich selbst", sagt die Psychologin. "Wer in sich spürt, dass ein Teil eigentlich will, der andere aber bremst, erlebt das als Zerreißprobe."

Wenn das Herz unfrei ist

Gründe für mieses Timing gibt es viele: Eine geplante Weltreise wie bei uns, der Umzug in eine andere Stadt, eine gerade erlebte und noch nicht verarbeitete Trennung, ein emotionales Trauma wie der Tod eines Familienmitglieds, Prüfungsstress, der Start eines eigenen Unternehmens oder Jobs oder schlicht die Tatsache, bereits mit einer anderen Person verheiratet zu sein.

Allen Fällen gemeinsam sei laut Lisa Fischbach die Unfähigkeit, sich unbeschwerten Herzens auf einen anderen Menschen einlassen zu können. Es geht einfach nicht, das Herz ist nicht ganz bei der Sache, nichts zu machen.

Falsches Timing – und nun?

Irgendwann waren unsere vier Wochen vorbei und der Augenblick des Abschieds gekommen. Es gab wieder Wodka, einen Tanz auf der Theke, ein Lebewohl und ein paar Tränen. Hätten wir es vielleicht doch versuchen sollen, war das Aufgeben die richtige Entscheidung? Wir haben es uns beide immer mal wieder über Facebook gefragt, auch Jahre später noch und obwohl wir beide mit unserem Leben zufrieden sind. Er hat sich auf der Reise in jemand anderen verliebt, ich mich hier zu Hause auch. Er lebt inzwischen mit Frau und zwei Kindern im Ausland; ich bin zwei Jahre selbst auf eine Weltreise gegangen, habe mich von einer schweren Krankheit erholt, anschließend meine Großeltern gepflegt und zwei Bücher geschrieben.

Es gibt kein Patentrezept, keine Faustregel, kein Baumdiagramm und keine Glaskugel. "Jeder muss in so einem Moment in sich schauen, sich den eigenen Gefühlen stellen und abwägen, was passend ist", sagt auch Lisa Fischbach. "Die Entscheidung muss schlussendlich von einem selbst gefällt werden."

Und Paartherapeutin Bräu erklärt:  "Dass man sich trifft, ist das eine – was man daraus macht, ist das andere. Ich kann mich durchaus in meinem Leben mehrmals entscheiden, für oder gegen jemanden (...) Ich denke, dass wir durch andere Menschen auch immer an so genannte Lebenskreuzungen kommen, wo wir wieder neu entscheiden müssen." Genau diese Begegnungen seien entscheidend für unsere Entwicklung und unser Wachstum. "Manchmal muss man vielleicht weiterziehen und den Schmerz aushalten, damit man sich selber treu bleibt."

Allein für die Sternschnuppen, die Tänze, die Küsse und ja, auch für das Wachstum hat sich der Schmerz gelohnt. Ich würde es wieder genau so machen.