Seit Februar dieses Jahres sitzt der Journalist Deniz Yücel in der Türkei im Gefängnis. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Dass er bald freikommt, ist unwahrscheinlich. Präsident Recep Tayyip Erdoğan nennt Yücel einen deutschen Agenten und sagte über eine mögliche Freilassung: "Auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin, niemals."

Ergibt es da überhaupt noch Sinn für seine Freilassung zu protestieren? Ja, befand der Autor Imran Ayata und lud am vergangenen Sonntag zu einer Solidaritätslesung im Schauspielhaus in Frankfurt am Main. Nach Angaben von hessenschau.de waren gut 800 Gäste waren gekommen, wohl auch, weil Prominente wie Oliver Polack, Jan Böhmermann und Yücels Schwester Ilkay Texte des Journalisten vortragen wollten.

Das Publikum stimmt mit ein

Böhmermann betrat als erster die Bühne, schreibt hessenschau.de. Er hat eine besondere Beziehung zu Erdoğan, schließlich hatte sein Schmähgedicht eine Staatskrise zwischen Deutschland und der Türkei verursacht. Dieses Mal gab sich Böhmermann zurückhaltender und stimmte ohne Vorwarnung eines der bekanntesten deutschen Volkslieder an: Die Gedanken sind frei. Er animierte das Publikum mitzusingen. Das stimmte mit ein, erst zögerlich, dann immer lauter.

Hymne des Widerstands

Die Grundidee des Liedes stammt bereits aus dem 13. Jahrhundert, schreibt BR-KlassikFrei zu denken mag für uns heute selbstverständlich sein, doch lange sei das ein Privileg der Herrschenden gewesen, schreibt der Sender weiter. Die Untertanen hätten das geglaubt und gedacht, was ihnen vorgebetet wurde. Heute ist dieses Vorgehen ein Merkmal von Diktaturen. Und genau dahin entwickelt sich die Türkei momentan. Erdoğan verfolgt Oppositionelle, schafft die Pressefreiheit ab und steigert seine Machtfülle.

Doch was er nicht verbieten kann, sind freie Gedanken – auch nicht dem im Gefängnis sitzenden Deniz Yücel. Böhmermann ist nicht der erste, der das Lied in Zeiten politischer Unterdrückung anstimmt. Sophie Scholl stellte sich etwa im Jahr 1942 an die Gefängnismauer und spielte ihrem dort einsitzenden Vater auf der Flöte die Melodie vor.

Hier ist der vollständige Liedtext:

1. Strophe
Die Gedanken sind frei!
Wer kann sie erraten?
Sie fliehen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!

2. Strophe
Ich denke, was ich will
und was mich beglücket,
doch alles in der Still
und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!

3. Strophe
Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei!

4. Strophe
Drum will ich auf immer
den Sorgen entsagen
und will mich auch nimmer
mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen
stets lachen und scherzen
und denken dabei:
Die Gedanken sind frei!