Vor vielen Jahren hatte ich mal einen Kollegen, der war ziemlich schamlos. Nicht nur hat er alles, was die Vorgesetzten vorgeschlagen oder angeordnet haben, schmerzbefreit, kritiklos und begeistert umgesetzt – er hat sich auch derart offenkundig eingeschleimt, dass wir alle Schwimmwesten hätten tragen müssen. Die Mittagspause hat er meist allein verbracht.

Was ich mich seitdem immer mal wieder gefragt habe: Warum genau schleimen sich Leute im Job so offensichtlich bei ihren Vorgesetzten ein. Merken die das überhaupt?

Zum Schleimen gehören immer zwei

Zunächst mal gibt es einen Unterschied zwischen loben und einschleimen. Auch Vorgesetzte sind nur Menschen; sie arbeiten oft hart, schultern viel Verantwortung und Stress und haben es verdient, dass ihre Leistung anerkannt und gesehen wird. Nicht nur von oben, auch von Angestellten. Deshalb ist grundsätzlich nichts dabei, auch mal zu sagen: "Das finde ich richtig gut."

Entscheidend ist die Motivation dahinter. Ist das Kompliment oder Lob aufrichtig gemeint, kommt es von Herzen – oder ist es strategisch platziert? "Das ist eine Frage der Authentizität. Nett sein ist natürlich und normal, einschleimen immer zweckbezogen", erklärt die Diplom-Psychologin und Karriereberaterin Madeleine Leitner den Unterschied. "Diejenigen sagen etwas, weil sie sich davon etwas versprechen." Wer schleimt, will was.

Natürlich gehören immer zwei dazu: die Person, die schmeichelt, und die Person, die das gern annimmt. Gute Chancen haben Schleimer*innen bei eher unsicheren Vorgesetzten. Die seien nämlich viel eher offen für Schmeicheleien, sagt Madeleine Leitner: "Das ist vermutlich generell menschlich, aber Vorgesetzte, die wenig souverän sind und möglicherweise sogar eine Selbstwertproblematik haben, sind besonders empfänglich und auch manipulierbar."

Anders gesagt: Sie bekommen zu hören, was sie hören wollen. Und dem lässt sich oft schwer widerstehen.

Sich als Vorgesetzte*r dieser Dynamik überhaupt bewusst zu werden, ist gar nicht so einfach. "Das setzt einige Reflexionsfähigkeit voraus, die meines Erachtens nach die wenigsten haben", so Leitner. Vor allem im hektischen Berufsalltag setzt sich kaum jemand hin und analysiert jeden Satz, der im Laufe eines Tages so gefallen ist.

Einschleimen ist anstrengend

Trotzdem funktioniert die Transaktion zwischen Schmeichler*in und Vorgesetzten nicht bei allen und in jedem Fall reibungslos und einwandfrei. "Manche Chefs durchschauen das Verhalten und sind dann sogar sauer", gibt die Karriereberaterin zu bedenken.

Zu einem ähnlichen Schluss ist 2018 auch eine Studie der Oregon State University gekommen. Demnach würden Angestellte, die sich einschleimen, zwar grundsätzlich sympathischer wirken – allerdings nur so lange, bis ihre Vorgesetzten bemerken, dass dahinter eine Strategie steckt.

Doch nicht nur das: Einschleimen kostet laut der Untersuchung richtig Kraft. Vor allem deshalb, weil viel Energie darauf verwendet werden muss, das Ganze authentisch wirken zu lassen, während im Inneren eigentlich etwas anderes vorgeht. Und diese Energie fehlt dann an anderen Stellen – zum Beispiel bei der Erledigung von Aufgaben. Überspitzt gesagt: Wer sich einschleimt, arbeitet nicht richtig.

Niemand mag Schleimer*innen

Auch Kolleg*innen können mit Schleimer*innen meist nicht viel anfangen und betrachten derartiges Verhalten mit Skepsis. Da sie nicht direkt beteiligt sind, riechen sie den Braten tendenziell auch eher als die im Zentrum der Schmeichelei stehenden Vorgesetzten.

Ein weiterer möglicher Nebeneffekt ist Konkurrenzkampf unter Schleimer*innen. "Es kann sein, dass manche Kollegen die Augen verdrehen, andere überbieten sich sogar", sagt Expertin Madeleine Leitner. Eine*r schleimt schlimmer als der*die andere? Klingt in meinen Ohren relativ anstrengend und toxisch.

Ob oder wie Kolleg*innen oder Vorgesetzte das Thema Einschleimen ansprechen sollten, hängt dabei stark von der Situation und vom Einzelfall ab. "Mit Humor und freundlich und konstruktiv, wenn es nicht böse gemeint ist, sondern eher ein wenig charmant. Deutlich, wenn es eklig schleimig und manipulativ ist", sagt Madeleine Leitner.

Beruflicher Erfolg basiert nicht ausschließlich auf Schmeichelei bei einigen wenigen, sondern häufig auf stabilen, ausgedehnten Netzwerken und einem guten Ruf. Beides entsteht durch Authentizität und Professionalität. Und deshalb ist Einschleimen keine allzu brillante Karrierestrategie. Letztlich hängt es jedoch maßgeblich davon ab, welche Prioritäten man setzt und welches Selbstbild man hat.