Nicki, Tony, Burghardt, Tina, Nele, Gina, Sonja – sie nennen sich: die Nickis. Sieben Persönlichkeiten, die sich einen Körper teilen. Sie sprechen von sich in der Wir-Form, denn sie sind durch jahrelange Therapie eine Gemeinschaft geworden. 1961 werden die Nickis als Sonja in einen Kult bei Gütersloh geboren. Von ihren Eltern werden sie und ihre Geschwister sexuell ausgebeutet, zur Prostitution gezwungen und schlimmster Gewalt ausgesetzt. "Wir erinnern uns an keine Zeit, in der wir nicht gefoltert wurden", beschreiben Nickis ihre Kindheit. "Dadurch sind wir viele geworden."

Dissoziative Identitätsstörung: Circa 820.000 Menschen in Deutschland betroffen

Betroffene wie die Nicki(s) bezeichnen sich als "viele". "Viele geworden zu sein, ist keine Krankheit, sondern eine Anpassungsleistung in einer gewaltvollen Realität, die sonst nicht überlebbar wäre", erklärt der Verein Vielfalt e. V..

Expert*innen schätzen die Verbreitung der dissoziativen Identitätsstörung (DIS) in der Allgemeinbevölkerung auf circa 1,1 bis 1,5 Prozent. "Das sind allein in Deutschland also mindestens 820.000 Menschen", erklärt Michaela Huber, Traumatherapeutin, die seit über 35 Jahren mit Betroffenen arbeitet. "Und in Wahrheit laufen noch viel mehr Menschen damit herum. Denn viele werden fehl- oder gar nicht diagnostiziert."

Popkultur verklärt das Bild vom Leben mit multipler Persönlichkeit

Dissoziative Identitätsstrukturen sind häufig Gegenstand von Erzählungen in Literatur und Film. Menschen fürchteten sich vor dem Januskopf oder vor Jekyll und Hide. Internet-Memes machen Späße aus multiplen Persönlichkeiten. Die Verbreitung solcher Stigmata hat schwere Auswirkungen für den Kampf von Betroffenen, bleiben doch die Ursachen dieser Diagnose noch immer völlig unbeachtet.

Menschen wie Nickis, die mit einer dissoziativen Identitätsstruktur – früher bekannt als multiple Persönlichkeit – leben, sind das Zeugnis unerträglicher Missbrauchs- und Gewalterfahrungen im Kleinkind- oder Kindesalter. Die traumatischen Erlebnisse und Nahtoderfahrungen verhindern die Entwicklung einer integrierten, einheitlichen Persönlichkeit. Stattdessen werden verschiedene eigenständige Innenpersonen abgespalten.

Unsere Dokumentation

Unsere zweiteilige Dokumentation widmet sich den Ursachen und Auswirkungen eines Lebens mit dissoziativer Identitätsstruktur. Wo müssen wir hinschauen, um rituelle Gewalt zu erkennen? Und welchen Barrieren begegnen Überlebende, wenn sie sich dazu entscheiden, ihr Schweigen zu brechen? Im ersten Teil unserer Dokumentation ergründen wir die Entstehung und Ursachen eines Lebens, das zu vielen wurde. Der zweite Teil unserer Doku widmet sich den Ursachen und Auswirkungen dieses Lebens. Hier kannst du den Beitrag sehen:

Hilfe holen

Hilfe bietet die bundesweite, kostenfreie und anonyme telefonische Anlaufstelle berta unter der Telefonnummer 0800 3050750, sie richtet sich an Betroffene organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt, sowie an Angehörige, Helfende und Fachkräfte.

Das Hilfetelefon sexueller Missbrauch  erreichst du unter 0800 22 55 530, es ist die bundesweite Anlaufstelle für Betroffene sexueller Gewalt, für deren Angehörige sowie Personen aus dem sozialen Umfeld von Kindern, für Fachkräfte und für alle Interessierten.

Beide sind kostenfrei und anonym.