Wie wir jemanden ansprechen, an dem*der wir sexuell interessiert sind, wissen die meisten. Aber warum zögern wir, Leute, die wir einfach so mögen, einfach mal anzuquatschen?

Ich wollte eigentlich längst zu Hause sein. Stattdessen drehte ich die zweite Verabschiedungsrunde auf der Party und begann mich langsam aber sicher maximal albern zu fühlen. Doch das Problem war: Ich konnte nicht gehen. Ich traute mich nämlich nicht zur Tür.

Denn vor der Tür stand Lena. Die einzige Frau im Raum, von der ich mich noch nicht verabschiedet hatte. Warum nicht? Weil ich nicht so genau wusste, wie ich das anstellen sollte.

Lena hatte ich vor einem Monat auf einer anderen Party kennengelernt. Wir waren an dem Abend wie zwei Menschmagneten aufeinander getroffen: Ein kurzer Blicketausch und zaghaftes Herantasten an die andere ("Und woher kennst du Anni?") war schnell in lautes Gekicher und zustimmendes Genicke übergegangen. Am Ende des Abends hatten wir bereits Insider-Witze. 

"Es hat direkt gefunkt!"

Hätte mich Lena sexuell interessiert, hätte ich vermutlich noch am selben Abend einer Freundin eine begeisterte Nachricht der Kategorie "Wow, hab da jemanden kennengelernt und es hat einfach gefunkt" geschrieben - doch ich stand nicht auf Lena. Ich fand sie einfach nur toll. Und so suchte ich sie zwar am nächsten Tag auf Facebook, doch als ich sie nicht finden konnte, setzte ich keine weiteren Hebel in Bewegung, sondern beließ es einfach bei der netten Begegnung. Warum? Tja. Gute Frage. Die etwas unbefriedigende, aber wahrhaftige Antwort: Kam mir irgendwie komisch vor.

Doch nun hatte ich Lena wiedergetroffen. Und ich beschloß, dass mir diese coole Frau nicht noch einmal vom Radar verschwinden sollte. Ich wollte sie wiedersehen. Am Liebsten hätte ich ihr einen Zettel mit "Willst du mit mir mal Eis essen gehen, und wir schauen, ob wir Freundinnen werden" zugesteckt. Ja, genau. Aber auch das kam mir irgendwie komisch vor.

Also lief ich weiter zeitschindend in der Bar herum und merkte dabei, was das Problem war: Mir fehlte einfach ein verlässliches Skript für eine solche Situation. Für eine Freundschaftsanbahnung. Hätte ich sie anflirten wollen, hätte ich aus einer ganzen Palette an möglichen Sprüchen wählen können; hätte erst vorsichtig antesten können, wie sie auf mich reagierte, jemand anderen befragen, wie meine Chancen stünden oder schlicht versuchen, mit Augenkontakt halbwegs Eindeutiges zu vermitteln. Aber für eine Freundschaftsanbahnung hatte ich kein erprobtes Skript parat. Eine Lücke im selbstverständlichen Drehbuch des sozialen Miteinanders. 

Freundschaftsflirts

Der Flirt mit potenziellen Sexpartner*innen erfolgt schon seit Jahrhunderten in einem Rahmen mit ziemlich genau festgelegten kulturellen Ritualen. Wer was wie sagt und wann. Mit welchen Blicken, Gesten und Zwischentönen. Ein Beispiel: Im England des 18. Jahrhunderts konnte eine adelige Frau mit der Art, wie sie ihren Fächer hielt, sehr genaue Absichten vermitteln. Von Absagen (Fächer drehen in der rechten Hand) bis hin zu Eheversprechen (langsames Schließen des offenen Fächers). Und auch wenn wir mittlerweile viele dieser ausgeklügelten Regeln nur mehr belächeln können, ist die Anbahnung von Liebes- oder Sexbeziehungen immer noch eine sehr reglementierte Angelegenheit. Auch wenn es manchmal zu Interpretationshürden kommt – wie jede*r weiß, die*der schon mal überdurchschnittlich viel Zeit mit dem Interpretieren und Deuten von Whatsapp-Nachrichten verbracht hat – fällt uns das Skript des Anflirtens leichter. Der Flirt mit potenziellen Freund*innen hingegen ist als Kulturtechnik noch nicht etabliert.

Schade! Denn mit Freundschaften geht es uns doch oft ganz ähnlich wie mit romantisch-sexuellen Beziehungen: Wir möchten zurückgemocht werden, vertrauen uns an, kommen ins Schwärmen und freuen uns einen Ast, wenn wir da einen Menschen in unserem Leben haben, der*die so vieles so viel schöner macht. Freundschaften, in anderen Worten, sind auch Liebesbeziehungen. Und sie entstehen nun mal nicht, genauso wenig wie sexuell-romantische Beziehungen, ohne dass wir ihnen mit Gesten, Versprechen und kleinen Zuneigungsgeständnissen Anschub geben.

Freund*innen daten

Kurzum: Warum sollten wir Freundschaften nicht auch wie sich anbahnende Liebesbeziehungen behandeln und anfangen, potenzielle Freund*innen zu daten? Denn wer sich nicht traut, auf jemanden zuzugehen, den er*sie toll findet – wie auch immer –, der*die wird auch nie herausbekommen, was dieser Mensch mal für eine*n sein könnte. 

Was es dazu braucht, ist manchmal nur ein kleiner Ruck. Und den versetzte ich mir an dem Abend in der Bar selbst und ging auf Lena zu: "Sag mal, magst du mir deine Nummer geben? Ich würde dich gerne wiedersehen."

Kurze Zeit später saß ich endlich auf dem Rad, mit Lenas Nummer in meinen Kontakten und strahlte eine Runde in die Berliner Nacht hinein. Keine Ahnung, ob Lena und ich uns dauerhaft etwas zu sagen haben werden. Keine Ahnung, ob Lena und ich Freundinnen werden. Keine Ahnung, was aus uns wird. Aber genauso so geht ja jede Liebesgeschichte los. Welche auch immer.