L. hat, vorsichtig ausgedrückt, keinen Nerv mehr. Sie kann nicht mehr, sie will nicht mehr, aber eines, das geht noch: Dampf ablassen. Seit anderthalb Jahren geht sie nun auf Dates. Online-Dates, Kollegen-Dates, Freunde-von-Freunden-Dates. Aber jetzt sprudelt der Frust aus ihr heraus.

Sie ist sich sicher, und man muss ihr fast recht geben, dass sie so gut wie alles versucht hat, was die Dating-Ratgeberliteratur so herzugeben hat. Aber was sie bekommen hat, und das kann sie sehr präzise aufschlüsseln, ist lediglich eine Reihe an Nicht-der-Richtige-Typen und vor allem Dates, von denen sie sich die Lebenszeit zurückwünscht.

Dates, bei denen sie sich fühlte wie beim Ego-Poker und dieser Werbung von ganz früher: "Mein Haus, mein Auto, mein Boot." "Kaum einer hat sich für mich interessiert. Ich hatte zum Teil Mühe überhaupt mal etwas zu Ende zu erzählen, weil mein Gegenüber nur auf eine Atempause gewartet hat, um eine eigene Pointe loszuwerden."

Dating-Frust

Aber nicht nur L. ist gefrustet. T. ist auch gefrustet. P. ist gefrustet. Und W. telefoniert schon wieder mit seiner Ex, denn da weiß er schließlich, woran er ist.

Diejenigen, die angeben, sich von einem Date irgendetwas anderes als einen One-Night-Stand erhoffen, die bleiben oft so ernüchtert zurück, wie nach dem mühsamen Knacken einer leeren Walnuss.

Woher der Frust kommt, kann man zunächst recht pragmatisch erklären: Es passt halt nicht mit jedem*r. Aber ich habe zunehmend den Verdacht, dass eine andere Erklärung für den Frust ausschlaggebend sein könnte: Kann es sein, dass wir verlernt haben, uns auf Menschen einzulassen?

Ich-Parade statt Gespräch

Denn wer sich die Geschichten von L. und T. und P. anhört, bekommt den Eindruck, dass bei vielen Dates lediglich eine Art Angeber-Pingpong gespielt wird. L. erzählt, dass es schon bei den ersten Messages losgeht. Statt ein paar Fragen nach ihren Interessen oder ihrem Beruf gestellt zu bekommen, wird sie mit lässigen Kommentaren zugetextet, die in Wahrheit nur schlecht getarnte Distinktionsmarker des anderen sind. Die Ich-Parade wird live dann noch einen Ticken unerträglicher, wenn der Redeanteil des Gegenübers um die 90 Prozent liegt und man mit den verbliebenen zehn Prozent gerade noch vermitteln kann, aufs Klo zu müssen.

Dass es bei solchen Ich-Paraden selten zum Austausch von wirklich interessanten oder persönlichen Informationen kommt, ist natürlich auch dem Format geschuldet, in dem solche Kommunikation stattfindet. Wem es in kurzer Zeit gelingen will, keine Zweifel an der eigenen Coolness aufkommen zu lassen, der*die vertraut eben auf Signale, die auch ein sprechender Instagram-Account von sich geben könnte: schicke Wohnung, coole Freund*innen, lässige Klamotten, aktives Sozialleben.

So wird nie mehr daraus

Die andere Person kann dabei zwar kaum zu Wort kommen, aber wenigstens ist jetzt klar, dass man selber der längste Grashalm auf der Wiese ist. Und sind die Ego-Karten dann erst mal alle ausgespielt, darf der*die andere auch zumindest kurz andeuten, dass da auch ein Mensch ist, der mal backpacken war.

Wer sich in solch einer Datingsituation wiederfindet, der*die darf nicht nur Frust schieben, sondern auch ruhig anfangen ein wenig zu verzweifeln. Wir wollen schließlich alle auch mal vorkommen und sehnen uns entsprechend danach, unser Selbst zeigen zu dürfen. Jenseits dessen, was sich mit Filtern optimieren lässt. Wenn das aber nie nachgefragt wird, tut das auf Dauer weh. Auch weil so von Anfang an ausgeschlossen wird, dass es jemals mehr werden könnte.

Denn, One-Night-Stands und Affären mal außen vor, wer nach einer Beziehung sucht, wird nicht drumherum kommen, sich wirklich mit einer anderen Person auseinanderzusetzen. Intimität herzustellen. Ohne die gibt es nämlich weder dieses Beziehungsglück noch richtig guten Sex. Psycholog*innen beschreiben Intimität als einen Prozess, in dem wir unser Selbst bestätigt, verstanden und umsorgt fühlen dürfen. Bei einer Ich-Parade kaum möglich. Wie es hingegen funktioniert? Zum Beispiel mit Fragen.

Fragen schaffen Nähe

Darauf kann eine Reihe an Experimenten Hinweise geben, die der Psychologe Arthur Aron und sein Team vor 20 Jahren durchgeführt haben. Die Wissenschaftler*innen wollten wissen, ob es eine Methode gibt, mit der sich Nähe zwischen zwei fremden Menschen herstellen ließe. Dazu entwickelten sie einen Katalog mit insgesamt 36 Fragen, die jeweils zwei Probanden*innen miteinander durchgehen sollten.

Fragen lauteten dabei zum Beispiel "Was wäre für dich ein perfekter Tag?", "Gibt es etwas von dem du schon lange träumst und es noch nicht gemacht hast? Warum nicht?" und "Gibt es etwas, über das man keine Witze machen sollte?"

Nach dem Experiment wurden die Proband*innen gebeten, die empfundene Nähe zu der anderen Person zu beschreiben. Und es zeigte sich, dass diese Nähe in vielen Fällen als erstaunlich stark erfahren wurde. So stark, dass sie mit der empfundenen Nähe zu engen Freund*innen verglichen werden konnte. Die Fragen, aber auch die Offenheit und Verletzlichkeit, die dadurch angeregt wurden, brachten die Menschen einander näher.

Sicher heißt das nicht, dass 36 Fragen ausreichten, um Nähe dauerhaft herzustellen. Einsatz, Loyalität und Vertrauen brauchen Zeit. Aber die Ergebnisse von Arons Experimenten geben einen Hinweis darauf, welche Fähigkeit vielen abgeht, wenn sie doch eigentlich genau das wollen: ein bisschen Nähe. Einen Anfang.

Neues Datingverhalten

Denn wer datet, ohne die Bereitschaft, auch eine andere Person interessant zu finden, die nicht auf den ersten Blick alle Liebes-Kriterien erfüllt; wer nie nachfragt und sich stattdessen unermüdlich selbst reproduziert, der wird niemals jemandem nahekommen. Und der wird auch, das ist die andere Seite dieser Datingfalle, vermutlich nie selbst als spannend wahrgenommen werden. Wer es nicht schafft, sich ansatzweise auf einen Menschen einzulassen, der*die wird alles mögliche finden, aber nicht das, nachdem er*sie sucht.