Es kann Jahre her sein, Ewigkeiten. Du hast die Trennung überlebt und verarbeitet. Du warst tapfer und reflektiert. Du bist weitergezogen und hast dir ein neues, erfülltes Leben aufgebaut. Vielleicht allein, vielleicht mit jemand anderem. Alles ist gut.

Dann plötzlich: eine Nachricht, eine Begegnung, ein Geruch oder ein Gedanke. Auf einmal regen sich tief unten in der Höhle deiner Seele komische, längst verschüttete Gefühle.

Und du wunderst dich: Könnte es eventuell sein, dass du ihn*sie womöglich niemals ganz überwunden und vergessen hast, hat die Liebe nur 1.000 Jahre geschlummert wie ein Drache? Oder sind das bloß Nostalgie und Sentimentalität, eine kleine Zeitreise quasi? Und was, verdammte Axt, machst du jetzt mit diesem Gefühl?

Nur keine Sorge, wir schauen uns das mal in aller Ruhe gemeinsam an.

Erinnerungen sind was Schönes

Ein Leben zu leben heißt, Erfahrungen zu machen. Manche davon gut, manche davon schlecht. Und einige davon vergisst man nie. Dazu gehören auch vergangene Beziehungen. Weil aber die Liebe so ein starkes Gefühl ist und Partnerschaften uns prägen, bleiben die dazugehörigen Personen intensiver im Gedächtnis als zum Beispiel die Sommersause am See vor vielen Jahren, das aufgeschürfte Knie oder die Sechs plus in Mathe.

Es ist also ziemlich normal und keinesfalls verwerflich, bei bestimmten Auslösern – Gerüche sind da ganz weit vorn – an eine*n Ex zu denken. Bloß weil dein Leben weitergeht, bist du ja nicht geblitztdingst worden und hast automatisch alles Vorangegangene vergessen.

"Solche Erinnerungen sind total normal und eigentlich etwas sehr Schönes. Immerhin waren wir mit diesen Menschen ja mal glücklich", sagt auch die Liebeskummer- und Beziehungsexpertin Elena Sohn. "Gedanken machen sollte man sich nur, wenn die Flashbacks eher negativ sind und viel Schmerz auslösen."

Oder wenn sie derart unstillbare Sehnsucht verursachen, dass du ernstlich in Erwägung ziehst, noch einen Versuch mit dieser Person zu wagen. Denn ob das wirklich immer so eine Spitzenidee ist, steht durchaus zu bezweifeln. Doch dazu später mehr.

Flüchtest du in die Vergangenheit?

Nehmen wir jedoch mal an, du sitzt tatsächlich vor Sehnsucht schmachtend zwischen Duftkerzen und hast die Emo-Playlist an. Auch das ist noch kein Grund zur Panik. Wichtig ist nämlich zuerst die Frage, was wahrhaftig dahintersteckt: Ist es echt die Liebe zu diesem einen Menschen?

"Erstmal forschen, ob es wirklich mit dieser Person zu tun hat oder mit mir selbst", rät Elena Sohn. "Oft ist das nämlich ein Indiz dafür, dass es in der aktuellen Beziehung oder im Leben nicht so gut läuft und man sich gedanklich in diese Gefühle 'flüchtet'." Dazu eignet sich die von Nostalgie weichgezeichnete Vergangenheit üblicherweise nämlich ganz hervorragend. Früher war alles besser – dieser Spruch kommt nicht von ungefähr.

Fehlen dir also aktuell Erfüllung, Sinn, Antrieb, ein soziales Netz, echte emotionale Nähe, suchst du Ablenkung? Was ist sonst gerade in deinem Leben los? Ehrliche Antworten auf diese Fragen können einen guten Schwung Licht ins emotionale Dunkel bringen.

Ist die Verdrängung stark in dir?

Wenn du dein Leben und deine Situation gründlich beleuchtet und überprüft hast und die Antwort auf all deine Fragen immer noch als ihr*sein Gesicht vor deinem geistigen Auge auftaucht, dann jedoch ist die Lage unter Umständen ernst.

Vor allem an wiederkehrenden, sehnsüchtigen Gedanken über einen längeren Zeitraum lässt sich laut Expertin ablesen, dass du die vergangene Beziehung noch nicht verarbeitet hast. Wenn du außerdem neue Bekanntschaften ständig mit ihm*ihr vergleichst – und sie logischerweise schlechter abschneiden –, dann bist du definitiv noch nicht über ihn*sie hinweg.

Überrascht? Ach was, nicht doch. Verdrängung kann ein sehr machtvoller und wichtiger Mechanismus der Seele sein. Mit einigen Erinnerungen und Gefühlen können wir uns erst nach geraumer Zeit auseinandersetzen. Und das ist okay.

Zuweilen ist der Kummer eben so groß, dass er sehr lange braucht, um abzuklingen. Das kennt auch Elena Sohn: "Was natürlich auch passieren kann, ist, dass man noch wütend oder traurig in Erinnerung an diese Beziehung und deshalb blockiert ist – auch das ist eine Form von nicht darüber hinweg sein." Dann ist Aufarbeitung angesagt.

Liebe ist nicht alles

Wenn du regelmäßig mit Herzklopfen und Bauchsausen an den*die Ex denkst, permanent seine*ihre Insta-Storys verfolgst und es weder mit Mangelerscheinungen in deinem aktuellen Leben noch mit unverarbeitetem Trennungsschmerz zu tun hat, dann heißt es hinsetzen und abwägen. Vor allem die Frage: Warum habt ihr euch damals eigentlich wirklich getrennt?

"Abgesehen von möglichen Gefühlen, die man noch hat, sollte man sich ehrlich fragen, warum diese Beziehung gescheitert ist und wie groß die Chancen stehen, dass sie diesmal funktionieren würde", sagt Elena Sohn. "Es klingt hart, aber zu einer guten Beziehung gehört noch mehr als 'nur' die Liebe." Also, wie konstruktiv konntet ihr mit Konflikten umgehen? Konntet ihr an- und miteinander wachsen? Dabei knallhart aufrichtig sein, nicht liebestrunken schummeln und die Vergangenheit verklären.

Es kann auch sein, dass erst sehr viel Zeit verstreichen muss, bis zwei Menschen die richtige Reife füreinander haben. "Manchmal erkennt jemand erst Jahre später – oft vor dem Hintergrund von anderen Erfahrungen – wie gut die Beziehung mit dieser Person aus der Vergangenheit war", sagt Elena Sohn.

Und dann? "Nur, wenn man reale Chancen sieht, dass es diesmal besser klappen könnte, sollte man handeln", rät die Expertin. "Denn gegebenenfalls sind davon ja auch Dritte betroffen – der eigene Partner oder der des anderen. Damit sollte man verantwortungsvoll umgehen." Entscheidend ist da nicht so sehr das Gefühl, sondern die Handlung. Lässt die Situation eine Wiederaufnahme zu, wäre das eine gute Idee?

Manche Menschen überwindest du nie

Letztlich gibt es auch – aus möglicherweise ziemlich guten Gründen – unerfüllte Lieben, die ein Leben lang halten. Manche Menschen ziehen ins Herz ein und bleiben da. Doch das heißt nicht, dass für immer alles furchtbar und außerdem kein Platz mehr für andere Lieben ist. Wichtig sind Großzügigkeit und Nachsicht mit dir selbst und dem*der anderen, Akzeptanz und Annahme.

"Von Liebe würde ich nur sprechen, wenn man akzeptieren kann, dass der andere nicht mehr mit mir zusammensein möchte – wenn man ihn also freigibt und das eigene Leben dennoch zufrieden weiterlebt", erklärt auch Elena Sohn.

Du kannst also noch nicht über deine*n Ex hinweg sein und trotzdem ein schönes, glückliches Leben führen. Du kannst auch mehrere Menschen gleichzeitig in deinem Herzen wohnen lassen – schließlich hast du ja auch nicht nur eine*n einzige*n gute*n Freund*in. Wir sind keine Computer, es ist nicht alles null oder eins und nichts dazwischen; es ist eher ein sowohl als auch. Erst recht in der Liebe.