Eins vorab: Natürlich ist es okay und sogar gesund, in Sachen Liebe und Beziehung gewisse Ansprüche zu haben. Zu wissen, was du brauchst und willst – und was eben auch nicht – ist Zeichen eines guten, fürsorglichen, verantwortungsvollen Verhältnisses zu dir selbst.

Doch manchmal können Erwartungen dem Glück auch im Weg stehen. Nämlich dann, wenn sie zu hoch sind – und sich dahinter eigentlich was ganz anderes verbirgt.

Erwartungen gehören zum Leben dazu; ohne sie hätte niemand Pläne oder Ziele. "Wir alle haben eine eigene Vorstellung, wie das Leben funktionieren soll. Durch Erwartungen, die wir an uns selbst, an andere und an unser Leben stellen, finden wir die Struktur, die wir fürs Funktionieren brauchen", erklärt die Paartherapeutin Birgit Natale-Weber, "Erwartung gibt uns Halt."

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Erwartungen sind also erst mal nichts anderes als deine eigenen Vorstellungen davon, wie Dinge, Personen oder Lebensumstände sein sollten, damit sie zu dir und deinen Wertvorstellungen passen. Quasi das, was du gut, richtig und wichtig findest in anderen Menschen. Soweit, so normal. Kompliziert wird es häufig dann, wenn die Liebe ins Spiel kommt.

Wenn Erwartungen zu hoch sind

"Je näher wir einem Menschen emotional sind oder je mehr uns Dinge berühren, desto höher auch die Erwartungen", sagt Birgit Natale-Weber.

Erwartung gibt uns Halt.
Birgit Natale-Weber, Paartherapeutin

Genauer gesagt: Weil Partner*innen die wichtigsten Menschen sind, sollen sie eben besonders gut in die eigene Welt passen. Wenn die damit verbundenen Erwartungen dann nicht erfüllt werden, ist Enttäuschung vorprogrammiert. Und das kann die Beziehung belasten.

"Die größte Gefahr von hohen Erwartungen ist, dass der oder die andere sie nicht erfüllen kann. Dann kommt es zu Unverständnis und Streit", sagt Paartherapeutin Natale-Weber.

Aber wann sind Erwartungen in Hinblick auf Beziehungen adäquat und wann sind sie überzogen? Keine ganz einfache Frage. Die Beziehungsexpertin Nina Deißler empfiehlt zur Orientierung folgende Faustregel: "Jede Erwartung ist angemessen, solange wir diese Erwartung auch selbst erfüllen könnten. Wir dürfen also durchaus das erwarten, was wir selbst auch bereit sind zu geben, beziehungsweise, was wir selbst auch anbieten."

Deshalb ließen sich laut Nina Deißler zu hohe Erwartungen recht gut daran erkennen, dass dein*e Partner*in allerlei Dinge können oder tun soll, die du von dir aus nicht so ohne Weiteres tun würdest. "Und auch daran, dass wir Erwartungen daran festmachen, was wir in der letzten Beziehung oder von den Eltern alles nicht bekommen haben", sagt Beziehungsexpertin Deißler. Und mal ehrlich: Dafür kann der*die aktuelle Partner*in nichts.

Dazu kommen schlichtweg unrealistische Vorstellungen. "Wenn wir von unserem Partner oder unserer Partnerin erwarten, dass er oder sie mitfühlend ist, ohne zu kommunizieren, warum wir in dem Moment Mitgefühl oder Verständnis brauchen, dann wird es schwer bis unmöglich", sagt Nina Deißler. "Und dann liegt es nicht daran, dass der oder die andere unsensibel ist." Ein hervorragendes Rezept für Unglück.

Tja, und dann ist da noch die Sache mit dem Selbstschutz.

Erwartungen als Schutzprogramm

Wer nicht liiert ist und zu hohe Erwartungen an potenzielle Partner*innen hat, sabotiert sich damit unter Umständen selbst und verbaut sich den Weg zum Liebesglück. Dahinter steckt nicht selten Angst vor Verletzung, basierend auf schlechten Erfahrungen in Form mehrfach gebrochener und in Stückchen gerissener Herzen. Unbewusst wird dann die Messlatte so hoch geschraubt, dass einfach niemand gut genug ist.

"Wir haben Angst vor Enttäuschung und schrauben deshalb die Erwartungen so hoch", sagt Nina Deißler. Das hat zwei Hauptgründe: Einerseits, um eben konkrete Enttäuschung zu vermeiden. Wenn der*die neue Partner*in all diese Erwartungen erfüllt, dann kann ja nichts schiefgehen. "Andererseits sind diese Erwartungen oft derart hoch, dass kein normaler Mensch sie erfüllen kann und wir genau deshalb alleine bleiben. So haben wir das Ziel, nicht enttäuscht zu werden, indirekt erreicht", erklärt Nina Deißler.

Durch zu hohe Erwartungen lässt sich also zuverlässig verhindern, dass es auf emotionaler Ebene gefährlich wird, während gleichzeitig die Verantwortung komplett abgegeben wird. Nach dem Motto: "Ist ja nicht meine Schuld, dass niemand gut genug ist."

Das erfüllt den Zweck einer sehr großen und sehr stabilen Mauer ums Herz natürlich ganz hervorragend. Es hat allerdings den nicht unwesentlichen Nachteil, dass es deshalb auf der anderen, der inneren Seite dieser Mauer doch auch recht einsam werden kann. Und das ist auf lange Sicht ja nun auch keine Lösung.

Das kannst du tun

Doch zu hohe Erwartungen sind nicht unveränderlich und für immer in deine emotionale Landschaft gefräst, daran lässt sich durchaus etwas ändern.

Im ersten Schritt gilt es, herauszufinden, woher die hohen Erwartungen eigentlich kommen. Folgende Fragen sind laut Paartherapeutin Birgit Natale-Weber dabei hilfreich: Warum sind dir bestimmte Aspekte so wichtig? Kannst du da auch mit Kompromissen leben? Wenn nicht: Wovor hast du in diesem speziellen Punkt die meiste Angst? Welche Rolle spielen dabei bereits erlebte Enttäuschungen?

"Aus den Antworten ergibt sich die Wichtigkeit der Erwartungen und ob wir darauf bestehen müssen oder nicht", erklärt die Paartherapeutin.

Also, wenn du zum Beispiel monogam veranlagt bist und eine schmerzhafte Beziehungserfahrung mit Untreue gemacht hast, dann ist Treue für dich eine wichtige und berechtigte Erwartung. Wenn du hingegen erwartest, dass jemand dir alle Wünsche von den Augen abliest, dann nicht.

Selbstredend kann niemand was dafür, was er*sie anziehend findet. Manche Menschen lieben schnurgerade Zähne und anliegende Ohrläppchen, andere könnten sich schütteln. Das ist okay. Aber in anderen Aspekten ist durchaus Spielraum für Erwartungsmanagement – und das gilt für Singles auf Partner*innensuche ebenso wie für Menschen in Beziehungen.

Wir sollten uns mit dem Partner oder der Partnerin über Werte unterhalten, wem ist was wichtig?

"Wir sollten uns mit dem Partner oder der Partnerin über Werte unterhalten, wem ist was wichtig? Daraus ergeben sich unterschiedliche Erwartungen ans Gegenüber, die optimalerweise miteinander besprochen werden", sagt Birgit Natale-Weber. Nur so können sie miteinander in Einklang gebracht und Enttäuschung vermieden werden. Andernfalls bleibt ihr beide in eurer Sichtweise stecken und findet keine Kompromisse.

Wichtiges behalten, den Rest loslassen

Es ist, wie eingangs erwähnt, wichtig, die eigenen Grenzen und Werte zu kennen und die Menschen, die du in dein Herz lässt, auch danach auszusuchen. Du sollst nicht deine persönlichen Red Flags einfach in die Tonne kloppen, nur um eine Beziehung zu führen.

Es kann jedoch sinnvoll sein, mal genau zu schauen, was tatsächlich hinter deinen Erwartungen steckt. Wenn du danach zu dem Schluss kommst, dass alles richtig und gut so ist, dann ist das so. Doch vielleicht findest du ja ein paar versteckte Gründe für zu hohe Erwartungen, die deinem Glück bisher im Weg standen und kannst sie loslassen. "Es ist wichtig, dass wir uns selbst die Erlaubnis geben, nicht perfekt sein zu müssen", sagt Birgit Natale-Weber. Und das trifft auch auf andere Menschen zu.

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